Ruanda ist uns in Erinnerung wegen des schrecklichen Bürgerkriegs zwischen Hutu und Tutsi in den 1990er Jahren, der in einen Völkermord mündete. Die Basler Journalistin Barbara Achermann stutzte deshalb, als sie in einem Bericht des Weltwirtschaftsforums über die Gleichstellung von Frauen und Männern las, dass Ruanda in dieser Hinsicht knapp hinter den skandinavischen Ländern weit besser klassiert wurde als die Schweiz, Deutschland oder Österreich. Die Fakten unterstützen dieses Ranking: So ist jegliche Diskriminierung der Frauen verboten, und das Parlament in Ruanda ist mit einem Frauenanteil von 67 Prozent das weiblichste der Welt.
Die Autorin wollte es aber genauer wissen und reiste deshalb mehrmals nach Ruanda, um sich ein Bild vor Ort zu machen und mit Menschen – vor allem Frauen – zu sprechen. So hat sie Epiphanie, die Gründerin und Chefin des Kaffeeunternehmens Bufcoffee, Zula, die während des Genozids viele Menschen rettete, die junge Musikerin Teta Diana oder ihren Reiseführer interviewt. Achermann hat Genereuse, die Schuhmacherin, besucht und ist mit Vestine, der Sexualberaterin, aufs Land gefahren. Sie alle erzählen ihre Erinnerungen an den Krieg, wie sie damit umgehen und wie sie heute leben. Sie schildern ihre Wünsche und Pläne und geben uns Einblicke in ihre Welt.
Es ist unübersehbar, dass die Frauen in Ruanda nach dem Bürgerkrieg die treibende Kraft für den erstaunlich schnellen Wiederaufbau und die Versöhnung waren. Viele Männer waren gestorben oder aus dem Land weggegangen, sodass die Frauen ihr Leben in die eigenen Hände nehmen mussten. Die Regierung hat das Potenzial der Frauen früh erkannt und auf diese gesetzt, weil sie gemerkt hat, dass Hilfe an Frauen sehr effektiv und nachhaltig ist.
Emanzipation ohne Freiheit
Ruanda ist aber trotz der unglaublichen Entwicklung und der Emanzipation kein freies Land, keine Demokratie. Der Präsident Paul Kagame regiert sehr autoritär und duldet keine Opposition. Auch die Emanzipation wird top-down durchgesetzt: Bessert sich der Frauenanteil in einem Bereich nicht, werden Quoten eingeführt; setzt ein Bürgermeister die Programme gegen häusliche Gewalt nicht um, wird er abgesetzt.
Dies führt Barbara Achermann zur Frage, ob Emanzipation ohne Freiheit möglich sei und ob eine solche Emanzipation überhaupt einen Wert habe. Gibt es Befreiung in einem unfreien Staat? Nein, meinen die einen; Gleichstellungspolitik über Zwang sei widersprüchlich, und Gleichberechtigung ohne Achtung der Menschenrechte gebe es nicht. Umgekehrt sind in Afrikas Musterdemokratie Botswana die Frauen sehr schlecht gestellt und profitieren wenig von der politischen Freiheit. Das Buch bietet eine differenzierte Sicht.
Wie sich das kleine Land im Herzen von Afrika weiterentwickeln wird, ist unklar. Die Geschichten dieser starken Frauen, die ihrem Schicksal trotzen und sich eine lebenswerte Existenz aufbauen, machen aber auf jeden Fall Mut, und allein deshalb lohnt es sich, dieses Buch zu lesen.
Elisabeth Ackermann ist Regierungspräsidentin des Kantons Basel-Stadt.