«Nachhaltiges Bauen und Sanieren steht in einem grösseren Zusammenhang. Denn die Klimatransformation ist auch Teil einer grösseren, gesellschaftlichen Transformation», sagt Ibo Aktepe, Partner bei SSA Architekten in Basel. Diese Transformation wird die Immobilienbranche durchrütteln und für immer verändern. 

Für Liegenschaftseigentümer*innen und Bauherrschaften heisst dies vor allem: Die Sachlage ist vielschichtig und komplex. Allein ist die Herausforderung nicht zu bewältigen, sondern nur partnerschaftlich. Denn: Für den besten Massnahmen- Mix zur Erreichung der Klimaneutralität kommt allen Akteur*innen der Immobilienwirtschaft eine wichtige Rolle zu. 

Das Ziel heisst Netto-Null – bis 2050. Diesen Auftrag hat das eidgenössische Stimmvolk mit dem Ja zum Klima- und Innovationsgesetz am 18. Juni 2023 klar formuliert. In vielen Städten, Quartieren, bei Unternehmen und in zahlreichen anderen Strukturen wird das Ziel kurzfristiger angestrebt, in der Stadt Zürich etwa bis 2040, in der Stadtverwaltung gar bis 2035. 

Die Realität sieht aber noch so aus: Der Gebäudepark ist einer der grössten Verursacher von CO2-Emissionen in der Schweiz. Gemäss Bundesamt für Umwelt trug er 2021 25,8 Prozent an den Gesamtausstoss bei. Der Wert hat über die Jahre zwar abgenommen – dank besserer Isolationsstandards, energetischer Sanierungen und Umstellungen bei den Gebäudeheizungen. Die meisten Schweizer Gebäude werden jedoch immer noch mit Öl oder Gas beheizt. Wenn bis 2050 die Netto-Null-Ziele erreicht werden sollen, muss der Rückgang des CO2-Ausstosses massiv schneller geschehen.

Nur: Die Hälfte der Liegenschaften in der Schweiz ist über vierzig Jahre alt – das sind rund 1,5 Millionen Gebäude. Die Sanierungsquote von heute lediglich 1 Prozent pro Jahr müsste sich mehr als verdoppeln. Da sich die gesellschaftlichen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den nächsten Jahren verändern werden, sind Immobilieneigentümer*innen nicht nur mit Blick auf die Umwelt zum Handeln angeregt, sondern auch mit Blick auf die lang fristige Rentabilität ihrer Liegenschaft.

Male and female architects discussing over project in board room seen through glass

Alle an einem Tisch: Das Erfolgsrezept beim nachhaltigen Bauen und Sanieren.

Quelle: Getty Images
«Transformationspotenziale erkennen»

Ibo Aktepe argumentiert: «Es gibt neben dem Ersatz fossiler Energieträger viele Hebel, die man ansetzen kann und muss. Unsere Arbeit als Architekten ist vor allem darin begründet, auch in diesem Kontext Potenziale zu erkennen.» Es gehe darum, zu ändern, wie gebaut werde, Mobilitätskonzepte neu zu denken und nachhaltig zu gestalten, bestehende Gebäude nicht nur zu «konservieren», sondern auch für neue Nutzungen zu transformieren, flexible Strukturen zu gestalten und Material wiederzuverwenden, aber auch wiederverwendbar einzusetzen. 

Ein entscheidender Faktor ist dabei auch der Blick auf die grauen Emissionen bei der Erstellung von Materialien. Hier bestehen noch Fragen bezüglich Daten und Gesetzeslage. Noch gibt es schweizweit und auch weltweit kein Reglement, das die Emissionen von Baumaterialien bei ihrer Produktion begrenzt. Umso deutlicher erscheint das Potenzial von Bestandsgebäuden: «Durch das Erkennen von Transformationsmöglichkeiten nutzen wir Gebäude weiter und vermeiden un nötige Abrisse und CO2-Emissionen.» 

80 Prozent des Schweizer Abfalls stammt aus der Baubranche, mehrheitlich aus dem Abriss von Gebäuden. Umgerechnet handelt es sich um rund 500 Kilogramm Abfall jede Sekunde, wie Radio SRF im Vorjahr in einem Beitrag zu einer Ausstellung des Architekturmuseums in Basel errechnete. Eine Statistik, die in die Berechnung des Fussabdrucks der Baubranche einfliesst und aufzeigt, wie weit der Weg zu Netto-Null noch ist – zumal Abfall einerseits ein ökologisches Problem, aber auch ökonomisch nicht wünschenswert ist.
 
Die Abfallthematik lässt sich für die Zukunft nur in den Griff bekommen, wenn langfristig geplant wird. «Es geht auch darum zu eruieren, was in den nächsten 50 Jahren mit einem Gebäude passiert», erklärt Aktepe und verweist auf das Werkstadthaus, das SSA Architekten im Berner Vorort Ostermundigen mitplant. «Jetzt kommt das Hochhaus aus Holz», titelte die lokale Zeitung «Der Bund» zum Projekt. Aktepe: «Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie Kreislauffähigkeit per se funktionieren kann: nach dem Prinzip von ‹Cradle-to-Cradle›. Das heisst: Elemente, die wir einbauen, werden auch wieder in den Kreislauf gebracht.» Dabei gehe es um Fügetechniken und ganze Bauteile. Gleichzeitig sieht Aktepe das Werkstadthaus als integratives Modell, das eine Antwort auf Verdichtungsproblematiken in Stadt und Agglomeration sein kann. Wer sich Bilder des Projekts anschaut, merkt: Nachhaltigkeit ist kein kreativer Bremser und verhindert schönes Bauen nicht. «Es kann eine Chance sein, Architektur-Ästhetik neu zu begreifen – neue Strukturen zu schaffen, die zum Beispiel auch das Thema Photovoltaik aufgreifen können. Und dann muss man Gebäude auch als eine Art Kraftwerk bezeichnen, die einen gewissen Autarkiegrad in der Energiegewinnung haben können», erläutert Aktepe.

Das Werkstadthaus in Ostermundigen. 2025 soll Baubeginn für das Gebäude sein, das nach dem «Cradle-to-Cradle»- Prinzip entsteht.

Das Werkstadthaus in Ostermundigen. 2025 soll Baubeginn für das Gebäude sein, das nach dem «Cradle-to-Cradle»- Prinzip entsteht.

Quelle: Filippo Bolognese Images, Mailand / Architekturbüro: SSA Architekten, Basel
«Der Erfolgsfaktor: Alle früh an einem Tisch»

Der Baubeginn fürs Werkstadthaus soll 2025 sein. Schon viele Schritte weiter ist man in Greencity, einem Stadtquartier im Südwesten Zürichs, im alten industriequartier Manegg. 2017 begannen Bewohnerinnen und Bewohner einzuziehen, und es wurden Büros in Betrieb genommen. Das erste 2000-Watt-Areal der Schweiz bietet nachhaltigen Wohnraum für rund 2000 Personen, 3000 Arbeitsplätze, eine Schule, Läden und verschiedene Restaurants. Auch sechs Jahre nach dem Start wird das Quartier Etappe für Etappe erweitert: Anfang 2023 konnte das neue Schulhaus Allmend (inklusive Photovoltaikanlage) in Betrieb genommen werden. Derzeit plant Immobilienentwicklerin und Totalunternehmen Losinger Marazzi das Baufeld B6 (Vergé) – die letzte Etappe von Greencity. Das Energiekonzept von ewz, dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich, setzt auf verschiedene erneuerbare Quellen, zudem sind in den Tiefgaragen bereits 24 Ladestationen für Elektromobilität installiert.

«Zusammen mit der Projektentwicklerin haben wir eine ganzheitliche Lösung für die komplette Energieinfrastruktur geplant, realisiert und betreiben diese für die nächsten 30 Jahre. Wir sind stolz, dass alle Gebäude komplett fossilfrei mit Strom, Wärme und Kälte versorgt werden», sagt Christoph Deiss, Leiter Geschäftsbereich Energielösungen und Mitglied der Geschäftsleitung bei ewz. «Das Energiekonzept basiert auf verschiedenen erneuerbaren Energiequellen, ist ausbaufähig und lässt Spielraum für Anpassungen, wenn sich zum Beispiel das Klima ändert oder neue Objekte dazukommen.» Deiss lobt die engagierte Zusammenarbeit vor Ort: «Erfolgsentscheidend war, dass man die Expert*innen früh an den Tisch holte und definieren konnte, wohin man in diesem Projekt gemeinsam will. Das führte sogar dazu, dass man die Arealerweiterung mit dem ‹Areal West› ausserhalb von Greencity gemeinsam planen konnte – und damit mehr Fläche in der Stadt klimaneutral versorgen kann.»

Deiss ergänzt: «Integrierte Energielösungen müssen langfristig gedacht werden. Mit einer durchdachten Auslegung der Energieversorgung können die Betriebskosten über den Lebenszyklus einer Immobilie früh beeinflusst werden, wenn Planung und Ausführung näher zusammenrücken. Zudem lassen sich die Lebenszykluskosten mit einer laufenden Betriebsoptimierung später weiter senken.»

Ein Blick hinter die Kulissen von Greencity (oben). Alle Gebäude werden komplett fossilfrei mit Strom, Wärme und Kälte versorgt.

Ein Blick hinter die Kulissen von Greencity (oben). Alle Gebäude werden komplett fossilfrei mit Strom, Wärme und Kälte versorgt.

Quelle: ZVG
«Der Betrieb ist die längste Phase»

Dies bestätigt auch Roland Maag, Betriebsleiter Energielösungen bei ewz. Als Experte weiss er, wie sehr sich klimaneutrale Energielösungen über die Jahre rechnen. «Die Relevanz einer optimal abgestimmten Energielösung zeigt sich in der Betriebsphase einer Immobilie, die in der Regel mehrere Jahrzehnte dauert», beginnt er. Im Verhältnis zur kurzen Bauphase entstehen nämlich erfahrungsgemäss rund 90 Prozent der Lebenszykluskosten während der Nutzungsphase eines Gebäudes.»

Im Vergleich zum Neubau finden sich die grösseren Herausforderungen in der energetischen Sanierung von Bestandsbauten, sagt Maag. «Für diese Gebäude stehen oft nur wenige Daten zur Verfügung. Jedes Gebäude reagiert aufgrund seiner Baustrukturen und -materialien zudem anders – dies adressieren wir mit unserer langjährigen Expertise. Mit einer Feinjustierung der Systeme erzielen wir optimale Ergebnisse bei der Energieeffizienz.» Bei einem Neubau könne viel stärker mit Daten gearbeitet werden, «wir können sie dort auch besser interpretieren, werden einfacher auf Fehler aufmerksam und können diese leichter beheben».

Ein diesbezüglich besonders interessantes Vorzeigeprojekt ist im Genfer Quartier Petit-Saconnex zu finden: Dort entwickelte und realisierte Losinger Marazzi unter Mitarbeit von ewz das Projekt «Côté Parc» – so benannt wegen des Parks, in dem es liegt. Zwei bestehende Gebäude wurden aufgewertet und zwei Neubauten erstellt. ewz verantwortet vor Ort die gesamte Energieversorgung via Contracting-Modell – stellt also die verlässliche Versorgung mit Kälte, Wärme und Strom sicher. «Wir konnten die Daten von Vorläufersystemen verwenden und übernahmen, was sich bewährt hat», erklärt Maag. «Mit diesen Vergangenheitsdaten konnten wir die Anlage weiter optimieren und auf die künftigen Anforderungen ausrichten.»

Klimaneutrale Gebäude sind für Eigentümer*innen kurzfristig eine Investition. Expert*innen gehen aber von einem ökonomischen Nutzen bei einem Lifecycle von über 30 bis sogar 50 Jahren aus – und von einem Wertgewinn vor Abschluss dieser Zeit. Solche Rechnungen werden nicht nur in Ostermundigen, Zürich oder Genf getätigt, sondern auch in einem der berühmtesten Gebäude der Welt. Eher unbemerkt in Europa wurden im Empire State Building in New York, dem ehemals höchsten Gebäude der Welt, die CO2-Emissionen innert zehn Jahren um die Hälfte reduziert. Computertechnik überwacht und optimiert beispielsweise ständig verschiedene Komponenten wie die (neu isolierte) Klimaanlage. Die Energie, die entsteht, wenn die Lifte abbremsen, wird ins System zurückgespiesen. Das Ziel ist die Klimaneutralität bis 2030. Wenn sogar das Empire State Building klimaneutral werden kann, warum dann nicht mehr unserer Gebäude?

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Das Empire State Building ist auf bestem Weg, bis 2030 klimaneutral zu werden.

Das Empire State Building ist auf bestem Weg, bis 2030 klimaneutral zu werden.

Quelle: Shutterstock
Mission auf dem Weg zu 100 Prozent

Als nachhaltigste Energiedienstleisterin der Schweiz sieht sich ewz besonders in der Pflicht, zusammen mit der Immobilienbranche die Schritte zu Netto-Null innovativ zu beschleunigen. 
Mit der Mission 100% hat sich das Unternehmen darauf fokussiert, Immobilienprofis beim Schritt zum klimaneutralen Gebäudepark partnerschaftlich zu begleiten. Mit der entsprechenden Umsetzung grosser Areale und Überbauungen will ewz gemeinsam mit den Auftraggebern den Beweis erbringen, dass Netto-Null möglich ist, und Geb.udeeigentümer*innen zu mehr Effort und Mut in diese Richtung inspirieren.

So gelingt der Weg zu Netto-Null:

  1. Der beste Massnahmen-Mix für die Umsetzung klimaneutraler Gebäude entsteht, wenn alle Parteien früh im Planungsprozess zusammenkommen.
  2. Sind Netto-Null-Lösungen gleichzeitig wirtschaftlich und wertsteigernd, vereinfacht dies Umsetzungsentscheide und wirkt beschleunigend.
  3. Gute Lösungen entstehen oft, wenn über die eigene Parzelle hinausgedacht und für das Energiekonzept der Einbezug von Nachbarparzellen geprüft wird.
  4. Der Betrieb von Gebäuden und Anlagen muss von Anfang an im Fokus stehen, so können Energieverbrauch und Kosten über den Lebenszyklus minimiert werden.