Deutungshoheit ist ein mächtiges Wort. Es besagt, dass die Version dessen, der sie besitzt, sich langfristig als geglaubte Wahrheit durchsetzen wird.
Um Deutungshoheit geht es offensichtlich derzeit auch bei Lonza. Die «Basler Zeitung» und ihr Zürcher Schwesterblatt «Tages-Anzeiger» berichten über den Abgang des CEO Marc Funk, er sei «so wehmutsvoll, wie es vor ihm wohl noch kein Unternehmensleiter in der Schweiz getan hat», und zwar mit einem «melancholischen Video». Vor allem aber: Man kenne jetzt «die wahren Gründe» für Funks Rauswurf.
Version des Funk-Lagers
Anders als BILANZ in der letzten Ausgabe berichtet hatte, wonach es um Funks Führungskultur gegangen sei, auch um seine Probleme, in die klassische CEO-Rolle als Sparringspartner des Verwaltungsrats zu finden, sei der Grund von Funks «Machtkampf» mit dem VR, dass Funk gern das Chemiegeschäft verkaufen wollte, das Board aber nicht. Funk sei ein «Stürmer», der Lonza schneller fit machen wolle als der VR unter dem Präsidenten Albert Baehny. Dieser Ehrgeiz soll der Grund für Funks Abgang sein.
Es braucht wenig Fantasie, um darin die Version des Funk-Lagers zu erkennen. Falls Marc Funk neue Aufgaben sucht, hilft ihm das Etikett des tatkräftigen «Stürmers» deutlich mehr bei den Vorstellungsgesprächen als «gescheiterter CEO».
M&A ist Sache des Verwaltungsrats
Doch kann die von Funks Getreuen verbreitete Version stimmen? Gemäss Informationen der BILANZ haben die Zukunft der Chemiesparte und die Diskussion darüber keine Rolle beim Abgang Funks gespielt. Den Prozess der Strategie-Überprüfung, in dem auch die Zukunft der Geschäftsfelder zur Debatte steht, hat nicht die Konzernleitung, sondern der Verwaltungsrat gestartet – und zwar noch bevor Funk zum CEO avancierte; damals amtete noch sein Vorgänger Richard Ridinger.
Und was noch schwerer wiegt: M&A-Aktivitäten, also Käufe und Verkäufe wesentlicher Unternehmensteile, fallen definitiv in die Zuständigkeit des Verwaltungsrats. Einen «Machtkampf» über diese Frage kann es also kaum gegeben haben – es sei denn, es habe bei Funk (oder bei der «Basler Zeitung») Unklarheit über die Aufgabenverteilung zwischen Verwaltungsrat und Konzernleiter bestanden.
Doch selbst falls es diese gegeben haben sollte: Angesichts der glasklaren Verhältnisse, dass M&A Sache des Verwaltungsrats sind, wäre eine Entlassung aufgrund einer Meinungsverschiedenheit in diesem Punkt kaum vorstellbar. Allerdings bestätigt sich ironischerweise in dieser Version genau das, was BILANZ bereits berichtet hatte: dass es um Rollenaufteilung und Zusammenarbeit zwischen CEO und Board nicht zum Besten stand – was Funks Verdienste um Lonza und seine Leistungen als General Counsel sowie Leiter der grössten Konzernsparte ja in keiner Weise schmälert. Man möchte dem Unternehmen wünschen, dass nun Ruhe einkehrt.