Nch vor fünf Jahren war Lei Jun ein unbekannter Mann. Heute zählt der Chinese mit seiner Firma Xiaomi zu den weltweit führenden Handy-Herstellern. Xiaomi ist die chinesische Antwort auf Apple, Lei Jun der Steve Jobs des Reichs der Mitte. Die ersten 100 Millionen Handys hatte er nach dreieinhalb Jahren verkauft – ein halbes Jahr weniger, als Jobs dazu benötigte. Wer Juns Läden betritt, wähnt sich bei Apple, ausser dass die Preise einen Bruchteil betragen und meist das Firmenmaskottchen, ein mannshoher Plüschhasen mit roter Kommunistenmütze, aus der Ecke die Kunden anlächelt.
Xiaomi hat fast alle überholt. Die Umsätze übersteigen die der Lokalriesen Lenovo und Huawei, haben sich von 2013 bis 2014 auf 11,6 Milliarden Dollar verdreifacht. Die Bewertung der Firma ist mit 46 Milliarden Dollar fast so hoch wie die des kalifornischen Überfliegers Uber. Dabei hat Xiaomis Expansion erst vor wenigen Monaten begonnen.
Chinesische Tech-Giganten wie Xiaomi
Das Beispiel von Xiaomi zeigt, wie sich die erste chinesische Generation globaler Tech-Giganten formiert. Einer von ihnen ist auch Jack Ma, Gründer des Online-Händlers Alibaba. Er brachte seine Firma an die amerikanische Nasdaq, wo sie mittlerweile eine schwindelerregende Bewertung von 151 Milliarden Dollar erreicht hat. Ob Xiaomi oder Alibaba, diese Firmen zeigen, wie schnell und adaptiv sie sind, existierende Technologien nicht nur zu kopieren, sondern entsprechend den Bedürfnissen weiterzuentwickeln. Tun sie dies erfolgreich, stehen ihnen neben dem gigantischen Heimmarkt mit 1,3 Milliarden Einwohnern auch die globalen Märkte offen. Auf diesen Erfolg hoffen in China viele Jungunternehmer. Dank starker staatlicher Förderung hat sich in den vergangenen 20 Jahren in Pekings Norden ein Startup-Mekka entwickelt, das es mit dem Silicon Valley aufnimmt.
«Es begann alles mit einer Reise nach Kalifornien», sagt Xuan Hong, stellvertretender Chef des Technoparks Z-Park. Ende der 1980er-Jahre sei eine staatliche Delegation ins Silicon Valley gereist und habe beschlossen, auch China brauche einen solchen Innovationshub. In der einstigen Eletronikmeile Pekings, im Haidian District, hat Z-Park den ersten Technologiepark errichtet. Aus der alten Zeit ist einzig ein riesiger Elektro-Basar mit mehreren Stockwerken geblieben. Dort preisen Verkäufer Schulter an Schulter mit der Konkurrenz ihre Waren an, vom Mixer bis zum Handy ist alles dabei, gebraucht, gefälscht oder neu. Hinter den bepackten Tresen spielen ihre Kinder, sitzt da und dort eine Mutter mit ihrem Baby. Die Welt von damals ist auf die Quadratmeterzahl des Basars geschrumpft.
Hippe Cafés und günstige Büros
Auf der anderen Strassenseite ragen die Tower im Zeichen der Technologie hoch in den grau verhangenen Himmel hinauf. Hier sitzen frischgebackene Jungunternehmer in hippen Cafés oder in neu bezogenen Büroräumlichkeiten hinter ihren Rechnern. Platz, den sie zu sehr günstigen Konditionen von der Regierung bekommen. «Wir wollen möglichst viele Anreize schaffen, um Gründer anzuziehen und das chinesische Silicon Valley voranzutreiben», sagt Hong. Das sei eine der obersten Prioritäten des Staats, der hier auf allen Ebenen involviert sei. Neben günstigen Büroflächen bekommen Startups auch steuerliche Erleichterungen.
Z-Park ist unter den 114 staatlich getragenen Hightech-Parks in China einer der grössten Betreiber. Bereits über 20 000 Firmen haben im Z-Park ihr Business gestartet, darunter auch die erfolgreichen Vorzeigefirmen Xiaomi, Lenovo oder Baidu, das chinesische Pendant zu Google. Der Gesamtumsatz der angesiedelten Hightech-Firmen betrug 2013 471 Milliarden Dollar, 33,62 Milliarden Dollar davon stammen aus dem Exportgeschäft. «Das sind mehr als 50 Prozent der gesamten Exportleistung Pekings», sagt Xuan.
Magnet für gut ausgebildete Chinesen
Die attraktiven Rahmenbedingungen in der Tech-Zone Pekings wird auch immer mehr zum Magnet für gut ausgebildete Chinesen, die im Ausland studiert haben, oder für solche, die bereits viele Jahre im kalifornischen Silicon Valley verbracht haben. Einer von ihnen ist Don Cai. Nach zehn Jahren in Kalifornien ist er Anfang des Jahres zurück nach Peking gekommen und hat vor kurzem mit seiner Crew einen Arbeitsplatz im neuen Co-Working Space Tech Temple bezogen. Im Café des Gründerzentrums riecht es noch nach frischer Farbe.
«Immer mehr Chinesen kommen zurück, um ihre Technologie aus dem Valley mit dem riesigen chinesischen Markt zu multiplizieren», sagt Cai. Dafür seien die Bedingungen heute besser denn je, die Dynamik grösser, das Tempo schneller. Sein Startup Snaplingo hat eine App entwickelt, mit der chinesische und amerikanische Kinder auf spielerische Weise und im digitalen Kontakt zum Gegenüber die jeweils andere Sprache und Kultur lernen. Neben dem Büro in San Francisco sitzen nun seit wenigen Monaten auch zwölf Leute in Peking.
Pekings Antwort auf Elite-Unis wie Stanford oder Harvards MIT
Cais neuer Arbeitsplatz befindet sich in einem stillgelegten Fabrikareal im Norden der Stadt. Noch vor kurzem lagen in den Räumen hier Staub und Schotter. In kürzester Zeit wurde die ehemalige Halle zum trendigen Arbeitsort für Startups umgebaut. Projekte werden hier rasch an die Hand genommen. Denn wer mit dem hohen Tempo der Tech-Stadt nicht mithalten kann, verschwindet rasch von der Bildfläche. Es ist dieses Tempo, das auch Valley-Grösse und Stan-ford-Professor Steve Blank beeindruckt. «Peking hat in zehn Jahren geschafft, wofür das Silicon Valley 30 Jahre brauchte», sagte er in einer Rede.
Auch Bill Gates ist beeindruckt vom Pekinger Pendant. Den chinesischen Hauptsitz von Microsoft hat er im TusPark angesiedelt, einem Science-Park im Haidian District, den Gates neben Stanford für die weltweit beste Einrichtung hält. Auf den prominenten Zuspruch ist Startup-Förderer Lin Jian im TusPark besonders stolz. Er führt mit zügigen Schritten über das Areal des Parks. «Wir helfen Startups, indem wir ihnen in allen Phasen Beratung und Zugang zu Venture-Kapital bis hin zur Unterstützung beim Börsengang bieten.» Über eine Miniaturabbildung der Anlage gebeugt, erklärt Jian, wie der Park 1994 als Technopark gegründet wurde.
«Heute ist er zu einem regelrechten Imperium mit 21 Parks in China, Immobilien, parkeigenen Hotels und Venture-Fonds geworden.» Auf dem Areal befindet sich ebenfalls die Tsinghua-Universität, die als MIT Chinas gilt. Riesige Plakate im Flur beschreiben die Erfolgsstorys von Firmen wie die des digitalen TV-Software-Herstellers Sumavision oder von Chinese All, einem der ersten digitalen Medienhäuser Chinas. «Es sind auch diese Firmen, die in die Startups hier investieren», sagt Jian. Mehr als 200 Firmen seien zurzeit in der TusPark Holding investiert, das Kapital belaufe sich auf 6,2 Milliarden Dollar.
Formation des emsigen Giganten
Auf die Zöglinge, die einst an der Börse durchstarten werden, hofft auch die staatlich finanzierte Betreibergesellschaft des Innoway-Parks. Wo sich früher im Haidian District Intellektuelle aus ganz China in der bekanntesten Buchladenmeile des Landes einfanden, gehen heute junge Menschen mit Laptops unterm Arm bei den Startup-Cafés ein und aus. Im Hinterzimmer des Garden-Cafés befinden sich grossräumige Arbeitsflächen, wo täglich etwa 300 Leute ihre Rechner hochklappen. Die einen bleiben über einige Monate, andere nur wenige Wochen.
Vorne im Café 3W sind die Tische bis auf den letzten Platz besetzt. Der Ansturm ist gross, denn vor wenigen Wochen besuchte der chinesische Premier Li Keqiang das Café, um das staatliche Engagement zur Förderung der Startup-Szene zu bestätigen. Die scheinbare Gemütlichkeit, mit der die jungen Leute im «3W» da sitzen, wo der Premier auf eine Tasse Platz nahm, täuscht. Auch hier ist das Tempo hoch. «Wir haben im vergangenen Jahr 100 Projekte hier im Park unterstützt. Ganze 97 davon waren binnen sechs Monaten finanziert», heisst es beim Parkbetreiber.
40'000 Firmen und 2500 Investoren
An der Tech-Meile sind auch einige Investoren mit ihren Büros vertreten. Einer von ihnen ist Luc Lan, Anfang dreissig, mit «Bubi»-Gesicht, der bereits mit 17 Jahren sein erstes Startup gründete. Vor fünf Jahren fing er mit eigenem Geld und dem von Freunden an, die Investorenplattform Angel Crunch aufzubauen. Heute sind bereits 40'000 Firmen und 2500 Investoren auf der Plattform registriert, 363 Deals wurden bereits abgeschlossen. Gerade am Anfang sei es in China besonders schwierig, an die erste halbe Million Dollar ranzukommen, sagt Lan.
«Um das Fundraising effizienter zu machen, haben wir eine Online-Plattform entwickelt, wo sich Investor und Startup treffen können. Damit haben wir schon innerhalb von zwei Wochen Deals zum Abschluss gebracht.» Einer, der dank der Plattform gross geworden sei, sei das chinesische Uber-Pendant Didi Kuaidi. Das Startup habe es in weniger als drei Jahren auf eine Bewertung von 16 Milliarden Dollar gebracht. Heute buhlen immer mehr Investoren um die Startups: «Ähnlich dem Hype im Silicon Valley will hier auch keiner das nächste grosse Ding verpassen», so Lan.
Warten auf das nächste grosse Ding
Auf den Durchbruch im Milliardenmarkt China hofft der Schweizer Olivier Glauser. Mit seiner chinesischen Frau ist der Ingenieur aus Lausanne nach einigen Jahren in Kalifornien nach Peking gekommen. Hier betreibt er mit einem chinesischen Partner das Startup Shankai. Glauser ist im Sportbereich tätig. Mit Beziehungen zum Lausanner Sport-Cluster hat er vor fünf Jahren mit der On- und Offline- Vermarktung von Sport-Events angefangen. Der Schweizer malt sich gute Erfolgschancen aus, denn Sport werde immer populärer bei den Chinesen. Seit den Olympischen Spielen sei einiges passiert.
Unternehmer Glauser sitzt im Pekinger Botschaftsviertel, abseits des Hightech-Trubels. Hier lichtet sich der Himmel. An guten Tagen wie dieser geht Glauser in der Frühe gerne joggen. Das ist selten möglich, weil oft eine gelbliche Smogdecke über der Stadt hängt. In Kalifornien war das anders – aber da wollte der 45-Jährige nicht bleiben: «Das chinesische Valley kann allein dank dem riesigen Markt grösser werden als das, was wir aus Kalifornien kennen.» Hier sei der Wettbewerb wesentlich härter als an anderen Orten, weil praktisch jeder zum Unternehmer werden wolle und sich in der riesigen Menge nur die besten durchsetzten. «Die Innovationskraft ist deshalb enorm hoch in China», sagt Glauser.
Hürden des Hightech-Denkens
Dabei ginge es den meisten Gründern hier weniger darum, neue Technologien zu entwickeln, als diese vielmehr mit zusätzlichen Features zu verbessern. Ein Beispiel ist WeChat, die chinesische Antwort auf WhatsApp. Über 500 Millionen Chinesen nutzen die App der Firma Tencent jeden Monat. WeChat vereint Chat-Dienst, Facebook, Dating-Plattform und Zahlungsanwendungen in einer App. Mit Firmen wie WeChat, Xiaomi und Huawei befindet sich China zum ersten Mal in der Situation, dass riesige Heimkonzerne ins Ausland expandieren. In diese Generation will auch Glauser reinwachsen.
Doch das ist für Ausländer ohne lokalen Geschäftspartner in China unmöglich. Dessen sind sich die staatlichen Startup-Förderer wie Science-Park-Betreiber Z-Park bewusst. «Wenn es in dem Tempo weitergeht, werden wir in ein paar Jahren bereits Fachkräfte aus dem Ausland benötigen», sagt Z-Park-Mann Hong Xuan. Deshalb müssten sich die Universitäten öffnen und bessere Bedingungen für Ausländer schaffen.
Hunderttausende Chinesen ins Ausland
Heute gingen jährlich Hunderttausende von Chinesen ins Ausland, um dort ihren Master oder PhD zu machen. Im Gegenzug kämen nur ein paar Austauschstudenten nach China – «die wir nicht als Gründer behalten können». Ausserdem müssen staatliche Sozialversicherungen eingeführt und Firmengründungen für Ausländer ermöglicht werden.
Mehr Öffnung des Landes brauche es auch nach aussen, sagt James Flanagan, Tech-Unternehmer und Querdenker. Der Amerikaner, der die meiste Zeit seines Lebens in Singapur und Hongkong verbracht hat, brachte die TED-Talks im Jahr 2010 nach China. Flanagan ist ein Young Global Shaper, vom WEF-Komitee ernannt. Seine Aufgabe sei es, die Kulturen seines Heimatlandes und Chinas einander näherzubringen. Die chinesische Präsenz in den USA werde sich in den nächsten Jahren stark ausweiten. «Deshalb müssen amerikanische Firmen lernen, wie sie mit Alibaba, Xiaomi oder Tencent in Kontakt kommen können», so Flanagan.
Es droht ein Ungleichgewicht
Was die Strukturen im Land angehen, sieht Flanagan auch Gefahren. Zum einen verwöhnt der Staat die Gründerszene mit paradiesischen Rahmenbedingungen: Günstige Immobilien, Steuerbefreiung, unzählige Technoparks. Dabei dürfe man aber nicht vergessen, dass die Hälfte der chinesischen Bevölkerung keine Hightech-Unternehmern seien, sondern Bauern und Menschen auf dem Land. Diese werden weit weniger unterstützt. «Wenn der Staat primär nur noch Anreize für Städte und Unternehmer schafft, kriegt das Land ein Problem.»
Zum anderen führe das unglaubliche Tempo, das der grosse Konkurrenzdruck fordere, zu sehr viel Ungenauigkeit und Unachtsamkeit bei der Ausarbeitung von Ideen und Geschäftsmodellen. «Hauptsache, man liefert rasch und hat den schnellen Erfolg.» Wo das längerfristig hinführen kann, zeigt der aktuelle Börsencrash in China. Im Tech-Mekka Pekings will man sich davon aber distanzieren. Die jüngste Vergangenheit lässt hoffen, dass der riesige chinesische Optimismus der Gründer und die gigantischen Bewertungen der Investoren nicht in einer Blase bersten. Einer Blase der Euphorie, die sich nicht nur über dem Pekinger Valley bildet, sondern auch in Kalifornien, wo astronomische Bewertungen für Milliardenlieblinge wie Uber oder Airbnb (siehe Tabelle), beides reine Internetfirmen, immer mehr Investoren anlocken.
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