Putin und Vekselberg sitzen im Präsidentenbüro am kleinen Arbeitstisch, der mit Dokumenten belegt ist. Keine Zeit für Smalltalk, es geht an diesem Frühlingstag 2003 um Milliarden. Vekselberg weiht Putin in einen Geheimplan ein: Er will mit der Westfirma British Petroleum (BP) ins Geschäft kommen. Ein Joint Venture ist mit den Briten ausgehandelt, um Erdöl in der Arktis zu fördern.
Putin hört Vekselbergs Erläuterungen zu, doch ein Punkt sticht ihm ins Auge: das Beteiligungsverhältnis von fifty-fifty. «Einer muss das Sagen haben, sonst sind Konflikte programmiert», wirft der Präsident ein. Sein Vorschlag: eine einzelne Aktie, eine goldene, kläre die Machtverteilung. Guter Einwand, entgegnet der Unternehmer, «aber wir setzen auf Kompromisse». Deshalb würden Schlüsselpositionen ja auch doppelt besetzt – mit je einem Russen und einem Briten. Putins Antwort: «Ihr entscheidet selber, aber gleiche Aktienanteile funktionieren nicht.» Vekselberg nimmt Putins Einwand zur Kenntnis und verabschiedet sich.
Ein Trio aus der Ukraine mischt den russischen Ölmarkt auf
Denn die Weichen sind längst gestellt. Das Zusammengehen mit BP ist die Kulmination einer forschen Expansion. Gemeinsam mit den Milliardären Len Blavatnik und Michail Fridman mischt Vekselberg den Ölmarkt auf. Das umtriebige Trio verbindet die Herkunft der Unternehmer: Sie stammen aus dem jüdischen Milieu der heutigen Ukraine – Blavatnik aus Odessa, Vekselberg aus Drohobytsch, Fridman aus Lviv. Und sie ergänzen sich perfekt: Vekselberg ist der Industrielle, Blavatnik der prallvolle Dollartresor, und Fridman hat die Connection ins Machtzentrum, weil er Jelzins Wiederwahl 1996 mitfinanzierte.
Die drei Freunde werden zum Trio Infernale beim Run auf die Rohstoffgiganten, die nun versteigert werden. Sie schnappen sich als Erstes den staatlichen Ölbetrieb TNK und kaufen fleissig zu. Schon bald ist TNK hinter Rosneft und Yukos die Nummer drei im Ölgeschäft, doch bei Ertragskraft und Dividende ist TNK allen meilenweit voraus. Die tollen Zahlen wecken das Interesse der Konkurrenz im Westen, allen voran bei BP, wo man nach dem Brand der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko dringend eine Wachstumsstory braucht. Hier ist sie – TNK. Hoch rentabel, im Besitz von Draufgängern, beraten von der Investmentbank Goldman Sachs aus New York.
Schnell ist man handelseinig: Die BP-Briten und die TNK-Russen bilden ein Fünfzig-fünfzig-Joint-Venture. Der Name: TNK-BP. Ein Deal, der bereits am ersten Tag einschenkt: Als Abgeltung für ihre wertvollen Assets kassieren Blavatnik, Fridman und Vekselberg schon mal 10 Milliarden Dollar. Nur einer ist skeptisch: Präsident Putin, wie das Treffen im Kreml zeigt. Doch er macht – vorerst – gute Miene zum bösen Spiel.
Zum Empfang bei der Queen
Zur Vertragsunterzeichnung des Joint Ventures fliegt Putin im Sommer 2003 nach London und stösst mit dem britischen Premierminister Tony Blair, BP-Chef John Browne und Vekselberg auf die neue Weltfirma TNK-BP an. Am Abend gibt die Queen in Buckingham Palace ein Bankett und verkündet vor der Wirtschaftselite: «Russland ist unser Freund und Partner.» Putin, der mit Fliege und Frack neben der Gastgeberin sitzt, lächelt gequält.
Für BP geht die Rechnung auf: Endlich kann der Konzern den ewigen Konkurrenten Shell bei der Öl- und Gasmenge übertrumpfen. Der Erfolg ist an der BP-Aktie ablesbar, die um 50 Prozent zulegt. Im Gleichschritt steigt Vekselbergs Reputation im Westen. Er gilt nun als Erfolgsgarant, der weiss, wie man Partnerschaften zwischen Ost und West zum Blühen bringt.
Auch die Wirtschaftsmedien sind begeistert. Da ist ein Russe, der Kapitalismus kann, einer mit Stil und einem echten Cheminée im Büro, wie das Magazin «The New Yorker» vermerkt. Vekselberg wird als der perfekte Go-Between gefeiert, weltweit vernetzt, im privaten Airbus unterwegs, Sponsor des Mariinsky-Orchesters aus St. Petersburg. Auch als Keynote-Speaker ist er gefragt, denn Russland ist das neue China, allerdings viel offener für Direktinvestoren und gesegnet mit Bodenschätzen.
2004 referiert Vekselberg in der Carnegie-Stiftung in Washington vor CEOs zu seiner Lebensstory: «Von einer russischen Firma zum multinationalen Konzern». Er spricht über Corporate Governance («Zentral»), sozialen Frieden («Hohe Löhne sind wichtig»), Nachhaltigkeit («Thema der Zukunft») und über den Culture Clash. Klar hätten russische Manager gegenüber dem Westen viel aufzuholen, führt er aus, doch er warnt: «Treten Sie in Russland nicht als Kolonialisten auf, das kommt nicht gut an.» Sensibilität sei gefragt, zumal in Ost-West-Partnerschaften zwei komplett unterschiedliche Mentalität aufeinanderprallten.
BP will Vekselberg und Co. ausbooten
Während der polyglotte Russe in New York und London das Loblied auf Marktchancen in Russland singt, ist die Realität etwas profaner. Es trifft genau das ein, wovor Putin im Kreml warnte: Es gibt Radau zwischen den Fifty-Fifty-Geschäftspartnern. Die TNK-Russen drängen auf eine Expansion nach Westen, nach Venezuela und Brasilien, doch die BP-Briten wollen nach Osten, in die Ölfelder der Arktis. Die Russen verlangen mehr Macht, die Briten mehr Visas für ihre Kaderleute.
Schliesslich titulieren die Briten ihre Partner in der Presse als «Corporate Raiders», die mit korrupten Beamten Westmanager drangsalieren, worauf die Russen in London eine Klage wegen Verleumdung einreichen. Schliesslich flieht TNK-BP-Chef Bob Dudley in der Nacht aus seiner Moskauer Wohnung und setzt sich nach London ab, weil er einen Giftanschlag durch den Geheimdienst befürchtet. «Die haben über jeden Bleistift gestritten», weiss ein Beteiligter.
2008 spitzt sich der Zoff weiter zu. Denn Vekselberg findet eine «Smoking Gun»: Im Hinterzimmer, erfährt er, haben die Briten ausgerechnet mit dem ärgsten Konkurrenten von TNK angebandelt – mit der Ölfirma Rosneft. Sie wollen Vekselberg und Co. also abservieren und durch den russischen Staatsbetrieb ersetzen, der die einträglichsten Förderlizenzen besitzt.
Nicht mit Vekselberg, der umgehend zum Widerstand bläst. Der Geheimvertrag zwischen BP und Rosneft verstosse krass gegen Treu und Glauben, poltert er, und in die Kameras der britischen BBC faucht er: «Ich bin ausser mir und kann mich nicht beruhigen.» Dann klagt er am internationalen Schiedsgericht in Stockholm gegen die Geschäftspartner – und triumphiert. Das Gericht gibt den Russen recht und verurteilt BP wegen Vertragsbruch zur Strafzahlung von 325 Millionen Dollar, zudem muss der unterschriftsreife Allianzvertrag mit Rosneft geschreddert werden.
Das Urteil ist ein Kantersieg für Vekselberg und Co., doch für die BP-Chefs ist es ein Desaster, denn sie sind als Trickser entlarvt. Für Rosneft ist der Sieg der Milliardäre vor einem Westgericht ein Affront. Auch für Putin, denn Rosneft-Chef Igor Setschin ist seit ihrer gemeinsamen Zeit beim Geheimdienst KGB einer seiner engsten Vertrauten. BP-Chef John Browne, der an vorderster Front gegen die Oligarchen intrigierte, bilanziert in seiner Autobiografie «Beyond Business» trocken: «Wir haben gemeint, wir würden den Russen zeigen, wo es langgeht, aber sie haben es uns gezeigt.»
Eine sehr lukrative Scheidung mit dem Segen des Kreml
Nach dem Stockholmer Urteil geht der «Guerillakrieg» («Financial Times») weiter. Er endet erst 2013, als Rosneft-Chef Setschin einen Deal auf den Tisch legt, der verführerisch ist. Vekselberg und Co. treten ihre TNK-BP-Aktien an Rosneft ab und kassieren 28 Milliarden Dollar in Cash; die Briten ihrerseits tauschen ihre TNK-BP-Aktien gegen eine 20-Prozent-Beteiligung an Rosneft ein.
Es ist ein Trennungsplan, der alle befriedigt: BP, die Russen, Rosneft. Und Putin. Denn der hat den Deal wohl persönlich aufgesetzt, wie ein Kreml-Protokoll vermuten lässt. Bei einem Treffen mit Putin sagt Rosneft-Chef Setschin: «Wir haben den Plan nach Ihren Instruktionen umgesetzt.»
Für die BP-Aktionäre ist die Allianz mit Rosneft der Jackpot: Mit 3 Milliarden Gewinn pro Jahr wird die Russland-Division zur lukrativsten Sparte im Konzern. Doch die Dollars vernebeln jeden kritischen Blick. Nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion bauen die Briten das Joint Venture mit Rosneft weiter aus. Rosneft profitiert gleich zweifach: Die Staatsfirma hat dank BP Zugriff auf westliches Know-how und kann Russland jedes Jahr 14 Milliarden Dollar abliefern.
Nach dem Angriff auf die Ukraine beschliesst BP schliesslich, die Beteiligung an Rosneft abzustossen. Doch so einfach ist es nicht, denn ohne Plazet des Kreml kann das Rosneft-Paket nicht nach China oder Indien verkauft werden. Putin hat ohnehin andere Absichten. Er will die Briten aller Welt vorführen und meint süffisant: BP dürfe gerne weiter Rosneft-Grossaktionär bleiben. Die BP zustehende Dividende läge auf einem Konto in Moskau, abholbereit.
BP wird die Rosneft-Beteiligung nicht los
Und was meint der Weltkonzern aus London auf Anfrage? «BP bezieht seit dem 27. Februar 2022 keine Dividende mehr und wird auch keine mehr beziehen.» Und weiter: Man treibe den Verkauf der Rosneft-Aktien voran. Dabei hat sich der britische Weltkonzern in seiner Gier nach russischen Petrodollars verrannt.
All diese Umstände müssten Vekselberg stutzig machen. Er wurde doch von den USA an den Pranger gestellt, weil er angeblich in der Energieproduktion Russlands aktiv sei und so Putins Angriffskriege mitfinanziere. Nur, die Fakten zeigen ein anderes Bild: Vekselberg ist bereits 2013 – mit dem Verkauf seiner TNK-BP-Aktien – aus dem russischen Ölgeschäft ausgestiegen.