Bis zu seinem 20. Geburtstag hatte Michael C. Jakob, heute 26, ein Vermögen von knapp 20'000 Euro angespart. Möglich machten es gelegentliche Jobs sowie Taschengeld von den Eltern, welches jahrelang überwiegend ins Sparschwein ging statt in den Konsum. Der deutsche Jungunternehmer wusste früh, dass er mit seinem Vermögen Einkommen erzielen will. Investitionen in Aktien machen das möglich.
Weil ihm in seinem Heimatland Deutschland eine zentrale Plattform fehlte, auf der Unternehmensbewertungen auch für kleine Privatanleger erhältlich sind, gründete Jakob vor drei Jahren AlleAktien.de. Die Idee: Jede Woche wird ein Unternehmen genau unter die Lupe genommen und analysiert, warum es kaufenswert ist – oder eben nicht. Die Plattform finanziert sich über monatliche Abo-Gebühren.
Herr Jakob, was war die erste Aktie, die Sie sich ins Depot gelegt haben?
Michael C. Jakob: 2013 habe ich auf Empfehlung eines erfahrenen Freundes völlig blauäugig Deutsche Bank und Apple gekauft. Ich wusste, ich will investieren, hatte aber keine Ahnung, was. Daher habe ich mich – typisch für Anfänger – einfach auf Informationen meines Umfelds verlassen.
Glückwunsch zu Apple. Mit der Bankaktie hatten Sie dagegen wohl keine grosse Freude.
Mein Deutsche-Bank-Kauf war ein typischer Denkfehler eines unerfahrenen Privatanlegers: Ich sah, dass die Aktie mal bei 100 Euro stand und zum Zeitpunkt des Kaufs 30 Euro wert war. Mein Gedanke: Da Aktien ja langfristig steigen und die Deutsche Bank ein grosses, stabiles Unternehmen ist, wird sie definitiv auch wieder 100 erreichen. Ich wurde also zum selbst ernannten Turnaround-Spekulanten, wie so viele Anfänger. Was ich damals noch nicht wusste: 80 Prozent aller Turnaround-Stories gehen komplett in die Hose.
Michael C. Jakob gründete 2017 im Alter von 24 Jahren AlleAktien.de. Davor studierte er Informatik und Management am Karlsruher Institut für Technologie, an der ETH Zürich sowie am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Während des Studiums absolvierte Jakob ein siebenmonatiges Praktikum bei der UBS und war nach Studienabschluss ein Jahr Management Consultant bei McKinsey.
Was war Ihre Lektion daraus?
Ich muss keine grossen Risiken eingehen und auf grosse Turnarounds setzen, um eine ordentliche Rendite zu generieren. Wichtig ist, sich unabhängig Gedanken zu machen und das Unternehmen hinter der Aktie verstehen. Wie sieht das Geschäftsmodell aus, das Management, die Branche, die Konkurrenz? Zudem wurde mir bewusst, wie man sich relativ einfach einen 'unfairen' Vorteil gegenüber den meisten anderen Marktteilnehmern verschafft.
Jetzt sind wir gespannt.
Schlicht langfristig zu denken. Zehn Jahre und mehr.
Das klingt nicht gerade nach einem exklusiven Tipp.
Das stimmt, trotzdem tun es die meisten nicht. Und das obwohl man als langfristiger Investor einen Riesenvorteil gegenüber Anlegern hat, die bei den Renditeerwartungen nur auf die nächsten Jahre, Monate oder gar Tage schauen: Die Zeit spielt mir langfristig in die Hände. Mich interessiert: Wo steht das Unternehmen in zehn Jahren? Ich bin nicht darauf aus, bereits nächstes Jahr einen Haufen Geld zu haben.
Auf was schauen Sie bei den Unternehmen?
Im Grunde steht Qualität über alles.
Was heisst das genau?
Sie werden das Zitat kennen: 'It's far better to buy a wonderful company at a fair price than a fair company at a wonderful price'.
Ein Zitat von Warren Buffett, dem Altmeister.
Genau. Man soll Unternehmen also nicht kaufen, einfach nur weil sie günstig sind. In meinem Fall damals war die Deutsche Bank ein mittelmässiges Unternehmen, welches mir als sehr günstig erschien. Das nützt mir aber wenig, wenn das Geschäftsmodell der Bank nicht mehr zukunftsträchtig ist.
Worin investieren Sie heute?
Beim Investieren lohnt es sich für jeden Privatanleger sich auf seine eigenen Kompetenzen zu fokussieren. Jeder hat zwei bis drei Branchen, die er besonders gut versteht und dabei einen weiteren 'unfairen Vorteil' hat.
Was ist es bei Ihnen?
Ich habe Informatik studiert. Der Tech-Bereich, insbesondere Software, ist mein Gebiet. Hier habe ich einen 'unfairen' Vorteil gegenüber vielen anderen Investoren. Das Schöne ist aber: Jeder Privatanleger hat solch einen 'unfairen' Vorteil. Sie beispielsweise werden sich im Medien-Bereich gut auskennen. Dann würde es sich vielleicht lohnen, Medienunternehmen zu analysieren. Etwa Factset, Reuters, Morningstar oder Prosieben Media. Was ich sagen will: Jeder hat irgendwo einen Wissensvorsprung - eben einen 'unfairen' Vorteil. Auch der Coiffure beispielsweise kennt sich viel besser mit den Produkten der Kosmetik-Branche als alle anderen. Oft steckt hinter einem hervorragenden Produkt auch eine hervorragende Firma, in die man investieren kann.
« Ich selbst konzentriere mich im Tech-Sektor auf Firmen mit Abo-Modellen, die einen soliden Cashflow aufweisen, und profitabel arbeiten, etwa Microsoft oder Salesforce.»
Birgt das nicht die Gefahr, dass man nur auf eine Branche setzt – Stichwort Klumpenrisiko?
Es gibt immer ein Marktrisiko, also dass der ganze Markt nach unten geht, und ein unternehmensspezifisches Risiko. Letzteres kann man vermeiden, wenn man genau versteht, in was man investiert. Kenne ich das Unternehmen, das Geschäftsmodell, die Branche, die Konkurrenz? Kenne ich die Chancen und Risiken?
Aktien im Technologie-Bereich sind zuletzt ziemlich heissgelaufen. Beunruhigt Sie das nicht?
Es hängt extrem von der Aktie ab. Klar wird mir bei Tesla, Nikola oder Nio auch schwindlig. Ich selbst konzentriere mich im Tech-Sektor auf Firmen mit Abo-Modellen, die einen soliden Cashflow aufweisen, und profitabel arbeiten wie etwa Microsoft oder Salesforce. Über meine Investments schreibe ich auch komplett nachvollziehbar und transparent auf AlleAktien.
Vor allem die Aktien von Amazon und Apple legen dieses Jahr eine beispiellose Rally hin. Zu Recht?
Beide Titel sind extrem heissgelaufen. Apple wird einfach zu sehr schon als Software-Unternehmen bewertet, das heisst, es werden noch viel höhere Margen erwartet. Das ist zwar möglich, allerdings auch schon überwiegend im Kurs eingepreist. Fundamental hat sich bei Apple seit Jahren eigentlich wenig geändert, trotzdem hat sich die Aktie verdreifacht. Ich würde hier erstmal abwarten, ebenso bei Amazon.
«Auch wenn es für manche merkwürdig klingen mag: Der Tech-Trend ist noch lange nicht vorbei.»
Zuletzt haben Sie in einer Analyse den Chipentwickler Nvidia als 'vielversprechendste Aktie' bezeichnet, die Sie je analysiert haben. Wieso?
Bei diesem Unternehmen passt derzeit wirklich alles. Um es kurz zu machen: Nvidia hat eine solide Bilanz ohne Verschuldung, eine vergleichsweise hohe Ebit-Marge von 25 Prozent und sie haben als Marktführer für Graphikprozessoren ein sehr differenziertes Produkt. Das heisst, es gibt kaum einen Preiskampf. Zudem sind sie seit dieser Woche durch die Übernahme von ARM auch Marktführer bei mobilen Chips. Dem Unternehmen wird es in 10 Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich besser gehen als heute.
Seit Jahren gilt an der Börse, dass an Tech-Aktien kein Weg vorbeiführe. Wie lang bleibt das noch so?
Der Tech-Trend ist noch lange nicht vorbei. Auch wenn es für manche merkwürdig klingen mag: Wir sind noch ganz am Anfang der Digitalisierung, und viele Investoren 'der alten Schule' beginnen das auch langsam zu merken. Das Software-Zeitalter beginnt jetzt erst. Nichtsdestotrotz ist es natürlich unbestritten, dass die Bewertungen von einigen Tech-Aktien völlig überzogen sind. Daher werde ich mich künftig auch verstärkt auf zwei Branchen konzentrieren.
Die da wären?
Ich glaube, dass wir wegen der hohen Bewertung im Tech-Bereich eine kleine Branchenrotation in Healthcare und in den zyklischen Konsums und Luxussegmenten sehen werden. Bei Healthcare spreche ich aber nicht von Corona-Zock-Aktien, sondern von langfristigen seriösen Investments.
«Johnson & Johnson ist die perfekte ETF-Alternative, weil man dort als Aktionär sehr diversifiziert in zahlreiche Unterbranchen innerhalb von Healthcare investiert ist.»
Nämlich?
Etwa Johnson & Johnson oder Novo Nordisk. Johnson & Johnson ist die perfekte ETF-Alternative, weil man dort als Aktionär sehr diversifiziert in zahlreiche Unterbranchen innerhalb von Healthcare investiert ist. Novo Nordisk wiederum nimmt mit dem Fokus auf Zivilisationskrankheiten – wie Fettleibigkeit oder Alzheimer - einfach die wichtigsten Trends mit: steigender Wohlstand und eine immer älter werdende Gesellschaft.
Was empfiehlt sich langfristig im zyklischen Konsum?
Hier sind vor allem Luxusgüter-Konzerne interessant, die hohes Wachstum und Margen aufweisen, und global sehr gut über USA, Europa, und Asien Geld verdienen. In jedem Kontinent ein Drittel. Darunter fallen etwa LVMH, Hermès oder Kehring.
Haben Sie eigentlich auch Schweizer Aktien?
Ja, klar. Neben Nestlé und Lindt & Sprüngli bin ich vor allem Fan von Givaudan. Das Westschweizer Unternehmen ist weltweiter Marktführer bei Aromen- und Duftstoffen. Alles was an Geschmacksstoffen in Softdrinks oder Snacks drin ist, kommt meist denen. Wenn Sie etwa in ein gutes Hotel gehen, spielen die nicht nur gute Musik, sondern es riecht auch angenehm. Der Duftstoff kommt meist von Givaudan. Hier beherrscht das Unternehmen einen grossen Marktanteil.
Wie überzeugen Sie jemanden, der nichts mit Aktien am Hut an, an die Börse zu gehen?
Zuallererst hilft es oft, wenn man den Leuten vorrechnet, was an der Börse möglich ist. Ich glaube, viele denken, dass ein Vermögen von einer Million Franken nur ein Thema für CEO und Top-Manager ist. Wer heute mit null Franken Starkapital anfängt und jeden Monat 1000 Franken anlegt, hat bei einer Durchschnittrendite von 8 Prozent in 26 Jahren die Million erreicht. Der S&P 500 Index hatte seit 1920 inklusive Dividenden etwa 10 Prozent Rendite pro Jahr.
«Diese Generation agiert absolut irrational nach dem Motto 'Party like it's 1999'».
Wenn eine Aktie von Amazon über 3000 Dollar kostet, verschreckt das jeden Neuling erst einmal.
Ich glaube, in zehn Jahren werden Aktienkurse gar keine Rolle mehr spielen. Entscheidend wird nur noch die Marktkapitalisierung sein. Durch das Aufkommen von Fractional Shares, also dem Kauf von Bruchteilen einer Aktie, wird es irrelevant, wie teuer eine Aktie ist. Der reine Aktienkurs sagt ja gar nichts über die Aktie aus.
In den USA wächst derzeit die sogenannte «Robinhood-Generation» heran. Junge Trader, die dank dieser gestückelten Aktien mit kleinen Summen zocken können, treiben die Kurse von Pleite-Unternehmen in die Höhe.
Diese Generation agiert absolut irrational nach dem Motto 'Party like it's 1999'. Das ist nichts anderes als unreguliertes Casino und hat nichts mit investieren zu tun. Die Corona-Krise beschleunigte den Trend natürlich, weil diesen Leuten im Lockdwon nach wochenlangem Netflix schauen langweilig geworden ist. Wenn man bei Brokern wie Robinhood praktisch ohne Gebühren Aktien herumtraden kann, ist das beinahe schlecht für die informierte, langfristige Aktienkultur.
Pleite-Aktien wie die des Autovermieters Hertz schiessen in die Höhe und keiner weiss, warum eigentlich.
Unter den meistgehandelten Aktien bei Robinhood finden sich Airlines, Kreuzfahrtgesellschaften, Corona-Impfstoff-Kandidaten oder Wasserstoff-Aktien. Alles Branchen mit Chancen, aber mindestens so hohen Risiken. Die Diskussionen der Robinhooder in Internet-Foren über Investments findet hauptsächlich in Memes statt [ein Meme ist ein Bild, welches humoristisch ein bestimmtes Gefühl oder eine Message transportieren soll. Anm. d. Red]. Das hat nichts mit Aktienanalyse zu tun.
«Panik ist nur dann angebracht, wenn man eigentlich keine Ahnung hat, in was man da investiert hat.»
Kein gutes Zeichen für die Aktienkultur der jungen Generation…
In der Schweiz und in Deutschland bin ich da viel optimistischer. In unserer AlleAktien.de-Community merke ich, wie vor allem die Jungen topinformiert sind bei ihren Investments. Ich bin sicher: Zu den informierten Investoren wird langfristig der Geldstrom fliessen. Die Trader verlieren langfristig.
Was machen Sie, wenn es am Markt ungemütlich wird?
Wer die Geschäftsmodelle der Unternehmen, in die er investiert ist, versteht, muss bei einem Crash nicht in Panik geraten. Panik ist nur dann angebracht, wenn man eigentlich keine Ahnung hat, in was man da investiert hat. Ich weiss zum Beispiel, dass Apple und Microsoft so viele Cash-Reserven haben, dass sie locker einige Jahre kein Geld verdienen könnten, ohne dabei pleite zu gehen. Letztens hat mich jemand gefragt, ob der Handelsstreit USA-China nicht gefährlich sei für den China-E-Commerce-Riesen Alibaba.
Ihre Antwort?
Diese Frage stellt nur jemand, der sich noch nicht tiefgehend mit Alibaba beschäftigt hat. Alibaba erzielt 95 Prozent der Umsätze in Asien, davon 80 Prozent in China. Es klingt trivial: Wer in eine Aktie investiert, sollte sich gut über das Unternehmen informieren.
- Dieses Interview erschien zuerst auf «Cash.ch» unter dem Titel: «Panik im Börsen-Crash kennen nur jene, die nicht wissen, in was sie eigentlich investiert sind».