BILANZ: Eine Fächerpalme repräsentiert das Handelshaus Diethelm Keller Siber Hegner (DKSH). Wieso das?
Adrian Keller: Der Fantree, die Fächerpalme also, versinnbildlicht als Brand unsere Firma. In Asien, wo wir stark verankert sind, werden wir oft The Fantree Company genannt. Wir produzieren und verkaufen als Dienstleistungsunternehmen ja keine eigenen Erzeugnisse, sondern leben von unserem guten Namen, unserem Ruf und dem Vertrauen, das uns entgegengebracht wird: Insofern ist die Fächerpalme die Visualisierung unseres Brands als Dienstleistungsmarke.
Die Dienstleistungsmarke zu vier Buchstaben, die sich niemand merken kann.
Keller: Es gibt die grosse Ausnahme: Alle Damen kennen LMVH. Als die Hong Kong Shanghai Bank zur HSBC wurde, hat das offensichtlich auch funktioniert. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist unsere Bildmarke so wichtig. Selbst meine zweijährige Tochter kann dieses Logo entschlüsseln.
Ihre Firma ist im Jahr 2002 aus der Fusion von SiberHegner und dem Asiengeschäft von Diethelm Keller entstanden. War das denn eine zwangsläufige Entwicklung?
Keller: In unserer Generation hat wohl ein Umdenken stattgefunden: Es geht nicht um einzelne Personen, sondern das langfristige Wohlergehen der Firma steht im Zentrum. Das Zusammengehen bot eine willkommene Gelegenheit zur Stärkung der Firma. Wir haben sie genutzt.
Es ging aber auch darum, die Nachfolge im Management zu regeln.
Keller: Fast alle altehrwürdigen Schweizer Handelshäuser gibt es ja nicht mehr. SiberHegner hat um die Jahrtausendwende sehr erfolgreich den Übergang von der traditionellen Länderorganisation zur Führung nach Geschäftsbereichen geschafft – eine Grundvoraussetzung, um ein modernes Dienstleistungsunternehmen zu entwickeln. Dies blieb uns natürlich nicht verborgen. Wir von Diethelm Keller verfolgten diesen Ansatz ebenfalls und waren 2001 auf der Suche nach einem Kapitän, der die neue Strategie erfolgreich umsetzen würde. Eine Annäherung an SiberHegner bot sich hier geradezu an.
Jörg W. Wolle: Zudem passten die beiden Unternehmen perfekt zusammen. Gemeinsam konnten wir ein Unternehmen schaffen, das eine flächendeckende regionale Abdeckung in Asien hat und ein umfassendes Dienstleistungsportfolio anbietet – von der Beschaffung von hoch spezialisierten Rohmaterialien bis hin zur asienweiten Distribution und Logistik. Wir sind heute eine professionelle, privat gehaltene Gesellschaft mit verschiedenen Familienaktionären und einem familienunabhängigen Management. Im Verwaltungsrat sitzen unter anderem die Vertreter der vierten und der fünften Generation der Gründerfamilien.
Im Finanzbereich verfügte die Schweiz früher über fünf Grossbanken, heute sind es noch zwei; in Basel gab es einmal vier grosse Chemiefirmen, jetzt noch zwei. Gab es bei den Handelshäusern einen ähnlichen Druck zur Konzentration?
Keller: Ja, in unserem Geschäft sind heute die kritische Masse, massive Investitionen in Informationstechnologie, ein gutes Beziehungsnetz und die flächendeckende Präsenz in den Märkten absolut zentral. Das ruft nach Grösse und führt unweigerlich zur Konsolidierung in unseren Geschäftsbereichen.
Andere Schweizer Handelshäuser sind verschwunden. Was haben Sie besser gemacht?
Wolle: In einer privat gehaltenen Gesellschaft hat der Eigner das Recht, seine Firma in Glanz und Gloria zu Grunde gehen zu lassen. Bei uns herrschte eine andere, viel rationalere Sicht der Dinge. Wir haben mit Mut und Hartnäckigkeit das traditionelle Geschäftsmodell der Handelshäuser neu erfunden und weiterentwickelt.
Was heisst das konkret?
Wolle: Schuster, bleib bei deinem Leisten! Statt ohne Konzept zu diversifizieren oder nur um des Wachstums willen zu wachsen, haben wir auf unseren Stärken aufgebaut. Diethelm war in Thailand und Malaysia stark, Keller in Hongkong und auf den Philippinen, SiberHegner in Japan und China. Das war der Ausgangspunkt. Heute will der Kunde, sei es im Konsumgüter-, im Pharma- oder im Technologiebereich, im asiatischen Markt einen einzigen Ansprechpartner, der das gesamte Dienstleistungsspektrum aus einer Hand anbieten kann. Wir haben ein flächendeckendes Netzwerk für Vertrieb, Distribution und Service über ganz Asien aufgebaut und können so diesen Bedürfnissen entsprechen.
Das können andere Anbieter nicht?
Wolle: Wenn eine Firma heute entscheidet, in den asiatischen Markt einzusteigen oder den bestehenden Vertrieb auszulagern, gibt es in der Tat nicht viele Adressen. Bei den Konsumgütern sind wir klar die Nummer eins. Im Bereich Pharma existiert ein Duopol.
Keller: Unser nächster Konkurrent auf dem Gebiet der Konsumgüter ist ungefähr ein Drittel so gross wie der Geschäftsbereich Consumer Goods von DKSH. Der Markt ist sehr zersplittert, und es besteht eine natürliche Konsolidierungstendenz. Unser Track Record, akquirierte Firmen effizient und ohne grosse Reibungsverluste einzugliedern, gibt uns dabei einen Wettbewerbsvorteil.
Woher holen Sie die Manager für dieses internationale Business?
Wolle: Immer seltener aus der Schweiz. Wir haben seit der Fusion 7500 neue Arbeitsplätze geschaffen. Heute zählen wir über 20 500 Mitarbeiter aus 48 Nationen, darunter sind weniger als ein Dutzend Schweizer im Management.
Woran liegt das?
Wolle: Wir wären froh, wenn wir ein paar junge, dynamische, vom Pioniergeist beseelte Schweizer einstellen könnten. Es spricht zwar jeder von Asien, aber nach Asien gehen und dort leben will kaum jemand. Viele potenzielle Kandidaten sind nicht mehr hungrig genug. Bei uns ist die Mischung aus asiatischer und westlicher Denkweise sehr wichtig, das heisst, wir benötigen eine gewisse Anzahl Expatriates. Aber der Anteil ist im Vergleich zu früher viel geringer. Durch gezielte Nachwuchsförderung und professionelle interne Trainingsprogramme generieren wir Nachwuchs aus den eigenen Reihen. Immer mehr lokale Mitarbeiter wachsen so in Führungspositionen hinein.
Sie sind ja traditionell in Asien tätig. Jetzt boomt die Region …
Keller: Wir sind seit rund 140 Jahren in Asien tätig. Es waren nicht immer rosige Zeiten, weder geschäftlich noch politisch. Ich weiss beispielsweise von einem unserer Manager, der im Zweiten Weltkrieg in Singapur über zwei Jahre lang unter Hausarrest stand und Wege zum Überleben finden musste. Aber unsere Firma versuchte trotzdem, dort geschäftlich engagiert zu bleiben. Aus anderen Ländern wurden wir ausgewiesen, etwa aus Vietnam oder China. Aber wir kamen immer wieder zurück.
Sie sehen das einfach in einem grösseren Zeitraum.
Wolle: Das ist der Vorteil einer privat gehaltenen Gesellschaft. Die Entscheidungsfindung dauert manchmal vielleicht etwas länger, es wird intensiv diskutiert, aber wenn das Management den Verwaltungsrat überzeugt hat, kann man langfristig operieren. Und vergessen Sie nicht: Asien ist nicht gleich China. Wir sind in 35 Ländern tätig. Japan beispielsweise war in den vergangenen zehn Jahren keine boomende Volkswirtschaft, aber in Bezug auf die Profitabilität ist es für uns einer der interessantesten Märkte. Jetzt zieht auch dort die Konjunktur wieder an. Thailand kam 1997 quasi zum Stillstand, auch Malaysia. Wir rennen nicht anderen kopflos wie Lemminge hinterher im Sog des Asienbooms, aber wir kommen auch nicht nach zwei schlechten Quartalen auf grundsätzliche Entscheidungen zurück, wie es viele internationale Firmen während der Asienkrise getan haben.
Haben Sie noch nie daran gedacht, auch in andere Weltregionen zu expandieren?
Keller: Wenn wir uns die Wachstumsraten der Länder, die wir in Asien abdecken, anschauen und uns bewusst machen, dass die ganze Welt dorthin expandieren will, stellt sich diese Frage im Moment nur bedingt.
Wolle: In Südostasien haben wir in der Distribution Marktanteile zwischen 30 und 60 Prozent. Wir wollen diese starke Marktstellung weiter ausbauen. Das bringt uns mehr als ein übereilter Vormarsch in einzelnen Regionen, die gerade in sind.
Birgt dies nicht Risiken? Gerade weil Asien boomt, könnte es für eine Novartis, eine Roche interessant werden, selber ein Vertriebsnetz aufzubauen, wie dies Nicolas Hayek einst vorexerziert hat.
Keller: Der Vergleich hinkt. Die Uhrenindustrie ist von Persönlichkeiten geprägt. Ich sage dies, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen. Die Pharmaindustrie agiert da viel rationaler. Sie beurteilt die gesamte Wertschöpfungskette und entscheidet dann, welchen Teil davon sie selbst optimal erfüllen kann und welchen nicht. Logistik, flächendeckende Distribution und Vertrieb gehören da eher nicht dazu, und deshalb wickeln sie diese über verlässliche Partner ab.
Wolle: Zu bedenken ist auch, dass selbst Multis in verschiedenen asiatischen Märkten einen relativ kleinen Anteil am Warenkorb abdecken. Wir haben hier echten Mehrwert zu bieten: Durch unsere Grösse können wir der geballten Einkaufsmacht des Modern Trade und der zersplitterten Abnehmerstruktur im Traditional Trade erfolgreich entgegentreten. Wir beliefern jeden Tag Hunderttausende Supermärkte, Tante-Emma-Läden, Apotheken, Drogerien, Ärzte und Spitäler in Asien mit Konsumgütern und Pharmaprodukten. Dadurch können wir Vertrieb und Distribution flächendeckend zu tieferen Kosten anbieten.
Die UBS will Sie, Herr Wolle, in den Verwaltungsrat wählen lassen. Möchte die Bank von Ihren gewachsenen Beziehungen in Asien profitieren?
Wolle: Die Frage müssten Sie eigentlich der UBS stellen. Ich kann dazu Folgendes sagen: Die UBS ist wie wir eine Dienstleistungsfirma, die Bank ist der weltgrösste Anbieter im Wealth Management, und Asien gehört zu den Regionen mit der prozentual grössten Zunahme an Vermögen. Da ist es wichtig, dass man diesen Kulturkreis verstehen kann. Die UBS lebt wie wir von ihrem Ruf, vom Vertrauen der Kunden. Um dieses zu gewinnen und zu erhalten, müssen Sie sich in deren Bedürfnisse hineindenken können. Der «you and us»-Slogan der Bank drückt diese Beziehung zum Kunden in einer perfekten Prägnanz aus.
Keller: Wir sind stolz auf diese Berufung – ist sie doch auch eine sehr positive Reflexion auf unser Unternehmen. In hochkarätigen Verwaltungsräten anderer Unternehmen lernt man immer dazu. Es gibt nichts Gefährlicheres, als in einem Elfenbeinturm zu sitzen. Deshalb verfolgen unsere Verwaltungsräte eine limitierte Anzahl von Engagements ausserhalb der Firma.
Haben Sie schon einmal Pläne gewälzt, Ihre Firma nach Asien zu transferieren?
Wolle: Das haben wir uns schon oft überlegt. Die Frage ist, was das bringen würde, ausser etwas kürzeren Flugreisen. Wohin wollen Sie dann gehen: nach Hongkong, dem Tor zu China, oder nach Thailand, wo wir am grössten sind, oder nach Japan, wo wir pro Kopf am meisten Geld verdienen, oder nach Singapur, weil dies der beste Hub ist? Wenn ich von Singapur nach Japan fliege, brauche ich sechs Stunden, ab Zürich ist es das Doppelte. Die Vorteile einer Verlegung des Firmensitzes sind also begrenzt. Dagegen steht, dass wir als Schweizer Unternehmen viel Goodwill und Sympathien im gesamten asiatischen Raum geniessen.
Wissen die Asiaten, dass sich hinter der Fächerpalme eine Schweizer Firma verbirgt?
Wolle: Das wissen die schon. Wir sind in Japan so japanisch, in Thailand so thailändisch, wie Sie als Ausländer je sein können. Aber wir sind stolz darauf, eine Schweizer Firma zu sein.