Ein wohlhabendes Villenviertel am Rande von Moskau mitten am Tag: Ein Sondereinsatzkommando des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB stürmt den Prachtbau eines Kopfes der russischen Unterwelt. Mit Hunden durchsuchen Einsatzkräfte das prunkvolle Anwesen des Obermafioso, legen seine Komplizen in Handschellen.
Der Zugriff war am Montag, kurz darauf veröffentlicht das Innenministerium ein Video der Aktion im Internet (siehe unten). Angeblich fanden die Beamten bei der Razzia zwei Pistolen und eine Handgranate. Die Botschaft des Videos ist offensichtlich: Egal, wie reich du bist, wie hoch der Zaun deines Anwesens ist, wie viele Bodyguards du hast – wir können dich kriegen, immer und überall.
Demütigung vor laufender Kamera
Erwischt hat es Sachar Kalaschow, der in seinen Kreisen als «junger Shakro» bekannt ist, eine Legende der russischen Unterwelt. In dem Video sitzt der 63-Jährige nicht auf einem der vergoldeten Stühle im Esszimmer, nicht hinter dem barocken Schreibtisch an seinem Computer, sondern in der Küche – so wie seine Bediensteten, denen er sonst Befehle erteilt. Man hat ihn hierhergebracht, eine demütigende Inszenierung, der Kalaschow hilflos ausgeliefert ist.
«Hört auf zu filmen», sagt er. Das sei doch eine Show. «Mach die Kamera aus, dann können wir in Ruhe reden.» Die Gesichter der Einsatzkräfte, mit denen er spricht, sind auf dem Video nicht zu sehen. Einer fragt: «Sind Sie ein ,Dieb im Gesetz'?» Kalaschow schweigt.
Das Video der Verhaftung:
Mafia richtet Schaden im Milliardenbereich an
Die «Diebe im Gesetz», das ist eine verschworene Bruderschaft, ein global agierender Verbund krimineller Banden. Ihre Mitglieder stammen aus den ehemaligen GUS-Staaten und sind straff hierarchisch organisiert.
Für diese Gruppierung der organisierten Kriminalität ist Deutschland als Operationsgebiet besonders attraktiv. Serien von Wohnungseinbrüchen und Ladendiebstählen, Schutzgelderpressung, Prostitution und Geldwäsche werden ihnen zugerechnet. Bei dieser Form der russisch-eurasischen Kriminalität müsse man «sicher von Schäden im Milliardenbereich sprechen», hat der Präsident des deutschen Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, in der aktuellen Ausgabe der «Welt am Sonntag» gesagt.
Vermögensverwalter der Mafia
An der Spitze der Organisation der «Diebe» soll Kalaschow stehen, der Mann, der nun Besuch vom Inlandsgeheimdienst bekam. Seine Biografie weist ihn als gefährlichen Mann aus: Schon als 17-Jähriger wurde er in seiner georgischen Heimatstadt Tiflis in die «Diebe im Gesetz» aufgenommen, richtig in Fahrt kam seine kriminelle Karriere dann in Moskau.
Er machte sich offenbar Feinde, überlebte drei Mordanschläge, bevor er sich nach Spanien absetzte. In dieser Zeit soll er zum Vermögensverwalter der «Diebe» aufgestiegen sein. Die spanischen Behörden wurden auf ihn und seine Komplizen aufmerksam. Sie starteten die Operation «Wespe» – Bankkonten, Immobilien und Luxusautos wurden beschlagnahmt.
Nachfolger von «Opa Hassan»
Kalaschow konnte in die Vereinigten Arabischen Emirate flüchten, wo er jedoch im Mai 2006 festgenommen und nach Spanien ausgeliefert wurde. Die Anklage dort: Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Strafe: acht Jahre Haft und 20 Millionen Euro.
2014 schoben die Spanier Kalaschow nach Russland ab. Dort hatte sich inzwischen einiges verändert. Die «Diebe im Gesetz» waren führungslos. Denn ein Scharfschütze hatte ein Jahr zuvor die bisherige Nummer eins der Organisation erschossen: Aslan Ussojan, genannt «Opa Hassan». Ihn beerbte Kalaschow offenbar. Seitdem gilt er als der neue «Boss der Bosse».
Kontakt zum Geheimdienst
Die russischen Behörden liessen Kalaschow gut zwei Jahre lang gewähren. Die Festnahme lässt deshalb aufhorchen. Erklärt Moskau nun den «Dieben» und damit einer der weltweit gefährlichsten Gruppierungen der organisierten Kriminalität den Krieg?
Ein LKA-Beamter aus Süddeutschland, der seit vielen Jahren die Entwicklung der Organisation verfolgt, hält das für unwahrscheinlich. «Der FSB pflegt durchaus Kontakte zur Diebeswelt. Vielleicht war die Festnahme so etwas wie die Einladung zum Gespräch. Es könnte sein, dass der FSB einfach wissen will, welche Pläne Kalaschow hat», sagte der Beamte der «Welt».
Streit in der High Society von Moskau
Das russische Innenministerium begründet Kalaschows Festnahme mit einem spektakulären Vorfall im Dezember des vergangenen Jahres. Begonnen hatte alles mit dem Streit zweier attraktiver Frauen aus der High Society Moskaus. Janna Kim eröffnete im Juli 2015 das koreanische Restaurant «Elements», das ihr von der Designerin Fatima Misikova renoviert worden war. Misikova gilt als Liebhaberin des Mafia-Paten Kalaschow.
Über die Bezahlung der Renovierung gerieten die beiden Damen aneinander. Nach Informationen der russischen Qualitätszeitung «Kommersant» waren insgesamt umgerechnet rund 600'000 Euro vereinbart. Doch der Umbau dauerte der Restaurantbetreiberin zu lange, sie kündigte den Vertrag und bezahlte nur einen Teil.
«Der Italiener» greift ein
Am Abend des 14. Dezember 2015 kam es deshalb in den VIP-Räumen des «Elements» zum Versuch, den Streit beizulegen. Die Innenausstatterin, die hartnäckig auf einer Abfindung bestand, soll laut dem Internetportal «Rosbalt» ihren Liebhaber, den Mafia-Boss, um Hilfe gebeten haben.
Kalaschow schickte einen Vertrauten, in den Kreisen als «der Italiener» bekannt. Der soll von der Restaurantbetreiberin verlangt haben, rund 100'000 Euro zu zahlen. Falls sie dieser Forderung nicht nachkäme, werde das «Elements» in seinen Besitz übergehen.
Mächtige Freunde
Doch auch die Restaurantbetreiberin hatte mächtige Freunde. Der Ex-KGB-Offizier Eduard Budantsev nahm als Rechtsberater an dem Treffen teil. Gegen 22 Uhr traten die Delegationen auf die Terrasse des Restaurants.
Der «Italiener» habe dort erklärt, er sei auf Wunsch von Kalaschow hier und er habe den Ex-Geheimdienstler gefragt, ob er die Macht der «Diebe im Gesetz» anerkenne. Dessen Antwort: ein klares Nein. Das, was danach geschah, nahm eine Überwachungskamera ausserhalb des «Elements» auf: Die beiden Gruppen, rund ein Dutzend Männer, prügelten aufeinander ein, kurz darauf fielen die ersten Schüsse. Am Ende der Schiesserei lagen zwei Beteiligte tot am Boden. Sie beide waren Komplizen des «Italieners».
Mafioso hat wohl Grenze überschritten
Eine solche Schiesserei auf offener Strasse in Moskaus Innenstadt erinnert an Zustände, die in der Metropole in den 90er-Jahren herrschten. Damals gehörten brutale Revierkämpfe unter Kriminellen zur Tagesordnung. Zustände, die wohl auch das Innenministerium und der dort angeschlossene FSB verhindern möchten.
Der Landeskriminalamt (LKA)-Experte aus Süddeutschland erklärt sich den Eingriff des Innenministeriums mit einer Grenzüberschreitung des Obermafioso. «Möglicherweise hat Kalaschow eine zu dicke Lippe riskiert und ist damit einflussreichen Personen auf die Füsse getreten. Dann wäre die Festnahme eine Machtdemonstration, um ihm seine Grenzen aufzuzeigen.»
Deutsche Luxusautos und Privatarmee
Es ist eine Machtdemonstration, die das Innenministerium jetzt vor den Augen der Welt ausgebreitet hat. Schliesslich bietet das Video, das die Einsatzkräfte gefilmt haben, einen seltenen Blick in die abgeschottete Welt der «Diebe im Gesetz». Wie durch ein Schlüsselloch kann man nun sehen, wie die Anführer dieser Organisation leben.
Zwei Luxuskarossen deutscher Produktion in der Garage, eine kleine Privatarmee durchtrainierter Personenschützer, ein Swimmingpool im Keller und Zimmer voll mit teurem Nippes und Porzellanvasen – Bilder, die Bände über das Selbstverständnis der «Diebe» sprechen.
Machtkämpfe zu befürchten
Was mit Kalaschow nach seiner Festnahme geschieht, ist offen. Die russischen Behörden, die wegen Erpressung ermitteln, haben sich noch nicht offiziell dazu geäussert, ob sie Kalaschow anklagen wollen. Doch durch eine längere Inhaftierung des Mafia-Bosses könnte die kriminelle Konkurrenz ihre Chance wittern.
Schon zwischen 2009 und 2014 kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Clans der «Diebe». Nach Ansicht des LKA-Experten war es Kalaschow, der damals einen Waffenstillstand im Bruderkrieg vermitteln konnte. Um weiteres Blutvergiessen zu verhindern, könnten die russischen Behörden es zunächst bei dieser einen Machtdemonstration belassen, vermutet der Beamte. «Es würde mich nicht wundern, wenn Kalaschow in einigen Tagen wieder auf freiem Fuss wäre.»
Dieser Artikel ist zuerst auf unserer Schwester-Publikation «Die Welt» unter dem Titel «So luxuriös und abgeschottet lebte der "Boss der Bosse"» erschienen.