Herr Künzi*, mit Ihrem Unternehmen Enigma helfen Sie seit Jahren Parteien und Interessengruppen bei der Durchführung von politischen Kampagnen, etwa bei «No Billag». Machen Sie das Gleiche wie Cambridge Analytica?
Wir setzen in der Tat ähnliche Instrumente in der Datenanalyse, der Beeinflussung von Wählern und der Steuerung von politischen Kampagnen ein wie Cambridge Analytica. Das machen viele Agenturen weltweit. In der Schweiz ist diese Datennutzung aber noch nicht wirklich auf dem Radar der Parteien und Politikern.
Dann missbrauchen Sie also auch Daten von Bürgern, um sie zu beeinflussen?
Wir arbeiten mit Daten von Facebook, Google und anderen Anbietern, die für jeden zugänglich sind. Das ist völlig legal und kein Missbrauch.
Sondern?
Es geht darum, diese Daten geschickt zu kombinieren, zu bündeln, einzuordnen und Schlüsse für politische Kampagnen daraus zu ziehen, wie sie die Wähler in der Kommunikation beeinflussen. Dabei verfolgen wir ethische Grundsätze.
Das sagen alle. Was würden Sie nie tun?
Zum Glück müssen wir in der Schweiz nicht so weit gehen, wie im Ausland, wo Hacker den politischen Diskurs beeinträchtigen.
Werten Sie nur Daten aus oder manipulieren Sie die Wähler gezielt?
Wir setzen Tools ein, die man als Bots bezeichnen kann und sich der Methoden Künstlicher Intelligenz bedienen. Das sind Programme wie IBM Watson oder Zapier, welches beispielsweise die emotionale Motivation von Zielgruppen analysieren oder Automatisierung von Vorgängen ermöglichen. Andere Bots bedienen sich der frei zugänglichen Schnittstellen bei Social Media und gewähren den Zugriff auf Daten. Wir setzen Crawler ein, um Inhalte von Google oder anderen Medien zu extrahieren. Und wir sind in der Lage, Inhalte gezielt an empfängliches Publikum zu verbreiten. Aus dem Klickverhalten können wir feststellen, ob jemand dem «Nein»-Lager angehört und können die Wähler – je nach Auftrag – in ihrer Meinung bestärken oder mit Argumenten dagegen wirken.
Dann setzen potenzielle Wähler also mit einem Klick eine ganze Kettenreaktion in Gang?
Es ist wichtig, dass Wähler unterschiedliche Botschaften erhalten, die genau für sie passen. Das ist wie bei Werbebotschaften in sozialen Medien. Suchen Sie nach der Stadt Florenz, ist es logisch, dass später Anzeigen für Hotels auf Social Media auftauchen. Das sind ja nur die Basics, das Ganze steckt noch in den Kinderschuhen. Bei politischen Kampagnen geht es in die gleiche Richtung. Es findet ein grosser Umbruch statt, wie Daten in der Politik genutzt werden.
Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Wir haben bei der Abstimmung um die zweite Gotthardröhre mitgewirkt: Das ist ein Thema, dass sehr umstritten war. Wir haben die Trends analysiert, und auf dieser Basis weit über hundert unterschiedliche Kombinationen von Bild- und Textbotschaften im Internet über soziale Medien verbreitet. Jeder Wähler sollte genau die Botschaft erhalten, die seinem soziografischen Profil ensprach. Unser Ziel war es, dass der Modedesigner aus dem Zürcher Kreis 4, aber auch der Rentner aus Airolo individuelle Botschaften zum Thema erhielt. Die verbreiteten Inhalte fühlen sich dann nicht wie Werbung an, sondern als wertvoller Inhalt, der die Meinungsbildung schärft und das Abstimmungsverhalte beeinflusst.
Setzen Sie auch Bots ein, die automatisch Kommentare in Diskussionforen platzieren?
Das ist in der Schweiz noch gar nicht nötig. Es muss immer abgewogen werden, ob Automatisierung oder menschliche Interaktion einfacher zu realisieren ist. Es gibt genügend Leute, die ihre politische Botschaften freiwillig verbreiten. Dabei kristallisieren wir eine Gruppe von «Influencern» heraus und füttern sie mit Inhalten oder Social Media-Posts und geben ihnen die Tools, sie per Knopfdruck weiter zu verbreiten. Wenn sie solche Botschaften «pfannenfertig» erhalten, verbreiten sie diese in Windeseile.
Wie gehen Sie konkret vor?
Gerne kann ich ein Beispiel aus der letzten grossen Kampagne nennen – «No Billag». Wir haben vom Schweizer Gewerbeverband den Auftrag erhalten, die Kamapgne zu beeinflussen. Dafür haben wir das weltbekannte Gemälde «Der Schrei» von Edward Munch eingesetzt. Das Werk ist über 70 Jahre alt und nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Das Bild wurde nicht nur auf Social Media rege geteilt, sondern hat auch die Medienaufmerksamkeit auf sich gezogen. Solche Ideen kann keine Maschine aushecken.
Also kann man mit Bots, Künstlicher Intelligenz und Social Media keine Abstimmungen gewinnen?
Nein, nicht ausschliesslich. Aber schauen Sie sich die Abstimmungsresultate aus den letzten Jahren an – mal ausgenommen die No Billag-Abstimmung: Sie sind immer ziemlich knapp ausgefallen. Diese zwei bis drei Prozent Wähler, die den Unterschied machen, können wir mit unseren Tools beeinflussen. Es bringt jedenfalls mehr, als wenn man die ganze Schweiz von Glarus bis Lausanne mit dem gleichen Plakat zupflastert.
Zu ihren Kunden zählen Gewerbeverbände oder Handelskammern, aber auch die französische «La République En Marche» von Emmanuel Macron. Für diese Partei haben Sie eine Kampagne für in der Schweiz lebende Wähler lanciert. Wie lässt sich Ihr Erfolg messen?
Wir haben bis jetzt noch keine Abstimmung verloren, an der wir beteiligt waren. Wir wussten auch, dass Donald Trump die Wahlen in den USA gewinnen wird. Das zeigt uns, dass wir mit unseren Techniken richtig liegen. Wir haben verstanden, dass es um Emotionen und einfache, politische Botschaften geht.
Sie können also anhand von Daten die Zukunft voraussagen?
Nein, aber wir können Tendenzen messen und mit der Meinungsbeeinflussung schon früher anfangen als die Medien und die Parteiflyer. Nehmen Sie die Unternehmenssteuerreform. Es war absehbar, dass sie scheitert. Die Leute hatten keine emotionale Bindung zu diesem Thema, es war viel zu kompliziert aufbereitet. Das war anders bei der «Ausschaffungsinitiative». Wenn ein Wähler eine Botschaft acht bis zwölf Mal hört, dann glaubt er sie. Das zeigen Studien.
Einfach, emotional....reiten Sie auf der Welle der Populisten mit?
Wir sind weder rechts noch links, sondern unser Team repräsentiert die breite politische, liberale Mitte. Wir setzen aber klar auf die neuen Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Hier versagt die Politik: Die gesetzlichen Regulierungen über Datenschutz kommen zu spät.
Die subtile Nutzung von Daten und die unterbewusste Beeinflussung macht die Leute doch stinksauer...
Ich verstehe nicht, warum die Leute wütend werden, wenn wir unseren Job machen. Wir nutzen frei verfügbare Tools mit frei zugänglichen Daten. Was ist daran falsch? Es ist jeder freiwillig auf Facebook, oder?
Machen Sie es sich da nicht zu einfach? Die Datenschutzeinstellungen von Facebook zu beherrschen, ist eine Wissenschaft.
In der Tat sind die User viel zu lasch im Akzeptieren der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Online-Giganten. Unsere Gesellschaft lehrt uns, Güter und Dienstleistungen mit Geld zu bezahlen. Facebook und Google haben früh verstanden, dass Daten eine andere Form der Währung sind. Welche Macht Daten haben, sehen wir nun.
Wenn Ihre Technik so überzeugend ist, warum kommen denn nicht die grossen Parteien in der Schweiz zu Ihnen?
Das frage ich mich auch. Sie würden jedenfalls eine Menge Geld sparen, die noch immer für Plakate und Inserate ausgegeben werden. Die Schweiz ist aber nach wie vor sehr traditionell geprägt und es hat noch keine Partei den Schritt gewagt, für eine Abstimmung den klassischen Weg zu verlassen und mit Technologie viel gezielter die Meinung zu beeinflussen. Dafür hängen sie dann bis zwei Monate vor der Abstimmung überall Plakate auf. Das läuft immer gleich, hat aber im digitalen Zeitalter immer weniger Impact. Aber in den letzten Monaten haben wir vermehrt Anfragen erhalten, die in eine Richtung gehen, bei der wir als federführend bei einer Kampagne zum Einsatz kommen könnten.
* Martin Künzi ist COO und Mitinhaber der Berner Kommunikationsagentur Enigma. Neben kommerziellen Kunden bietet die Agentur auch Unterstützung bei politischen Kampagnen. Dabei haben Sie bei Abstimmungen wie «Ja zum Gotthard Sanierungstunnel», «No Billag», RASA-Initiative, Pauschalbesteuerungsinitative oder «Nein zum Mindestlohn» mitgewirkt.