Die Schweiz lobt sich gerne als digitalisiertes Land. Technisch gesehen mag das stimmen, aber wie sieht es mit digitalen Geschäftsmodellen aus?
Fabian Hediger: In den USA sind die fünf höchstbewerteten Unternehmen Tech-Companies, in China mit Tencent und Alibaba auch. Im Silicon Valley gibt es über 130 Einhörner, in Peking 60 und in der Schweiz nicht mal eine Handvoll. Es braucht hierzulande viel mehr digitale Geschäftsmodelle als heute.

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Daniel Läubli: Die Schweiz hat bisher fast keine Digital Leaders hervorgebracht. Man investiert zwar viel Geld, aber es kommt bisher noch nichts Grosses dabei heraus. Wenn man Unternehmen fragt, wie zufrieden sie mit ihren Digitalprojekten sind, winken die meisten ab. Nur  10% der Projekte erfüllen die Erwartungen. Die grosse Wirkung, die man sich erhofft, ist noch nicht da. Das Eigenlob der Schweiz ist unangebracht

Woran scheitern die Schweizer Unternehmen?
Daniel Läubli: Viele Unternehmen in der Schweiz haben gedacht, sie könnten sich mit neuen Software-Programmen und Online-Tools digitalisieren. Dabei geht es bei diesem Thema nicht um technische Aspekte, sondern um neue Arten zu arbeiten, um neue Geschäftsmodelle und neue Interaktion mit dem Kunden, statt der Filiale gibt es die Webseite, statt dem Berater die App. Da geht es allen Branchen gleich: Man hat zu viel über Software und Technologie nachgedacht und zu wenig über die Interaktion mit dem Kunden und die internen Prozesse und Arbeitsweisen. Ein Software-Ingenieur alleine kann keine Firma umkrempeln. Viele Schweizer Unternehmen haben das unterschätzt.

Startups können Innovationen hervorbringen. Finden Sie in der Schweiz ein gutes Umfeld vor?
Daniel Läubli: Startups sind wichtig und einige Schweizer Unternehmen haben eigene Inkubatoren gegründet. Sie haben aber keine grosse Hebelwirkung. Wir haben in der Schweiz zwar viele internationale Firmen von Weltruf, aber sie müssen auch in der digitalen Welt die Leader bleiben. Ansonsten verlieren nicht nur die Firmen, sondern die Schweiz als Ganzes. Startups können die Unternehmen unter Druck setzen. Aber das grosse Potenzial liegt in den Konzernen, die ihre Kernbereiche neu erfinden müssen.

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Fabian Hediger ist Gründer des Worldwebforum und dem IT-Unternehmen Beecom. Nach dem Abschluss an der Universität St. Gallen und zwei Kurzausflügen als Angestellter, ist der ehemalige Profi-Triathlet seit bald 18 Jahren selbständig.

Quelle: ZVG

Warum kommen die Unternehmen nicht vom Fleck?
Fabian Hediger: In der Schweiz fehlt der Mindset. Als wir im Jahre 2000 nach der HSG meine Firma gegründet habe, haben sich viele Leute Sorgen um mich gemacht. Das hatte etwas Anrüchiges, eine eigene Firma. In China machen die Leute vorwärts, arbeiten viel und deshalb haben sie mehr Startups, sind weiter bei den Technologien. Ein Umdenken dauert lange.

Daniel Läubli: Die grossen Unternehmen verdienen Geld mit ihrem Kerngeschäft. Nun digitalisieren sie dieses Geschäft anstatt Neues zu erfinden. Es nützt nichts, einen Ablauf digital zu optimieren. Man muss alle Prozesse und die ganze Organisation neu denken. Man kann eine Bankfiliale zwar digitalisieren, aber sinnvoller ist doch, eine App zu entwickeln, mit der man in fünf Minuten ein Konto eröffnen kann.

In den Schweizer Verwaltungsräten sitzen kaum digital-affine Menschen, das Durchschnittsalter ist meist hoch. Wie kann die Digitalisierung unter diesen Voraussetzungen voran gebracht werden?
Fabian Hediger: Warum reden wir überhaupt noch von Digitalisierung? Schliesslich gibt es die schon seit 30 Jahren. Im Silicon Valley benutzt niemand das Wort Digitalisierung. In unserer Welt gibt es einfach Regionen, die durch neue Technologien andere Möglichkeiten haben und daraus ein neues Geschäftsmodell entwickeln können. Ein guter Stratege nutzt diese neuen Möglichkeiten: Bei der amerikanischen E-Zigarette Juul, die nun in die Schweiz kommt, redet doch auch niemand vom «digitalisierten Rauchen». Diese Zigarette funktioniert einfach anders. Damit ist die Firma äusserst erfolgreich. Juul kontrolliert 70 Prozent des amerikanischen Marktes. Der Aktienkurs ist in den letzten Jahren explodiert, Philipp Morris hingegen hat über 25 Prozent verloren. Obwohl Philipp Morris viel grösser und weltumspannender ist. Das ist bezeichnend, wie die grossen Moloche der Weltwirtschaft weiter vor sich hindümpeln. Ich nenne das altes und neues Paradigma. Der Speed der neuen Unternehmen ist enorm. Wenn ich die älteren Vertreter in den Schweizer Verwaltungsräten betrachte, zweifle ich daran, dass ein Unternehmen mit ihnen auf dieses Tempo kommt. Es geht nicht um Digitalisierung, sondern um neue Leader.

Daniel Läubli: Ein erfolgreiches Unternehmen ist in erster Linie agil und kann sich rasch Veränderungen anpassen. Man redet immer von denen, die das nicht hinkriegen. Dabei gibt es auch Erfolgsstories: beispielsweise die niederländische Bank ING. Wenn man dort durch die Büros geht, spürt man diesen Spirit, diesen Aufbruch. Viele versuchen es im Kleinen, aber haben nicht den Mut für Grosses.

Fabian Hediger: Es gibt aber auch Branchen, die man mit den bestehenden Leuten nicht zu einem Shift bewegen kann. Dort hilft nur eine richtige Umschulung oder dann müssen sie ersetzt werden. Wenn Vorgesetzte die Führungsfunktionen nicht ändern wollen, bleibt das Unternehmen stehen. Oft geht es besser, wenn man auf der grünen Wiese ein Projekt entwickelt und dafür neue Leute einstellt. Diese muss man dann aber machen lassen. 

 Daniel_Läubli

Daniel Läubli ist Partner bei McKinsey in Zürich und spezialisiert auf Detailhandel. Dabei berät er führende Unternehmen in Europa zur digitalen Transformation. Läubli hat an der Universität St.Gallen und der London Business School studiert.

Quelle: ZVG

Herr Läubli, eigentlich weiss man ja, was zu tun ist. Warum wollen ihre Kunden nicht auf sie hören?
Daniel Läubli: Wir begleiten die Geschäftsführung und den Verwaltungsrat von Schweizer Unternehmen auf dem Weg in die Digitalisierung. Das ist ein sehr wichtiges Thema für die Schweizer Firmen. Dabei versuchen wir dem Top-Management jeden Tag aufzuzeigen, wie man den Change schaffen kann. Wir sehen dabei grosse Unterschiede zwischen den Unternehmen, wie systematisch man den Wandel angeht. Ich bin optimistisch, dass einige den Wandel erfolgreich schaffen. Aber es sind noch nicht genug.

Im E-Commerce ging das mit dem Onlinehändler Siroop gehörig schief...
Fabian Hediger: Na und? Diese Angst vor dem Scheitern lähmt die Schweizer Firmen. Das ist doch halb so schlimm. Schnell auszuprobieren ist auf jeden Fall erfolgsversprechender als einfach abzuwarten.

Daniel Läubli: Ausprobieren ist sehr wichtig. Und zwar auch im Kerngeschäft. Dort braucht es eine Transformation. Einfach einen Inkubator zu lancieren, hilft wenig. Man muss das Kerngeschäft überdenken. Wir arbeiten auch für die Pharmaindustrie. Dort fragen wir uns: Wie arbeitet ein Arzt in der Zukunft? Der Mut zur Transformation wird übrigens belohnt: Unternehmen, die es schaffen, wachsen schneller und sind profitabler. Bei den beiden grossen Schweizer Detailhändlern wissen wir auch, dass der eine im Onlinebereich stärker ist. DigitecGalaxus ist zwar nicht Amazon, aber es zeigt, wie man auch in der Schweiz erfolgreich ein Startup etablieren kann.

Was sind denn nun die dringlichsten Themen bei Schweizer Unternehmen?
Daniel Läubli: Wichtig ist, dass wir ein «Re-Skilling» hinkriegen, die Leute umschulen. Dahin müssen die Investitionen fliessen. Und der Arbeitsmarkt muss spielen. Da ist die Politik gefordert. Wir haben errechnet, dass die Schweiz in den nächsten zehn Jahren einen zusätzlichen Bedarf an 70’000 Ingenieuren, IT Spezialisten, Programmierern, Datenspezialisten etc. hat. Unsere Hochschulen verzeichnen aber gerade mal 3’000 Abgänger pro Jahr. Das bedingt Änderungen am Bildungssystem und an der Migrationspolitik. Die Schweiz muss offen und attraktiv für hochqualifizierte Arbeitnehmer sein.

Braucht es deshalb das Worldwebforum?
Fabian Hediger: Als ich damals im Jahre 2000 meine Firma beecom gegründet habe, hat niemand auf das Internet gewartet. Ich musste den Unternehmen sechs Jahre lang erklären, weshalb sie eine Website benötigen. Wenn du im Internet-Business tätig warst, wurdest du als Aussenseiter betrachtet. Wir waren einen Haufen voll Nerds. Das sind wir auch heute noch. Doch jetzt wollen wir die Entscheider bei den Corporates am Worldwebforum, das von beecom ausgerichtet wird, haben und sie wollen bei uns sein. Wir reden an der Konferenz übrigens nicht von Digitalisierung, sondern von Leadership und Transformation. Wir wollen die richtigen Leute zusammenbringen, um die Kurve vom Alten ins Neue zu kriegen.

Und das wollen Sie erreichen, in dem Sie Tech-Stars aus dem Silicon Valley den Digital Officer von Schweizer KMUs und Konzernen erzählt, wie der Hase läuft?
Fabian Hediger: Wie wir die einzelnen Leute im Alltag aktivieren können, weiss ich nicht. Sie müssen es wollen. Wir haben das Worldwebforum damals mehr als Selbsthilfegruppe und nicht als grosse Konferenz gedacht. Wir sind aber agil geblieben. Jetzt gehen wir strategisch vor und haben deshalb auch McKinsey & Company ins Boot geholt. Wir wollen die Leute hier haben, die tatsächlich etwas im Unternehmen bewirken können. Wie man das macht, können Leader an Leader weitergeben. Die Speaker aus dem Silicon Valley können den Speed, den es heute braucht, gut erläutern.

Das World Web Forum findet zum siebten Mal vom 17. bis 18. Januar 2019 in Zürich in der Eventhalle Stage One unter dem Motto «Master or Servant?» statt.

Zu den Top-Speakern gehört der ehemalige Rolling-Stones-Bassist Bill Wyman, Sascha Zahnd, VP Global Supply Chain bei Tesla, Fumbi Chima, CIO von Fox Networks sowie Co-Founder James Monsees vom amerikanischen E-Zigarettenhersteller Juul.

Mittlerweile gibt es solche Konferenzen wie Sand am Meer. Was ist denn anders am WWF?
Fabian Hediger: Wir wollen einfach gute Leute zusammenbringen. Leute, welche eine wichtige Frage wirklich beantworten wollen: «Was müssen wir heute in der sich rasant ändernden Welt tun, damit unsere aber auch künftige Generationen in einer prosperierenden Zukunft leben und arbeiten können?» Dass dabei aber nur Digital Officers aus Schweizer Unternehmen über Schweizer Probleme und Herausforderungen sprechen, ist nicht zielführend. Deshalb setzen wir auf internationale Speaker. Und weil wir schon so lange dabei sind, kennen wir einige Leute – und sie öffnen uns die Türen.

Was ist die Rolle von McKinsey als neuer Partner beim WWF?
Daniel Läubli: Wir sind ein strategischer Knowledge-Partner. Wir bringen unser Wissen und unsere Erfahrung im digitalen Bereich ein. Wir verfügen über ein vertieftes Verständnis über die Entwicklung, die im Gange ist, weil wir über alle Industrien hinweg beraten und uns eng mit den Führungskräften austauschen. Wir sehen auch, was nicht funktioniert. Wir wollen dieses Wissen am Worldwebforum teilen und auch diskutieren.

Und es verleiht McKinsey den Spirit des Silicon Valley um sich bei den Kunden als digital-affin zu profilieren?
Daniel Läubli: Ich glaube nicht, dass wir diesen Spirit brauchen. Wir treten am Worldwebforum als «Digital McKinsey» auf. McKinsey hat sich in den letzten Jahren stark verändert und ist im Bereich «Digital» und «Analytics» zu einer entscheidenden Grösse geworden ist. Unser Unternehmen beschäftigt mittlerweile über 3’000 Daten-Spezialisten. Allein in den letzten zwei Jahren haben wir weltweit 2'000 Projekte im Bereich «Analytics» gemacht. Wir wollen dafür sorgen, dass Zukunftsvisionen auch im Alltag von Schweizer Unternehmen umsetzbar sind.