Als Kind war Yves Piaget, Präsident der gleichnamigen Uhrenmanufaktur, nie mit seinen Eltern in den Ferien. Und genau gleich hielt er es Jahre später mit seinen eigenen Kindern: Sie verbrachten ihre Ferien nie gemeinsam mit Vater Yves Piaget. Zu tun hat solche Abstinenz nicht mit mangelnder Kinderliebe. Zu tun hat sie vielmehr mit einem tief protestantischen Arbeitsethos, das Raum für Freizeitaktivitäten nur beschränkt zulässt.

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Piaget. Eines der wenigen Uhrenunternehmen, die den Namen Manufaktur zu Recht tragen. Weil hier Uhrwerke wirklich noch fast vollständig von A bis Z an Ort und Stelle gefertigt werden: im neuenburgischen Côte-aux-Fées. Und wer den Ort kennen lernt, beginnt etwas vom protestantischen Piaget-Esprit zu verstehen.

La Côte-aux-Fées. Drei protestantische Kirchen, 440 Einwohner. Ein Verhältnis, das prägt: «Understatement, Bescheidenheit, Sparsamkeit», sagt Yves Piaget, seien die Tugenden, die ihm eingeimpft wurden: «Wir warfen das Geld nicht zum Fenster hinaus. Und wir gaben immer nur das aus, was wir in der Tasche hatten.»

Von Jachten sei in der Familie Piaget nie geredet worden, von Privatflugzeugen schon gar nicht. Orientteppiche besitze man keine, und auch Bilder von grossen Meistern hingen bei Piagets nicht an den Wänden. Was man verdiente, wurde in den Betrieb investiert, auf Pump ging sowieso nichts. «Man kann sagen, dass wir bankophob waren», sagt Piaget.

Arbeiter, so habe es sein Vater gewollt, hiessen grundsätzlich Mitarbeiter. Und, das schärfte man ihm bei einem Mittagessen ein: «Die Leute arbeiten nicht für uns, sie arbeiten mit uns.» Das klingt ein wenig nach Werbebroschüre, aber bei Piaget wurde eine Art Tatbeweis erbracht. In den 130-jährigen Firmengeschichte habe es nie Entlassungen gegeben, sagt Yves Piaget mit Stolz. Und dies wohlgemerkt in einer Branche, die innert zehn Jahren mehrere Zehntausend Stellen verloren hat.

Die erste Krise für die Uhrenindustrie kam nach dem Ersten Weltkrieg, die zweite mit der Weltwirtschaftskrise. Beide überstand Piaget ohne Schaden. Man hatte sich im Top-Segment positioniert, wo es immer noch Käufer gab. Als dann Anfang der Siebzigerjahre die dritte und schlimmste Krise für die Branche kam, weil billige Quarzuhren aus Fernost der Schweizer Uhrenindustrie den Garaus zu machen drohten, hatte Piaget in La Côte-aux-Fées die Weichen richtig gestellt: Mit sieben Konkurrenten, darunter Omega, Rolex und Bulova, hatte die Firma das Centre Electronique Horloger gegründet und ein eigenes Schweizer Quarzwerk entwickelt.

Dazu hatten sich die Produkte der Firma definitiv in der so genannten Haute Joaillerie etabliert (für diese höchste Klasse der Juwelierskunst fehlt das treffende deutsche Wort). Keine Schweizer Uhrenmarke wird so eng mit edlem Schmuck in Verbindung gebracht wie Piaget. In La Côte-aux-Fées werden dafür die Uhrwerke gebaut, in Genf macht man die Ausstattung. «L’habillement» nennt das der Urmacher, zu Deutsch etwa das Einkleiden – bei Piaget-Uhren kleidet man die Werke mitunter mit wahren Materialschlachten aus teuersten Steinen ein.

Möglich wurde dies, weil Piaget in den Fünfzigerjahren das ultraflache Kaliber mit der Nummer 9 P entwickelt hatte. 1955 folgte das Kaliber 12 P, es ist nach wie vor das flachste mechanische Automatikwerk der Welt. Der Rotor ist aus 25 Karat Gold.

Flache Uhren, während der Markt immer klobigere Modelle verlangt? Man bleibe dabei, sagt Piaget. Denn längerfristig werde der Trend sowieso in Richtung Diskretion gehen. Und man habe seine Prinzipien. Zum Beispiel, dass man immer nur Gold- oder Platinuhren mache. Gold, Platin, Schmuck und ultraflache Werke – das seien die vier wahren Piaget-Werte.

130 Jahre Piaget. «Monsieur Yves», wie ihn die Uhrmacher in La-Côte-aux-Fées nennen, erinnert sich noch an seinen Grossvater. 13 Kinder hatte der, und zunächst war er vor allem Bauer. Die Winter waren kalt im Neuenburger Jura, die Abende lang, in den Höfen arbeitete man nebenbei als Uhrmacher.

Georges-Eduard Piaget, der Firmengründer, aber begnügte sich nicht damit. Er legte den Grundstein zum Unternehmen, als er 1874 das erste Atelier baute.

Yves Piaget wächst beim Grossvater mütterlicherseits auf einem Bauernhof auf. Vom Vater bekommt er nicht sehr viel mit. Einmal pro Jahr darf er mit zur Messe Basel. Dort baut sein Vater den Piaget-Stand und die Vitrinen noch selber auf. 1961, die Schweizer Wirtschaft boomt, lernt Yves den künftigen Japan-Agenten aus Tokio kennen. «Ich fand das wahnsinnig aufregend», sagt er heute.

Eines Tages kam der Vater mit einer Hiobsbotschaft zum Essen. Die Arbeit an Samstagen werde bald abgeschafft sein, berichtete er indigniert – eine Ungeheuerlichkeit für den gottesfürchtigen Patron. Und für die Menschen in La Côte-aux-Fées ein tief greifender, zunächst wenig akzeptierter Wandel. Bisher hatte man immer etwas zu tun am Morgen: arbeiten oder zur Kirche gehen. Jetzt gab es plötzlich einen Morgen zur freien Verfügung.

Im Betrieb musste Yves Piaget als Verkäufer beginnen. Erst 1974, zum 100-Jahr-Jubiläum des Hauses, wurde er in die Direktion geholt. Zusammen mit seinem Onkel führte er Piaget dann erfolgreich durch die Quarzkrise – nach wie vor setzt die Marke neben ihren mechanischen Werken auch auf Elektronik.

Die vierte und gleichzeitig fürs Unternehmen potenziell grösste Krise hatte Yves Piaget abgewandt, bevor sie eintreffen konnte: In den Achtzigerjahren wurde klar, dass Eigenständigkeit auf Dauer den Fortbestand der Firma nicht garantieren würde. «Ich war für den Fortbestand des Unternehmens, notfalls ohne die Familie.»

Der Verkauf an die heutige Richemont-Gruppe war Yves Piagets wohl härtester Job.

18 Monate lang dauerten die Verhandlungen – knappe 3 Monate mit den Käufern, 15 Monate mit der Familie, in der die Widerstände gross waren. Protestantischer Geist, man ahnt es, erleichterte den Deal ein wenig.

Der Südafrikaner Anton Rupert, der Piaget als Interessent kontaktiert hatte, kam ursprünglich aus protestantischem elsässischem Milieu. Die beiden Männer fanden sich schnell. Vor allem nachdem klar geworden war, dass der neue Mehrheitsbesitzer die Produktionsstätten beibehalten würde und sich zu den «wahren Werten» Piagets bekannte: Gold, Platin, Schmuck und ultraflache Werke. Dies hat Yves Piaget sicherheitheitshalber protokollarisch festhalten lassen.