Frau Dumortier, können Sie uns ein wenig über Ihre Rolle bei der IG Bank und Ihren bisherigen Karriereweg erzählen?
Als Chief Commercial Officer bin ich in erster Linie verantwortlich für die Führung der kommerziellen Strategie der IG Bank und die Entwicklung von Initiativen, die das Umsatzwachstum fördern. Im Jahr 2006 begann meine Reise im Bereich Kredit und Risiko, was eine solide Grundlage für den Wechsel ins Private Banking, Assetmanagement und Trading legte – wesentliche Bestandteile eines effektiven Kundenbeziehungsmanagements.
In den letzten 18 Jahren habe ich in diversen Führungspositionen gearbeitet und Erfahrungen in Verkauf, Marketing, Geschäftsentwicklung, Change-Management und der Finanzbranche gesammelt.
Wie wichtig ist die Förderung von Frauen im Trading für die Bank?
Vielfalt und Inklusion sowie eine leistungsorientierte Kultur sind Teil unserer DNA. 45 Prozent unserer Mitarbeitenden und 50 Prozent unseres Executive Managements sind Frauen. Dennoch ist die Unterrepräsentation von Frauen im Trading und in der Finanzbranche nach wie vor herausfordernd. Mangelnde Perspektivenvielfalt kann potenziell zu suboptimalen Ergebnissen und Erträgen führen. Dies erkennen wir und fördern daher Vielfalt und eine leistungsorientierte Kultur, bei der Geschlecht, Ethnie, Religion oder sexuelle Orientierung keine Rolle spielen.
Aus Kundensicht ermutigen wir Frauen, sich aktiv am Trading und an Investitionen zu beteiligen. Derzeit investiert nur ein kleiner Teil der Frauen, was ihre Chancen zur Vermögensbildung einschränkt. Es ist unser Ziel, mehr Frauen zu befähigen, aber auch dafür zu interessieren, sich an den Finanzmärkten zu betätigen und so ihren finanziellen Horizont zu erweitern.
Laut dem CFA-Institut sind nur 12 bis 15 Prozent aller Trader Frauen. Welche Herausforderungen sehen Sie, die Frauen davon abhalten könnten, in den Trading-Bereich einzusteigen, und wie können diese überwunden werden?
Forschungen von IG Bank haben ergeben, dass die Kultur einen erheblichen Einfluss auf die Beteiligung von Frauen an Investments hat. Während sich Frauen insgesamt weniger an Investments beteiligen, fällt auf, dass nur acht Prozent der Schweizer Frauen aktiv investieren, verglichen mit 23 Prozent in Taiwan und 20 Prozent in Singapur. Dieser kulturelle Kontext unterstreicht die Notwendigkeit einer frühzeitigen Förderung. Viele junge Frauen sind sich der Möglichkeit, dass Trading zu ihrem Beruf werden könnte, nicht bewusst. Daher ziehen sie es oft nicht in Betracht, Ausbildungen zu absolvieren, die zu einer Karriere im Trading führen könnte.
Ebenfalls wichtig ist es, mit Missverständnissen aufzuräumen. Ein weitverbreiteter Mythos ist, dass man ein Mathegenie sein muss, um als Traderin oder Trader erfolgreich zu sein. Tatsächlich benötigen Traderinnen und Trader ein viel breiteres Skillset, einschliesslich des Verständnisses geopolitischer Risiken und Lieferketten, die sich auf Asset-Preise auswirken. Zudem existiert oft ein falsches Bild einer aggressiven Tradingkultur, die Frauen davon abhalten kann, in die Branche einzusteigen.
Dorothée Borca Dumortier ist eine erfahrene Finanzmanagerin mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in der Branche. Bei der IG Bank ist sie für die kommerzielle Strategie und Entwicklung der Organisation verantwortlich. Sie beaufsichtigt alle Marketingaktivitäten und beteiligt sich aktiv an den D&I-Initiativen der Group. Bevor Borca Dumortier 2020 zu IG kam, hatte sie verschiedene leitende Positionen im Front-Office inne, vorwiegend bei der HSBC Private Bank mit Schwerpunkt auf UHNWI und institutionelle Kunden aus der Schweiz, Europa, dem Vereinigten Königreich und dem Nahen Osten.
Sie haben vorhin gesagt, dass bei Ihnen 45 Prozent der Mitarbeitenden und 50 Prozent der Geschäftsleitung Frauen sind. Was haben Sie anders gemacht, um dieses Gleichgewicht zu erreichen?
Es ist eine Kombination aus unterschiedlichen Faktoren, die beim Engagement der Führung beginnt. Eine weibliche CEO auf Konzernebene gehabt zu haben, hat bereits den Ton für die Geschlechtergleichstellung angegeben. Hinzu kommen unsere gezielten Initiativen, etwa Mentoring und Sponsoring, die das Karrierewachstum von Frauen fördern. Unser internes Frauennetzwerk «Inspire» will ebenfalls einen starken Beitrag zu einer Kultur leisten, in der Frauen ihr Potenzial ausschöpfen können und in der IG Group arbeiten möchten. Unsere Rekrutierungsprozesse sind auf Inklusion ausgelegt, z. B. mit geschlechtsneutralen Stellenbeschreibungen und inklusiven Einstellungsverfahren, um einen vielfältigen Talentpool anzusprechen.
Können Sie uns aus Ihrer eigenen Erfahrung berichten, wie Sie in die Trading-Branche eingestiegen sind und welche Herausforderungen Sie auf Ihrem Weg erlebt haben?
Ich bin als Kreditsachbearbeiterin in die Finanzbranche eingestiegen und habe Grunddaten und Finanzberichte von Unternehmen und Ultra-high-net-worth-Individuals überprüft, um das Risikopotenzial bei der Kreditvergabe zu bestimmen. Diese Erfahrung hat mir die Augen geöffnet und eine neue Perspektive gegeben. Sie war unglaublich fordernd und umso prägender, als die Finanzkrise 2008 die Märkte hart traf und die Finanzbranche grundlegend veränderte. Jedoch wurde mir bald klar, dass der Weg zum Erfolg nicht immer geradlinig ist und meiner eng mit dem Kundenbeziehungsmanagement und der P&L-Verantwortung verbunden sein würde.
Eine grosse Herausforderung, insbesondere für Frauen, besteht darin, nicht in unterstützenden Funktionen zu verharren. Arbeitgebende müssen daher eine klare Karriereentwicklung und Aufstiegsmöglichkeiten anbieten, die Frauen aus Hintergrundrollen in Positionen bringen, die ihnen vielfältigere Erfahrungen ermöglichen. Ebenso wichtig ist Mentoring. Mentorinnen und Mentoren sowie Verbündete hatten einen grossen Einfluss auf meine Karriere. In den letzten Jahren hatte ich das Glück, etwas an die nächste Generation zurückgeben und in sie investieren zu können. Ich konnte zukünftige Toptalente im Finanzwesen durch das Programm «Launch Me – 100 Women In Finance» fördern.
Welche Ratschläge würden Sie Frauen geben, die eine Karriere im Trading beginnen möchten?
Beginnen Sie damit, sich auf spezifische Interessensbereiche zu konzentrieren – Aktien, Währungen oder Rohstoffe. Dies entscheidet darüber, ob Sie in einer Handelsabteilung einer Bank oder in einem Rohstoffhandelsunternehmen starten sollten. Erwägen Sie den Einstieg als Analystin oder in einer operativen Rolle und führen Sie kontinuierliche Karrieregespräche mit Vorgesetzten. Lassen Sie sich von Mythen nicht entmutigen und seien Sie bereit für eine steile Lernkurve. Zeigen Sie Durchhaltevermögen, lernen Sie kontinuierlich, entwickeln Sie Ihre emotionale Widerstandsfähigkeit und nutzen Sie jede Erfahrung als Sprungbrett für den nächste Schritt.
Bei der Wahl potenzieller Arbeitgeber stellen Sie sich die Frage: Haben sie einen guten Ruf und eine nachgewiesene Erfolgs- und Ethikbilanz? Welche Arten von Trainings- und Entwicklungsprogrammen bieten sie an? Gibt es ein Mentoring-Programm? Pflegen sie eine vielfältige Unternehmenskultur?
Welche Ziele haben Sie für die IG Bank in den nächsten Jahren, besonders in Bezug auf die Förderung von Frauen im Trading?
Wir sind bestrebt, die Anzahl der Frauen im Trading hauptsächlich durch die folgenden Initiativen zu steigern: starke Unterstützung der Führungsebene, strategische Rekrutierung und Talent-Pipeline-Entwicklung sowie Leistungsindikatoren und Verantwortlichkeit. Auf diese Weise zeigen wir Engagement auf den höchsten Führungsebenen, um Diversity & Inclusion-Initiativen im gesamten Unternehmen voranzutreiben. Dies hilft auch, unsere Rekrutierungsprozesse zu verbessern, um einen vielfältigeren Kandidatenpool anzusprechen, während unsere Kennzahlen sicherstellen, dass wir Fortschritte bei der Schaffung inklusiver Teams messen.
Auf welche langfristigen Veränderungen hoffen Sie in der Finanzbranche in Bezug auf Geschlechtergleichstellung?
Zunächst einmal möchte ich, dass der Markt in puncto Vielfalt mit der IG Bank aufholt, z. B. mit über 50 Prozent Frauen im Executive Management und einem vielfältigen Pool potenzieller Führungskräfte. Dann muss das Tempo zur Erreichung von Vielfalt – sowohl im Finanzbereich als auch in anderen Branchen – beschleunigt werden. Laut der neuesten WEF-Studie hat sich die Kluft zwischen Männern und Frauen seit 2006 kaum verringert. Es wird weitere 131 Jahre dauern, um die Gleichstellung zu erreichen. Jetzt ist es an der Zeit, den Wandel gemeinsam zu beschleunigen!
Welche neuen Initiativen plant die IG Bank, um die nächsten Generationen von Traderinnen zu unterstützen?
Die Förderung der nächsten Traderinnen-Generation erfordert sowohl Massnahmen in der gesamten Branche als auch innerhalb der einzelnen Unternehmen. Bei IG Bank werden wir weiterhin unsere Branchenpartnerschaften ausbauen und, wo möglich, flexible Arbeitsbedingungen ermöglichen und gleichzeitig unsere Mentoring- und Weiterbildungsprogramme weiter verstärken.