Rund 90 Prozent der Teilnehmenden einer aktuellen Bloomberg-Umfrage unter professionellen und privaten Anlegern und Anlegerinnen sind der Meinung, dass Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 die Preise über ihre eigenen Kosten hinaus erhöht und damit die Inflation zusätzlich angetrieben haben. Tatsächlich haben die Gewinnspannen in den USA ein 70-Jahres-Hoch erreicht.
Diese Entwicklung widerspricht der gängigen Wirtschaftstheorie, dass sich die Gewinnspannen mit der Zeit «umkehren» und sich tendenziell wieder auf einem normalen Niveau einpendeln. Denn ein Wirtschaftssektor mit hohen Gewinnen sollte neue Marktteilnehmer anziehen, sodass der zunehmende Wettbewerb die Gewinnspannen nach unten drückt. Aber die Realität sieht derzeit anders aus. Die Gewinnspannen waren schon vor der Pandemie hoch. Und jetzt sind sie noch höher – trotz Inflation.
Preissetzungsmacht im inflationären Umfeld entscheidend
Paul Donovan, Chefökonom der UBS, bezeichnet diese Entwicklung als «profit-led inflation» – Unternehmen, die unter dem Deckmantel breit angelegter Preiserhöhungen ihre eigenen Preise stärker anheben, als sie müssten. Und das sind meist die Unternehmen mit einer starken Preissetzungsmacht. Bekanntlich setzt die Investment-Legende Warren Buffett seit Jahren erfolgreich auf dieses Kriterium bei der Aktienauswahl.
«In einem inflationären Umfeld ist es entscheidend, dass Unternehmen die höheren Inputkosten – Löhe, Rohstoffe, Vorprodukte oder Produktionskosten – weitergeben können», sagt Matthias Geissbühler, Anlagechef bei der Raiffeisen, gegenüber Cash.ch. Denn nur so gelinge es, die Margen stabil zu halten. Preissetzungsmacht hätten vor allem Firmen, welche über einzigartige und begehrenswerte Produkte verfügen oder entsprechende Dienstleistungen anbieten. Dazu gehören beispielsweise Unternehmen im Luxusgütersektor oder auch gewisse Konsumgüterkonzerne.
Gleich sieht es Mathieu Racheter, Aktien-Chefstratege bei der Bank Julius Bär: «Das Thema Preissetzungsmacht gewinnt im gegenwärtigen Marktumfeld an Bedeutung, da die Unternehmen aufgrund des abnehmenden Wirtschaftswachstums und relativ hoher Inflation vermehrt Druck auf ihre Margen aufweisen.»
In der Schweiz verfügen im Luxusgütersegment Richemont und Swatch über Preissetzungsmacht. Oder auch LVMH, Hermès und Kering im Ausland. Je stärker die Marke, desto einfacher ist es in diesem Sektor, Kosten weiterzugeben. Im Nahrungsmittelsektor sind Nestlé und Barry Callebaut gute Beispiele. Nestlé konnte im ersten Quartal 2023 die Preise um insgesamt 9,8 Prozent erhöhen und so die Margen einigermassen verteidigen – und dies bei praktisch stabilem Absatz. Barry Callebaut verfolgt ein Cost-Plus-Preismodell. Dort werden die Verkaufspreise direkt an die Entwicklung der Rohstoffpreise angepasst.
Konsumgüterkonzerne mit Limiten
Bei den internationalen Nahrungsmittel- oder Konsumgüterunternehmen gehören unter anderem Unilever, Danone, L'Oréal, aber auch Procter & Gamble, Coca-Cola und Pepsico dazu. Coca-Cola liegt schon seit 1988 im Portfolio von Warren Buffett. «Bei Konsumgüterkonzernen gibt es allerdings bei zu starken Preiserhöhungen einen kritischen Punkt, da Konsumentinnen und Konsumenten ansonsten auf ‹billigere› Produkte umschwenken», wendet Geissbühler ein. Wenn gewisse Markenprodukte zu teuer werden, weichen die Konsumenten ab einem gewissen Punkt auf günstigere Eigenmarken der Detailhändler aus. Dadurch fällt der Absatz und letztlich auch der Gewinn.
Preissetzungsmacht hängt vielfach davon ab, ob Kunden auf die Produkte verzichten können oder nicht. Nicht nur Lebensmittel werden in jeder Krise gekauft, sondern auch Pharmaprodukte. Ein gutes Beispiel hierfür ist der dänische Insulinhersteller Novo Nordisk. Bei diesem steigen die Preise und Margen in der Tendenz stärker als die dahinter liegenden Kosten. Für Racheter haben auch Roche, Astrazeneca, Eli Lilly, Alcon und Lonza eine gute Preissetzungsmacht.
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Am reibungslosesten werden höhere Preise im Austausch gegen grösseren Nutzen akzeptiert. Daher steigt die Preissetzungsmacht auch mit der Innovationskraft eines Unternehmens. VAT, Sika, Straumann oder Geberit sind diesbezüglich in einer guten Ausgangslage. Kommt eine Rezession, schlagen sich diese Unternehmen besser und gewinnen Marktanteile. Einen hohen Marktanteil erzielt auch Sensirion. Das Unternehmen aus Stäfa verfügt bei Feuchtigkeitssensoren global über Marktanteile von mehr als 50 Prozent.
Ebenfalls relativ gut können Hersteller von sogenannten C-Parts Preiserhöhungen weitergeben. Ein Beispiel ist der Schraubenhersteller Bossard. Dessen Produkte sind kritisch im Produktionsprozess – zum Beispiel in der Automobilproduktion –, machen aber nur einen sehr kleinen Teil an den Gesamtkosten aus. Entsprechend akzeptieren die Abnehmer in der Regel höhere Preise.
Alphabet oder Microsoft als «Quasimonopolisten»
Generell haben grössere Unternehmen ihre Gewinnspannen stärker als der Durchschnitt erhöht, was damit zusammenhängt, dass insbesondere Unternehmen in monopolistischen Branchen ihre Position stärker ausnutzen. «Natürlich sind auch Monopolisten oder Oligopolisten in der Lage, Preise zu erhöhen, dies vor allem dann, wenn es keine oder nur wenige Alternativen gibt», sagt auch Geissbühler. Es hängt aber immer von der Gesamtnachfrage ab.
Sogenannte «Quasimonopolisten» sind teilweise die grossen Technologiewerte wie Alphabet. Google hat einen Marktanteil bei den Suchmaschinen von rund 90 Prozent. Microsoft dominiert die Office-Software. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass in den USA immer mal wieder über die Zerschlagung dieser Tech-Giganten debattiert wird. Ein Quasimonopol liegt vor, wenn es auf einem Markt mindestens zwei Anbieter gibt, von denen jedoch einer eine marktbeherrschende Stellung hat.
Immer bekannter ist auch die marktbeherrschende Stellung von TSMC. Der taiwanesische Chipfertiger kommt laut dem Marktforscher Trendforce auf einen Marktanteil von 60 Prozent. TSMC ist aber nicht das einzige Unternehmen im Chip-Sektor mit Preissetzungsmacht. «Nvidia hat eine Quasimonopolstellung für Hochleistungschips, da das Unternehmen der einzige Lieferant von Rechenleistungs-Upgrades ist», sagt Racheter.
Andere Beispiele von Quasimonopolisten wären Strom- und Wasserversorger, Flughafen- oder Mautstrassenbetreiber. In diesen Bereichen sind die Preise aber teilweise staatlich reguliert und können deshalb nicht immer 1:1 von den Unternehmen in Eigenregie festgelegt werden.
(Mit Material der Nachrichtenagentur Bloomberg)
Dieser Artikel erschien zuerst bei Cash.ch unter dem Titel «Dieses Warren-Buffett-Kriterium ist bei Aktien in Inflationszeiten entscheidend».