Es gibt nichts zu beschönigen: Auch 2004 war ein äusserst turbulentes Jahr für den Schweizer Aktienmarkt. Der SMI stand Ende des Jahres nicht viel höher als zu Beginn, dafür ging es in den Monaten dazwischen auf und ab wie auf einer Achterbahn. Der ersehnte Wirtschaftsaufschwung kam nicht annähernd so, wie man sich das vorgestellt hatte. Die exorbitant gestiegenen Rohstoffpreise, vor allem für Öl, machte vielen einen Strich durch die Rechnung. Der Index der Blue Chips lag Ende Jahr 3,7, der breiter gefasste SPI 6,9 Prozent höher.

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Und doch fanden sich auch letztes Jahr jede Menge Möglichkeiten, eine höhere Performance zu erzielen, als die Märkte vorgaben. Natürlich nicht mit dem Blick in die Glaskugel, dem Werfen von Dartspfeilen auf eine Aktienliste oder 08/15-Empfehlungen, wie dies noch oft der Fall ist.

Zwei Drittel der Researchhäuser zum Beispiel empfahlen 2004 den Nahrungsmittelhersteller Nestlé zum Kauf. Was nicht sehr einfallsreich und vor allem nicht sehr erfolgreich war: Am Jahresende schaute bei Nestlé ein Minus von 3,7 Prozent heraus. Hätten die Anleger stattdessen im gleichen Sektor auf den zwar kleineren, dafür viel dynamischeren Backwarenhersteller Hiestand gesetzt, könnten sie einen Gewinn von 107 Prozent einstreichen (Empfehlung von René Weber, Bank Vontobel und Erstplatzierter der Analystentrophy).

Letztes Jahr zeigte sich vor allem eines: Banken, die den Aufwärtstrend für kleine und mittelgrosse Unternehmen nicht verschlafen hatten, konnten hervorragende Renditen einfahren. Und einige taten dies auch. Die Bank Leu etwa empfahl den Maschinenbauer Georg Fischer (plus 21 Prozent), Lombard Odier Darier Hentsch setzte auf den Verpackungshersteller SIG (plus 52 Prozent), während bei Cheuvreux die Messtechnikfirma Leica Geosystems (plus 72 Prozent) auf dem Einkaufszettel stand.

Da stellt sich naturgemäss die Frage, ob solche Einzelempfehlungen lediglich ein beiläufiger Glücksgriff waren oder ob diese Banken konsistent gute Leistungen erbrachten. Dieser Frage nahm sich BILANZ an. Um zu sehen, welche Finanzinstitute einen Mehrwert für die Anleger geschaffen haben, mussten sämtliche Empfehlungen (kaufen, halten, verkaufen) vom letzten Jahr für Schweizer Titel ausgewertet werden. Einen Monat lang untersuchte deshalb das Institut Isfa, eine Tochtergesellschaft der Schweizer Finanzanalystenvereinigung (SFAA), über 1700 Ratings. Alles in allem wurden 30 Banken und Finanzdienstleister unter die Lupe genommen.

Danach wurden die Gewinner in die Kategorien A und B eingeteilt, weil Banken Empfehlungen entweder absolut (Auswahl einzelner Titel als Favoriten) oder relativ (Bevorzugung einzelner Titel gegenüber den Konkurrenzunternehmen) aussprechen. Ebenfalls wurde unterschieden, ob sich das Haus auf grosskapitalisierte SMI-Titel oder auf Small & Mid Caps unter den SPI-Titeln fokussierte.

Hier die Ergebnisse, die doch sehr überraschten: Bezogen auf SMI-Werte, belegten gleich zwei amerikanische Investment-Häuser den ersten Platz, nämlich Smith Barney und JP Morgan.

Smith Barney holt damit bereits zum zweiten Mal den Siegerpokal in der Kategorie «Analysebasis absolut» ab. Mit einer Outperformance von 4,1 Prozent liess der Research-Arm der grössten Bank der Welt, der Citigroup, die Konkurrenten in dieser Kategorie hinter sich. Für ihre Kunden bedeutet dieses Ergebnis eine Performance von 7,8 Prozent Ende des Jahres auf dem Depotauszug (Steigerung des SMI um 3,7 Prozent plus die Outperformance von 4,1 Prozent).

Die Kunden von JP Morgan können sich über eine noch höhere Mehrrendite freuen. Im Vorjahr waren die Amerikaner noch nicht unter den Top Ten. Dieses Jahr liessen sie die Konkurrenz mit einer Outperformance von 4,45 und einem viel tieferen Risiko ganz deutlich hinter sich.

Beschämend sind die Leistungen der einheimischen Multis Credit Suisse und UBS: Beide tauchen auch dieses Jahr bei den Blue-Chip-Empfehlungen nicht unter den besten zehn Researchhäusern auf. Das miserable Abschneiden bestätigt die alten Vorwürfe, dass vor allem heimische Grossbanken durch ihre Verflechtungen mit Schweizer Firmen immer wieder in Interessenkonflikte schlittern und kein wirklich unabhängiges Research betreiben können. Ist eine Bank zum Beispiel an einer Finanztransaktion, etwa einem Börsengang oder einem Firmenkredit, beteiligt und setzt zugleich die Aktien dieses Unternehmens auf «verkaufen», hat sie ein Problem: Der Kunde ist sauer, der Deal gefährdet. Zwar beteuern die Banken, dass es zwischen den einzelnen Abteilungen so genannte Chinese Walls – virtuelle Mauern – gebe, die jeden Kontakt zwischen der Analyse- und der Fusions- oder der Kreditabteilung verunmöglichten. Ob diese Gemäuer aber auch wirklich so dicht sind wie behauptet, bleibt umstritten.

In diesem zweiten BILANZ-Rating hat sich wie schon im Vorjahr gezeigt, dass die grossen Investment-Häuser mit ihrem weltumspannenden Analystennetz und der breiten Abdeckung von Titeln die Nase vorn haben, wenn es darum geht, grosskapitalisierte Unternehmen zu bewerten. Jean-Baptiste Delabare, stellvertretender Researchleiter bei Smith Barney in London und verantwortlich für 85 Analysten, hebt diesen Vorteil seines Instituts hervor: «In London analysieren unsere Mitarbeiter uneingeschränkt alle Branchen, während die Analysten in Frankreich, Spanien und Italien die Unternehmen vor Ort bewerten. Auf diese Weise decken wir insgesamt 600 Unternehmen in ganz Europa ab.»

Auch Christian Katz, Head of Sales bei JP Morgan, schlägt in die gleiche Kerbe und gibt ein Beispiel: «Die zwei grössten Konkurrenten des Zementherstellers Holcim befinden sich im Ausland – Lafarge in Frankreich, Cemex in Mexiko. Deckt ein Researchhaus jedoch Mexiko und damit Cemex nicht ab, kann auch Holcim nicht richtig bewertet werden.»

Neben den US-Investment-Häusern auf den ersten Plätzen gibt es auch einige, die in die Liga der Besten aufgestiegen sind. Dazu gehören die Privatbank Sal. Oppenheim, die von Platz neun auf Position zwei kletterte, sowie die Zürcher Kantonalbank. Nachdem diese letztes Jahr nicht einmal unter den ersten zehn rangiert hatte, räumte sie 2005 gleich zwei Pokale ab: jenen für den dritten Rang bei den Empfehlungen auf SMI-Titel und jenen für den ersten Platz als beste Researchbank für Small & Mid Caps. Hier schafften die Zürcher eine Spitzenleistung, ihre Empfehlungen brachten mit einer Outperformance von fast acht Prozent mehr als doppelt so hohe Renditen wie jene des Zweitplatzierten.

Auch die Bank Leu legte einen Zahn zu. Sie stieg in der Kategorie «Analysebasis absolut» vom sechsten auf den ersten Platz und liess damit Vorjahressieger Sarasin und selbst die Grossbank UBS hinter sich. In dieser Kategorie fällt vor allem eines auf: Geht es darum, kleinkapitalisierte Schweizer Werte zu analysieren, führen nicht mehr ausländische Institute, sondern inländische mittelständische Banken die Spitze an. «Da wir uns nicht mit globalen Häusern vergleichen können, fokussieren wir uns auf Schweizer Aktien, 50 insgesamt, und haben damit Erfolg», sagt Ronald Wildmann, Swiss-Equity-Researchleiter der Bank Leu. Er beaufsichtigt ein kleines, schlagkräftiges Team von sechs Analysten, die unabhängig von der Muttergesellschaft Credit Suisse ihre Statements zu Unternehmen abgeben. «Es gilt heute mehr denn je, Mehrwert zu schaffen, denn der Konkurrenzkampf ist gross.»

«Einfach nur besser zu sein als der Markt, der womöglich sogar mit einem Minus abgeschlossen hat, genügt schon lange nicht mehr», ergänzt Guido Hoymann, Chefanalyst der Bank Metzler. Der Druck von institutionellen Investoren wie Pensionskassen, Fondsmanagern oder Versicherungen zeigt Wirkung. «Die Brokerlisten der Profis werden kürzer, doch die Anzahl der Researchhäuser bleibt gleich.» Dieses Ungleichgewicht führt in der Branche zu einem Kampf ums Überleben.

Auf diesen Brokerlisten werden eine bestimmte Anzahl von Researchhäusern angeführt, manchmal drei, fünf, selten mehr, mit denen in einem Land oder einer Region zusammengearbeitet wird. Jedes Jahr erstellen die meisten Investoren ihre Liste aufs Neue, und es beginnt das grosse Zittern bei den Researchabteilungen, ob der eigene Name weiterhin auf dem Papier figuriert oder nicht. Tut er dies nicht, fallen die Kommissionen dieses Investors und damit ein Grossteil der Einnahmen einer Brokerabteilung weg. Sichern kann sich der Broker den Verbleib auf der Liste nur durch ausgezeichnete Konditionen und vor allem durch eine im vorangegangenen Jahr erfolgreiche Analyseabteilung.

Kein Wunder also, wird allerorten versucht, sich fit zu trimmen – sei es, indem Kontrollsysteme für Empfehlungen installiert, die Mitarbeiter der Konkurrenz abgeworben oder einfach nur knackigere Unternehmensreports verfasst werden.

So haben mittlerweile zehn Schweizer Banken ein Kontrollsystem installiert, mit dem die Empfehlungen von Analysten überprüft werden können. Diese Software wurde von Isfa entwickelt und diente auch als Basis für die Datenerhebung der BILANZ-Auswertung. Während nun die einen Häuser damit hausieren und das Tool als Verkaufsargument bei ihren Kunden benutzen wie etwa die Bank Vontobel, Julius Bär oder die Zürcher Kantonalbank, verwenden es andere nur im stillen Kämmerlein. Der Grund ist offensichtlich: Sowohl eine gute wie auch eine schlechte Performance müsse veröffentlicht werden, wenn Kunden einmal davon erfahren haben.

Bei der ZKB setzt man auf Transparenz und veröffentlicht die Performance-Ergebnisse jeden Monat in ihrem Newsletter «Anlagen aktuell». Marco Curti, Leiter ZKB-Research, fasst die Ergebnisse seiner 17 Analysten für die Kunden zusammen. «Das diszipliniert», so Curti, doch herausgeflogen sei deswegen noch niemand.

Andere wiederum setzen auf Einfachheit und Klarheit in ihren Empfehlungen wie Smith Barney oder auch Metzler Equities. Letztere verwendet nur mehr zwei Arten von Ratings, während Smith Barney die Analysten animiert, keine «halten» mehr herauszugeben. «Wo liegt der Sinn, über eine Firma einen 40-seitigen Report zu verfassen und diese mit ‹halten› zu bewerten?», fragt Smith-Barney-Mann Delabare.

In der Tat sind die vielen Rating-Abstufungen unverständlich. «Strong buy» und «buy» heisst beides kaufen. Ob stark kaufen oder normal kaufen ist für den Aktienkäufer eigentlich egal. Bei einem «strong buy» sind allenfalls die Kurshoffnungen noch etwas höher. Weshalb dann der Unterschied?

Doch trotz all diesen Verbesserungen und dem Aufmöbeln von ganzen Analyseabteilungen gibt es nach wie vor Grenzen der Analyse. Erst kürzlich wurden diese wieder einmal offensichtlich: Der Erstplatzierte der Analystentrophy 2004, Stefan Gächter von der ZKB, setzte das in den Dunst von Übernahmegerüchten geratene Technologieunternehmen Unaxis auf «underperform» und hielt am 3. Februar 2005 schriftlich fest, dass Unaxis-Papiere nicht gekauft werden sollten. «Nach wie vor teilen wir die Hoffnungen gewisser Kreise auf eine Übernahme von Unaxis nicht und halten eine solche Transaktion zum heutigen Zeitpunkt und Aktienpreis (Fr. 130.50) für wenig wahrscheinlich.» Kurze Zeit später geschah das Gegenteil. Österreichische Raider übernahmen die Mehrheit an Unaxis, wodurch der Aktienkurs um 31 Prozent in die Höhe schnellte. Gächter hatte zwar gute Gründe zum damaligen Zeitpunkt, den Buchwert von Unaxis bei 80 Franken festzulegen. Ist jedoch ein Käufer bereit, mehr für ein Unternehmen zu bezahlen, als es eigentlich wert ist, hebt dies die gesamte Analyse aus den Angeln.

Doppelt peinlich für die ZKB war, dass eine andere Abteilung davon ausging, dass der Kurs steigen würde. Die Derivateabteilung der Bank stellte gleich mehrere Serien von Call-Optionen aus. Diese Aktion lässt die Vermutungen offen, dass die Herren in der Handelsabteilung entweder von den Raidern dazu beauftragt worden sind oder einfach nur darauf spekulierten, dass die Optionen von den Raidern aufgekauft würden – was diese auch taten. Auf jeden Fall war diese Abteilung wesentlich besser informiert als der zuständige Analyst. «Unsere Analyseabteilung hat erst aus der Zeitung erfahren, dass die ZKB Optionen auf Unaxis ausgegeben hatte, die zum Teil von den Raidern gekauft wurden», versucht Marco Curti im Nachhinein den Sachverhalt richtig zu stellen. Wie schlecht dieser Fall auch gelaufen sein mag – eines immerhin hat sich gezeigt: Die Chinese Walls zwischen den Abteilungen in dieser Bank erscheinen dick genug.