BILANZ: Brauchte es zuerst den Druck durch die Finanzmarktbehörden, damit die führenden ETF-Anbieter für mehr Klarheit in den Produkten sorgen wollen?
Christian Gast: Die Branche muss sich wohl den Vorwurf gefallen lassen, die teilweise zu komplexen Strukturen und die abnehmende Transparenz nicht früher kommuniziert zu haben. Wir haben die Arbeiten an unserem neuen umfassenden Leitfaden, der kürzlich publiziert wurde, jedoch bereits vor Monaten begonnen.
Sind die Kritiken überzogen?
Wir nehmen sie auf jeden Fall ernst. Zudem ist es nachvollziehbar, dass eine Industrie, die ein jährliches Wachstum von mehr als 30 Prozent aufweist, von den Behörden besonders genau unter die Lupe genommen wird.
Wäre der europäischen ETF-Branche mit einheitlichen und verbindlichen Reformen insgesamt nicht besser gedient?
Unter den verschiedenen Anbietern einen Konsens zu finden, ist keine triviale Aufgabe. Hier prallen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite stehen die klassischen Asset Manager wie etwa iShares/BlackRock, die typischerweise – von einigen Abweichungen und Verbesserungen abgesehen – die ETF weitgehend so replizieren und verwalten wie zu Beginn der ETF-Ära. Auf der anderen Seite finden wir Anbieter, oft mit einer starken Investmentbank-Sparte, die später in den Markt eingetreten sind und derivatebasierte Produkte bevorzugen.
In Ihrem Leitfaden nehmen die Gesamtkosten eines ETF und das Konzept Total Cost of Ownership (TCO) eine wichtige Rolle ein.
Ein Anleger will wissen, was es kostet, einen ETF zu erwerben, zu halten und wieder zu verkaufen. In der gängigen Kennzahl Total Expense Ratio (TER) sind jedoch Transaktions- und Rebalancing-Kosten nicht enthalten, ebenso wenig Erträge aus der Wertschriftenleihe und bei derivativ replizierenden ETF die Swapkosten. Geld-Brief-Spanne, Kommissionen oder die Stempelsteuer fehlen ebenfalls. Mit dem TCO-Ansatz werden die Gesamtkosten genauer berücksichtigt.
Die Diskussionen um Transparenz und Sicherheit von ETF rücken klassische Indexfonds verstärkt in den Fokus. Zu Recht?
Das höhere Interesse ist eine Reaktion auf die teilweise berechtigte Kritik an den börsengehandelten ETF. Ich glaube aber, dass man mit dem ausschliesslichen Einsatz von Indexfonds das Rad der Geschichte um mindestens eine ganze Umdrehung zurückdreht. Ich finde es besser, das Rad nur um eine halbe zurückzudrehen und sich auf die Stärken zu besinnen, die den ETF ihren Erfolg bescherten. Das sind vor allem Transparenz, Kosteneffizienz und die Möglichkeit, Fondsanteile an der Börse jederzeit handeln zu können.