In den kommenden Wochen wird der Schweizer Pharmakonzern Novartis sein neues Leukämie-Medikament mit dem sperrigen Namen Kymriah in den USA auf den Markt und in die Spitäler bringen.
Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht für Novartis: Das Präparat hat das Potenzial, ein Kassenschlager zu werden. Dann es ist eine hervorrangende Nachricht für junge Blutkrebs-Patienten: Kymriah gibt ihnen Hoffnung, eine bislang nicht behandelbare Krebsform zu besiegen.
Aktuell konzentrieren sich die Debatten rund um die Zulassung auf den medizinischen Nutzen des Präparats – und auf die Kosten der Therapie. Novartis wird pro Patient fast eine halbe Million Franken verlangen. Kritiker halten das für völlig überrissen, zumal das Unternehmen von öffentlich finanzierter Grundlagenforschung profitiert. Analysten auf der anderen Seite glauben, dass Novartis noch viel mehr hätte verlangen können.
Eine neue Welt öffnet sich
Doch die eigentliche Bedeutung der Zulassung von Kymriah weist weit über die konkrete Preis-Nutzen-Debatte hinaus. Denn das Novartis-Präparat leutet ein neues Zeitalter ein – medzinisch und vor allem gesellschaftlich: Willkommen im Zeitalter der Gen-Modifikation!
Erstmals kommerzialisiert ein privates, gewinnorientiertes Unternehmen einen therapeutischen Eingriff ins menschliche Erbgut. Das ist weder verwerflich noch ethisch bedenklich – im Gegenteil. Jedes Menschenleben, das mit dem Novartis-Produkt gerettet oder zumindest verlängert werden kann, ist ein Erfolg, ein medizinischer Fortschritt.
Wir Unvorbereiteten
Das Problem der genetischen Modifikation von Menschen ist nicht die Technologie an sich. Ihre Segnungen sind unbestritten, nur Fundamentalisten lehnen sie grundsätzlich ab. Das eigentliche Problem ist, dass die Gesellschaft nicht auf die Folgen der Gen-Veränderungen vorbereitet ist.
Der Kampf gegen Blutkrebs mittels genetisch umprogrammierten, körpereigenen Zellen ist ja nur ein Anfang. Die Wissenschaft arbeitet unter Hochdruck an neuen Gen-Therapien. In den kommenden zehn Jahren werden sie auf den Markt kommen. Wir werden die Möglichkeit haben, uns intelligenter, kräftiger, musikalischer, logischer, mathematisch begabter zu machen. Und es wird Firmen geben, die solche Angebote unterbreiten.
Absehbar ist, dass versucht werden wird, die Anwendung genetischen Wissens zu regulieren. Jeder Staat wird sich darum kümmern, internationale Organisationen wie die UNO oder die WHO ebenso. Es wird Standards geben.
Der Schwarzmarkt für Gen-Modifikation
Absehbar ist allerdings auch, dass diese Standards nicht von allen Wissenschaftlern, Forschern, Unternehmen und Staaten eingehalten werden. Es werden sich ein offzielle Märkte für Gen-Therapien entwickeln. Und es wird einen Schwarzmarkt geben, einen lukrativen Schwarzmarkt.
Schliesslich ist absehbar, dass die Genmodifizierung die soziale Ungleichheit massiv fördern wird. Vielleicht schon in zwanzig oder dreissig Jahren, spätestens zur Jahrhundertmitte wird es zwei Klassen von Menschen auf der Erde geben. Die Modifizierten – und die anderen. Jene, die sich Modifikationen leisten können, werden Vorteile haben gegenüber jenen, die mit den allfälligen Unzulänglichkeiten ihres natürlichen Erbguts leben müssen (oder wollen).
Eine breite und sachliche Debatte dazu ist dringend notwendig. Denn der wissenschaftliche Fortschritt ist rasend schnell. Auch Unternehmen wie Novartis sollten offen sein für eine solche Diskussionen. Gentechnologie ist eine Verheissung – mit immensen gesellschaftlichen Folgen.