Betriebsamkeit in der Burgerbude «Ray’s Hell» in Arlington bei Washington. An einem engen Tisch sitzen Russlands Präsident Dmitri Medwedew und US-Präsident Barack Obama. Die Ärmel sind zurückgerollt, man ist unter Freunden. Als «Cheeseburger Diplomatie» geht das Treffen in die Geschichte der Staatsmänner ein. Nach Coke und Burger reist Medwedew im Sommer 2010 ins Silicon Valley, wo er Apple-Chef Steve Jobs trifft. Der Techcrack erklärt ihm am Apple-Hauptsitz das neue Iphone 4. Medwedew ist beeindruckt. Nach der Rückkehr verrät er der «Moscow Times»: «Steve hat mir erklärt, wir Russen hätten ein Problem mit unserer Mentalität.»

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Seine Antwort: «Er hat Recht. Ich sage: Wir werden diese Mentalität ändern.» Wie, macht er gleich selber vor. Er lässt sich mit Tech-Gadgets ablichten, benutzt Facebook und Twitter (heute X) und kündigt an: «Wir tun alles, um ein verlässlicher Partner zu sein, für das russische Volk und unsere ausländischen Partner». Auf seiner offiziellen Kreml-Website hinterlässt er die Mail-Adresse kremlin@gov.ru - «für Rückmeldungen und Vorschläge», wie es heisst.

Die grosse Recherche
Viktor Vekselberg: Putins Mann, oder doch nicht?

Das sind neue Töne für Russland. Mitdenken, mitentscheiden. Die einen freut es, die Städte, die Jugend, die Intelligenzia. Andere reiben sich die Augen und möchten lieber fliessendes Warmwasser in der Mietwohnung. Die Dritten fürchten um ihre Macht und wetzen die Messer – zu ihnen gehört zweifellos Putin und seine alten KGB-Krieger. Sie fürchten um ihren Einfluss, nicht unbegründet. Denn die Opposition um Alexey Nawalny legt gemäss Umfragen zu und schiesst scharf gegen die alte Machtclique aus der Sowjetzeit. Eine Website wird aufgeschaltet: «Putin muss gehen!» Medwedew, den Putin nach seiner zweiten Präsidentschaft als Nachfolger installierte, droht ausser Kontrolle zu geraten. Insgeheim spekuliert er, ab 2012 auf eine zweite Amtszeit als Präsident. Putin hat andere Pläne – und ist alarmiert.

Medwedew, der sich als Modernisierer geriert, findet einen Verbündeten in Vekselberg. Dieser ist schon lange vom Glauben beseelt, dass Marktwirtschaft das Leben von Millionen Russinnen und Russen verbessern kann. Und er glaubt an die Formel: 1 plus 1 sind 3. Russland hat Ressourcen und Fachkräfte – und der Westen Kapital und Know-how. Beides schafft Wohlstand für alle, davon ist er überzeugt. Und er wälzt die Idee eines Silicon Valley für Russland, eines Techlabors wie das Vorbild in Kalifornien. Der Name des Projekts lautet Skolkowo. Medwedew nimmt die Idee gerne auf.

Dimitri Medwedew spricht an einer Medienkonferenz zum Skolkowo Innovationszentrum im Jahr 2011.

Dimitri Medwedew spricht an einer Medienkonferenz zum Skolkowo Innovationszentrum im Jahr 2011.

Quelle: imago stock&people

Das Silicon Valley an der Moskwa soll zum Restart der rohstoffreichen, aber rückständigen Volkswirtschaft werden. Medwedew ernennt Vekselberg zum ersten Präsidenten von Skolkowo, weil er ihm, dem «Unternehmer des Jahres 2009» zutraut, mit seiner Erfahrung und seinem Netzwerk das Milliardenprojekt zum Fliegen zu bringen.

Vekselberg tauschte sich mit Bill Gates aus

Der Unternehmer ist euphorisiert. Er besucht alle Techno-Parks dieser Welt, in Indien, Israel, Singapur, in den USA und der Schweiz. «Sein Airbus war sein Schlafzimmer», erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter. Einmal sei er in einer einzigen Woche viermal über den Atlantik gedüst. Er tauscht sich mit Microsoft-Gründer Bill Gates aus, mit Cisco-Chef John Chambers, redet mit Angela Merkel und Benjamin Netanjahu über das Schaffen einer Startup-Kultur. Zum Co-Präsidenten von Skolkowo beruft Vekselberg Craig Barrett, der langjährige Chef von Chipherstellers Intel.

Seinem Ruf nach Moskau folgen Forscherteams von Cisco, Boeing, Google, Intel, Nokia, auch Chemie-Nobelpreisträger Roger Kronberg macht mit. Vekselberg ist der Mastermind dieser neuen globalen Innovationsallianz, bis zur physischen Erschöpfung. Bei diesem Abenteuer möchte die EU auch dabei sein; sie besiegelt mit Medwedew 2009 die «Europäisch-Russische Partnerschaft zur Modernisierung»; drei Jahre später wird Russland in die Handelsgemeinschaft WTO in Genf aufgenommen. Die Signale stehen auf Öffnung und Marktwirtschaft.

Unternehmer Vekselberg macht es selber vor. Sein Firmengeflecht, das mittlerweile über vier Kontinente gewachsen ist, will er in einer Firmenzentrale zusammenfassen. Auf der Shortlist der Standortwahl stehen Paris, London und Zürich. Schliesslich entscheidet er sich Zürich und betraut Peter Loescher, den ehemaligen Siemens-Präsidenten, mit dem Aufbau der Renova-Konzernzentrale. Mittlerweile beschäftigt Renova 150 000 Mitarbeitenden und setzt Dutzende Milliarden um. Im Zürcher Seefeldquartier mietet er Büros mit Seesicht an, dazu wird eine Firmenbroschüre gedruckt, die über 30 Seiten das Renova-Imperium präsentiert. Es ist ein buntes Konglomerat, aktiv in Maschinenbau, Flughafenbauten, Energieversorgung, Finanzen, Detailhandel, Telekom, Chemie, Rohstoff, Digitalwelt - von New York bis Sibirien, von Südafrika bis Kasachstan.

Viktor Vekselberg, Vorsitzender des Kuratoriums des Skolkowo-Instituts für Wissenschaft und Technologie (SkolTech) und Vorsitzender des Verwaltungsrats der Renova-Gruppe, spricht vor einer Sitzung des Kuratoriums der Skolkowo-Stiftung in der Region Moskau, Russland, mit dem VEB.RF-Vorsitzenden Igor Schuwalow.

Viktor Vekselberg, Vorsitzender des Kuratoriums des Skolkowo-Instituts für Wissenschaft und Technologie (SkolTech) und Vorsitzender des Verwaltungsrats der Renova-Gruppe, spricht mit dem VEB.RF-Vorsitzenden Igor Schuwalow.

Quelle: IMAGO/SNA

Und er baut sich ein Netzwerk in der Schweiz auf. Er berät das WEF, bucht die Nationalmannschaft Argentiniens für Freundschaftssspiele und lässt Messi & Co im Berner Wankdorf gegen die Schweiz antreten. Das Vergnügen, das er von der Haupttribüne verfolgt, lässt er sich 25 Millionen kosten. Er sponsort den liberalen Think Tank Avenir Suisse, dazu Schwingfeste und Ausstellungen, doch zum Liebling der Schweiz wird er gleichwohl nicht. In Zürich wird er vertrieben, auch am neuen Wohnort Zug gibt es Ärger. Da streitet sich allen Ernstes das liberale Wirtschaftsdepartement des Kantons und das grün-alternative Innendepartement bis vor Zuger Obergericht, ob die Eigentumswohnung Vekselbergs ins Grundbuch eingetragen werden darf oder nicht wird. Zur Abklärung, erwähnt das Gerichtsurteil, überprüften die Behörden Autonummern, Haftpflichtversicherung, Telefonrechnung und ob der Milliardär seine Krankenkassenprämien termingerecht zahlt. Es sind Geschichten aus Seldwyla, die einer in Zug erlebt, der hunderte Millionen in Schweizer Firmen investiert hat und weit über 20 000 Mitarbeitende beschäftigt. Schliesslich setzte sich beim Streit das Wirtschaftsdepartment durch. Vekselberg, sagt ein Kenner der Politik, gehöre zu den besten Steuerzahlern im Kanton. Man rede von Millionensummen.

Längst ist er mit vielen Wirtschaftsführern im Land auf Du. Er kennt diverse Industrielle, darunter Peter Spuhler. Mit ihm verhandelte Vekselberg bereits 2009 über einen Verkauf eines Firmenteils an Rieter, wo Spuhler Grossaktionär ist. Auch mit Amag-Besitzer Martin Haefner verbindet er sich, bei der Stahlfirma Swiss Steel, doch es ist eine harzige Liaison. Jahrelang kämpfen die beiden Milliardäre um die Macht und bemühen auch Gerichte. Schliesslich tritt Spuhler als Mitaktionär auf und kann die beiden Investoren versöhnen. Spuhler bestätigt, was auch andere Industrielle sagen: «Vekselberg hat sich stets an alle Abmachungen gehalten.» Viele kann er nach der Sanktionierung durch die USA nicht mehr treffen, denn faktisch sind ihm die Hände gebunden. Er kann keine Firmen mehr kaufen, auch an den Ausbau von Beteiligungen ist nicht zu denken. Die Dividenden, die ihn von diversen Firmen zustehen, landen auf Sperrkonten, auf die er keinen Zugriff hat. Derweilen müssen Firmen wie Sulzer oder Oerlikon selber schauen, wie sie mit dem sanktionierten Russen als Grossaktionär über die Runden kommen.