Im letzten Jahr war ein nicht getätigtes Investment in Apple-Aktien der grösste Fehler, den ein auf US-Aktien spezialisierter Investor begehen konnte. In diesem Jahr hat die Aktie des Internethändlers Amazon diese Rolle übernommen.
Amazon als sicherer Hafen
Seit Jahresbeginn kommt sie auf ein Plus von 67 Prozent und hat den Verlust im Standard & Poor’s 500 am stärksten von allen Titeln im Index gedämpft. Dabei profitierte sie nicht nur von den Problemen beim Vorjahressieger Apple, sondern auch davon, dass sie als sicherer Hafen angesehen wird, wenn Anleger mit Schwellenmärkten nichts zu tun haben wollen. Amazon erzielt 57 Prozent seines Umsatzes in Nordamerika und hängt damit weniger als andere Unternehmen vom weltweiten Wachstum ab.
«Nervöse Investoren wollen Geld bei Apple abziehen, und weil ihnen nichts Neues einfällt, drängen sie zu Amazon», konstatiert Hugh Grieves, Fondsmanager bei Miton Group in London. «Fondsmanager, die den S&P 500 als Benchmark haben, denken, dass sie diese Aktien halten müssen, um nicht auf längere Sicht ein schlechteres Abschneiden als die Benchmark zu riskieren.»
In fünf Jahren der wichtigste Treiber
Der S&P 500 hat seinen Stand in den vergangenen sechs Jahren mehr als verdoppelt. Apple war dabei in fünf Jahren der wichtigste Treiber des Index’. Inzwischen aber hat die Aktie den grössten Teil ihrer Gewinne in diesem Jahr wieder abgegeben und verzeichnet nur noch ein Plus von etwa 1,8 Prozent. Dazu kommen massive Verluste bei den Energietiteln Exxon Mobil Corp. und Chevron Corp., die 18 Prozent zum Minus im S&P 500 beigetragen haben. Insgesamt kommt der Index unter 24 Börsenbarometern in Industrieländern auf einen der hintersten Ränge.
Unter den Investmentfonds, die ihre Wertentwicklung gegen den S&P 500 messen und mindestens 500 Millionen Dollar verwalten, kommen diejenigen, die Amazon übergewichten - also in ihrem Portfolio einen höheren Anteil von Amazon-Aktien haben, als ihrem Gewicht im Index von 1,1 Prozent entspricht - im Schnitt auf ein Minus von 2,2 Prozent für dieses Jahr. Dagegen haben Fonds, bei denen Amazon-Titel einen geringeren Anteil am Portfolio haben als im Index, einen durchschnittlichen Verlust von 4,5 Prozent verzeichnet, wie aus Pflichtmitteilungen hervorgeht.
Sorge um die Nachfrage nach dem iPhone
Die Kursgewinne bei Amazon haben die Aktie teuer im Vergleich zu ihren Internet-Konkurrenten gemacht. Aktuell wird sie zum 71-fachen des erwarteten Gewinns gehandelt. Dennoch bewerten mehr als 80 Prozent der von Bloomberg befragten Analysten Amazon mit Kaufen. Nachdem das Unternehmen im Juli überraschend einen Quartalsgewinn vorgelegt hatte, kletterte der Aktienkurs in dem Monat um 24 Prozent, während der S&P nur auf ein Plus von zwei Prozent kam.
Im Gegensatz dazu hat die Sorge um die Nachfrage nach dem iPhone in China die Apple-Aktie nach unten gedrückt. Von einem Hoch am 20. Juli ist sie 15 Prozent eingebrochen. Auch bei den Prognosen für Gewinn und Umsatz hat Amazon die Nase vorn: während Analysten bei Apple einen Gewinnanstieg von 42 Prozent im laufenden Jahr und sieben Prozent 2016 erwarten, rechnen sie bei Amazon dieses Jahr mit einer Verdreifachung des Gewinns. Der Umsatz des Onlinehändlers soll 2016 um 19 Prozent zunehmen, annähernd viermal so viel wie bei Apple. Von beiden Unternehmen war keine Stellungnahme zu erhalten.
Abhängig vom Erfolg des Smartphones
Am Mittwoch stellt Apple-Vorstandschef Tim Cook in San Francisco neue iPhone-Modelle vor. Auch wenn Apple andere Produkte und Dienstleistungen anbietet, hängt der Umsatz immer noch sehr vom Erfolg des Smartphones ab.
«Die Bäume wachsen nicht in den Himmel», kommentiert Jacques Porta, Fondsmanager bei Ofi Gestion Privée in Paris. «Nach einer phänomenalen Performance war es für Apple schwierig, diesen Trend aufrechtzuerhalten. Amazon ist weniger vom weltweiten Wachstum abhängig, aber sie müssen den Investoren zeigen, dass sie die Gewinne weiter steigern können.»
(bloomberg/ccr)