BILANZ: Welches sind die grössten Veränderungen, die Sie im Vergleich mit dem ersten Rating vor einem Jahr im Bereich der Corporate Governance in der Schweiz feststellten?
Gregor Greber: Die Corporate Governance hat sich verbessert. Ereignisse wie die Verweigerung der Décharge an der UBS-Generalversammlung oder die Diskussion um die «Abzocker-Initiative» führten dazu, dass sich der Druck der breiten Öffentlichkeit auf die Firmen erhöht hat.
Wie wichtig ist die Diskussion um die Salärpolitik?
Die Saläre von VR und Konzernleitung sind Ausdruck der gesamten Corporate Governance. Diese besteht aus wesentlich mehr Faktoren. Genauso störend wie unangebrachte Vergütungssysteme sind etwa Stimmrechtsaktien, Stimmrechtsbeschränkungen, mangelhafte Unabhängigkeit des Verwaltungsrats oder Kontrollwechselklauseln. Das alles kann die Aktionärsrechte stark einschränken.
Braucht es dazu neue Vorschriften, oder reichen die bestehenden Regelungen aus, wie sie die SIX Swiss Exchange oder Economiesuisse haben?
Ich bin durchaus der Meinung, dass beispielsweise eine konsultative Abstimmung über Entschädigungsmodelle gesetzlich vorzuschreiben ist oder in die Statuten gehört. Auch sollten goldene Fallschirme für die Firmenspitze bei unerwünschten Übernahmen untersagt werden. Allerdings können neue oder schärfere Vorschriften allein noch keine Lösung sein. Vielmehr müssen die Anleger ihre bestehenden Rechte auch wahrnehmen.
Sollen Pensionskassen dazu gezwungen werden, die Stimmrechte auszuüben, wie in der aktuellen Aktienrechtsrevision diskutiert wird?
Demokratie – auch Aktionärsdemokratie – sollte ein Recht ermöglichen und nicht die Mitwirkung vorschreiben. Rund 70 Prozent der Aktien werden von institutionellen Investoren gehalten. Wenn alle institutionellen Aktionäre ihre Rechte nutzten, würde sich die Aktionärsdemokratie durchsetzen. Es geht ja nicht nur um Pensionskassen, sondern auch um Anlagefonds, Banken, Vermögensverwalter oder Versicherungen.
Gibt es nicht auch Grenzen der Mitwirkungsmöglichkeit, wenn Kleinaktionäre nichts ausrichten können?
Bei Firmen, die von einem Grossaktionär kontrolliert werden, bleibt den Kleinaktionären in der Regel nur die Möglichkeit, ihre Anteile zu verkaufen, wollen sie nicht einen langwierigen, aufwendigen und wenig aussichtsreichen Kampf aufnehmen.
Firmen mit einer ungenügenden Corporate Governance können für Anleger trotzdem sehr rentabel sein. Besteht da nicht ein gewisser Widerspruch zu Ihrem Ansatz?
Erfolgreiche Firmen, die nicht auf den Kapitalmarkt angewiesen sind, zum Beispiel Swatch Group, Lindt & Sprüngli oder Schindler, können sich eine unbefriedigende Corporate Governance leisten. Die Investoren dürfen quasi als Trittbrettfahrer am Unternehmenserfolg teilhaben. Der Anleger sollte sich aber über die Risiken von ungenügender Corporate Governance im Klaren sein für den Fall, dass das Unternehmen doch einmal auf den Kapitalmarkt angewiesen ist.