BILANZ: Herr Jacobs, Ihr kürzlich verstorbener Vater, Klaus J. Jacobs, hat drei Milliardenkonzerne aufgebaut und damit die Schweizer Firmenlandschaft geprägt wie kaum ein anderer Unternehmer in den letzten 50 Jahren. Wie geht man damit um, wenn man in solch gewaltige Fussstapfen treten muss?
Andreas Jacobs: Zunächst hat mir mein Vater viel Zeit gegeben, mich an diese Umgebung und an ihn als Vorbild zu gewöhnen. Dann hatte ich die Zeit und die Gelassenheit, meinen eigenen Weg zu gehen. Insofern war ich frei, als er mich vor sieben Jahren fragte, ob ich nicht mal langsam an Bord kommen wolle.
Stellen Sie an sich selber den Anspruch, unternehmerisch ähnlich erfolgreich zu sein?
Vater war jemand, der mit viel Vision und kraft seiner ihm eigenen Energie immer wieder fast im Alleingang sehr viel geschaffen hat. Ich wuchs eher in einem Umfeld auf, in dem ich in Teams arbeitete – auch arbeiten musste, weil das Know-how schon viel breiter verteilt war als früher. Insofern ist mein Ziel ein anderes: nicht ein Unternehmer im Sinn einer Ikone zu sein, sondern ein Unternehmer an der Spitze eines Teams – aber durchaus mit dem Anspruch, ähnliche Werte zu schaffen wie mein Vater.
Das sind Milliardenwerte. Die Messlatte liegt sehr hoch.
Das ist wahr. Ich hoffe, dass ich lange genug lebe, um das schaffen zu können. Ich habe aber auch den Wunsch, von Anfang an Familie und soziales Engagement damit in Einklang zu bringen. Das schaffte mein Vater erst in der zweiten Hälfte des Lebens.
Bislang sind Ihre unternehmerischen Erfolge durchzogen. Üben Sie noch?
Keineswegs. Wir haben bei Barry Callebaut einiges an Wert geschaffen, gerade seit ich dabei bin. Aber jeder Unternehmer hat gemischte Erfolge – auch mein Vater. Ich erinnere mich an viele dramatische Momente, als mein Vater und mein Grossvater alles tun mussten, um die Firma zu retten. Etwa 1977, als das Eigenkapital der Jacobs Kaffee fast aufgebraucht war.
Ist unternehmerisches Talent vererbbar?
Nein. Wesentlich ist, dass man Passion hat. Und dass man die Freiheit hat zu lernen. Unsere Eltern haben uns immer erlaubt, uns zu entfalten. Wenn man sich für etwas entschieden hatte, musste man es aber dann auch durchziehen – und dort etwas Ausserordentliches erreichen. Ich habe in meiner Jugend Cello und Horn gespielt und war sehr gut. Ich habe mich in der Schul- und der Hochschulpolitik mit grossem Zeiteinsatz engagiert. Ich habe im Reiten viele Schleifen gewonnen. «Mach, was du willst, aber mach es richtig», das war die Vorgabe der Familie, und das hat mir auch im Unternehmerischen sehr geholfen.
Auf Ihnen lasten ausser dem Mythos Ihres Übervaters auch ein Stammbaum von 500 Jahren und ein Milliardenvermögen. Geschieht es aus Pflichtgefühl, dass Sie diese Last schultern?
Meine Eltern haben mir schon sehr früh Pflichtgefühl nahegebracht. Dass ich mein Jus-Studium zu Ende gemacht habe, obwohl ich nach zwei Semestern merkte, dass es mich nicht wirklich interessierte, geschah sicher auch aus Pflichtgefühl. Deshalb habe ich heute kein Problem, früh aufzustehen, viel zu reisen und Pflichten, die über das Normale hinausgehen, wahrzunehmen.
Ihr Vater hat einen Grossteil seines Vermögens in die Jacobs-Stiftung eingebracht. Wie fühlt man sich, wenn einem ein Milliardenerbe entgeht?
Das ist uns nicht entgangen. Vater hat ja die Hälfte seines Vermögens an die Erbberechtigten weitergegeben; die andere Hälfte verblieb in der Familienholding, von deren Erträgen die Stiftung profitiert. Schauen Sie, er selber musste seine Geschwister auszahlen und in der Folge Jacobs Suchard verkaufen. Das war für ihn sehr schmerzlich. Das hat er bis an sein Lebensende nicht überwunden. Deshalb hat er danach die langfristigste Struktur geschaffen, die man sich vorstellen kann. Er hat diese Struktur vorher mit uns besprochen, und wir haben zugestimmt.
Hatten Sie eine andere Wahl, als zuzustimmen?
Es gibt ein Erbrecht, an das haben wir uns gehalten. Es ist keiner zu kurz gekommen. Insofern fühlt sich auch keiner schlecht.
Erwarten Sie, dass Ihre vier Kinder sich eines Tages ebenfalls unternehmerisch betätigen?
Nein, keineswegs. Die beiden ältesten haben schon klare Konturen, und die sind sehr unterschiedlich. Deshalb würde es mich erstaunen, wenn sie am Ende das Gleiche machen würden wie ich. Wichtig ist, dass sie selber glücklich werden.
Trotzdem müssen Sie sie begeistern für jene Unternehmen, an denen die Familie beteiligt ist, damit sie auch langfristig als Aktionäre dabeibleiben. Wie wollen Sie das machen?
Das Gute ist, dass es verschiedene Unternehmungen sind und dass es dort jeweils verschiedene Funktionen gibt. Ich hoffe, sie werden ihren Weg finden. Aber ich werde sie nicht schieben. Für mich ist wichtig, dass sie in der Wahl ihres Wegs frei sind.
Das heisst, es wäre für Sie auch kein grösseres Problem, wenn Ihre Kinder sich entscheiden würden, ihre Anteile an einen Hedge Fund zu verkaufen?
Nun ja, ein Hedge Fund wäre schon ein Problem … Aber die Kinder müssen finanzielle Freiheit haben. Mein Vater sagte: Wenn ihr 30 Jahre alt seid, dann seid ihr alt genug, um mit euren Finanzen selber umzugehen. Und im Hinblick auf diesen Moment hat er für jeden Einzelnen die Erbschaft vorbereitet. Ich werde es genauso halten. Und dann habe ich kein Problem, wenn sie sich von ihren Einzelbeteiligungen trennen, um ein Haus zu kaufen oder Ähnliches. Der Grundstock des Familienvermögens steckt sowieso in der Holding und kann nicht von einzelnen Familienmitgliedern verkauft werden.
Ihr Vater ist vor 35 Jahren in die Schweiz gezogen. Inzwischen kommen immer mehr Ihrer Landsleute hierher, oft aus Steuergründen. Wann kommen Sie?
Ich habe meinem Grossvater versprochen, das Familiengestüt in Norddeutschland weiterzuführen, deshalb bin ich mit meiner eigenen Familie dorthin gezogen. Dazu stehe ich. Ich möchte den Ort, an dem alles begann, weiter pflegen. Und ich möchte es auch meinen Kindern ermöglichen, diese Wurzeln der Familie zu erleben, damit auch nach mir jemand eine Passion dafür hat. Die Steuern sind mir verglichen damit nicht so wichtig.
Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück hat der Schweiz «mit der Peitsche» gedroht wegen des Bankgeheimnisses. Können Sie seine Wut nachvollziehen?
Nein. Die Wut entspringt ja nur seiner Unfähigkeit, ein attraktiveres Steuersystem aufzubauen als die Schweiz. Deutschland ist selber schuld, Steinbrück soll seine Peitsche im Schrank lassen.
Herr Jacobs, Barry Callebaut ist der weltgrösste Hersteller von Industrieschokolade. Aber mit dem Markengeschäft – Alprose, Stollwerck, Sarotti – hatten Sie nie Glück. Wo wurden Fehler gemacht?
Ich würde da nicht von fehlendem Glück sprechen. Wir haben Sarotti im Volumen verdoppelt, was in der heutigen Zeit ein Erfolg ist. Es ist richtig, dass die anderen Marken nicht grossartig wachsen, auch, weil man nicht zehn Marken gleichzeitig nach vorne bringen kann. Markenschokolade wächst in ganz Westeuropa nicht höllisch. Da liegt vielleicht ein Prozent drin – mit zwei ist man schon der Held. Aber wir haben eine erfolgreiche Strategie: das Private-Label-Geschäft, also die Herstellung von Eigenmarken für grosse Supermarktketten. Da sind wir weltweit deutlich gewachsen.
Aber da gibt es kaum Geld zu verdienen.
Zugegeben, die Margen sind nicht sehr attraktiv, und man sieht das Ergebnis nur in geringem Mass in unserer Erfolgsrechnung. Aber wir sind heute in Europa der dominante Player.
Ihre Schokolade hat ein Imageproblem: Sie wird nicht wie Lindt oder Cailler wahrgenommen. Wie gehen Sie damit um?
Sehr entspannt. Unser Ziel ist es, im Business-to-Business-Geschäft Marktführer zu sein. Und dort schreiben die meisten Hersteller ja nicht auf die Packung, dass sie die Schokolade bei uns gekauft haben – gerade die hochwertigen Chocolatiers nicht.
Wenn Ihre Schokolade wirklich so gut wäre, wie Sie sagen, würden alle Chocolatiers gerne «Barry Callebaut inside» auf die Packung schreiben.
Der Trend ist da, dass sie mit uns gemeinsam auftreten. Aber über Nacht können Sie das nicht erwarten.
Wie bereiten Sie Ihr Unternehmen auf die Rezession vor?
Zum einen widmen wir uns schon länger intensiv dem Thema Kostenführerschaft. Wir haben im Vergleich zur Konkurrenz ein höheres Mass der Produktion in den Anbauländern, wo wir vergleichsweise günstiger produzieren. In den westlichen Ländern haben wir spezialisierte Fabriken, die nur auf bestimmte Rezepturen oder Produkte fokussieren. Für unsere industriellen Kunden errichten wir Fabriken in ihrer Nähe; diese höhere Dichte erspart uns Transportkosten. Und wir haben in vielen Bereichen, gerade in der Verwaltung, schon seit März Kostensenkungsprogramme und Einstellungsstopps.
Schokolade gilt als Trostpflaster, wenn es einem schlecht geht. Ist Barry Callebaut ein Krisengewinnler?
Leider nicht. Der Konsum ist sehr stabil, unabhängig von der Konjunkturlage.
Wie lange, denken Sie, wird die Rezession dauern?
Ende 2010 werden wir bessere Zeiten sehen.
Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Stimmung, wonach der Staat die Banken und die Autoindustrie retten soll?
Ich würde auf keinen Fall empfehlen, den Staat als allmächtigen Retter überall einzufliegen. Grundsätzlich müssen sich Unternehmen selbst sanieren. Der Staat ist dazu da, die Richtlinien zu setzen, den Rechtsstaat zu garantieren und für eine soziale Grundlage zu sorgen. Aber er ist nicht dazu da, als Industriekapitalist Bürgschaften zu sprechen, nur weil eine volkswirtschaftliche Emotion das verlangt.
Auch nicht für Grossbanken?
Nein, solange die Volkswirtschaft nicht per se gefährdet ist. Der Staat darf nur einschreiten, wenn es die grosse Masse der Bevölkerung treffen würde.
Sollen Manager Boni zurückzahlen müssen, wenn sich später herausstellt, dass ihre Leistung nicht nachhaltig war?
Zunächst sollten sie gar kein Geld bekommen, wenn sie keine nachhaltige Leistung erbringen. Es ist tragisch, dass wir offensichtlich versäumt haben, die richtigen Systeme zu installieren. Es kann doch nicht sein, dass ein Bankmanager einfach mehr Transaktionen durchführt, um mehr Volumen zu generieren und damit einen höheren Bonus zu bekommen, ungeachtet dessen, ob sein Kunde damit Geld verdient. Ein Bonus darf nur dann fällig werden, wenn für den Kunden ein nachhaltiger Wert geschaffen wurde, nicht für den Arbeitgeber! Das heutige System ist völlig verquer und muss geändert werden.
Konkret?
Wichtig ist, dass wir uns mit einer wertorientierten Vergütung auseinandersetzen und dazu erst einmal definieren, was eigentlich Werte sind. Ist das nur der Gewinn? Oder der langfristige Gewinn über drei, vier, zehn Jahre? Oder ist es noch viel mehr, etwa die nachhaltige Schaffung von Arbeitsplätzen? Oder ein wichtiger Beitrag des Unternehmens an die Gesellschaft? All das müsste mit einfliessen.
Planen Sie bei Barry Callebaut die Einführung eines solchen Wertesystems? Sie sitzen am Schalthebel, Sie können mit gutem Beispiel vorangehen.
Der Verwaltungsrat hat viele soziale Projekte gefördert. Die haben dem kurzfristigen Profitgedanken des Unternehmens widersprochen – wenn wir in Afrika eine Schule zu bauen helfen, erhöht das nie unseren Gewinn. Es sind Investitionen in eine sehr langfristige Zukunft und in die Gesellschaft. Aber wir werden in diese Richtung weiterarbeiten.
Sie halten 29 Prozent am Zeitarbeitskonzern Adecco.
Verwaltungsratspräsident Jürgen Dormann hat seinen Rücktritt angekündigt; Rolf Dörig, der bei Swiss Life eigentlich schon genug zu tun hat, wird sein Nachfolger. Warum nicht Sie als Grossaktionär?
Das war und ist zu keiner Zeit geplant. Adecco ist noch eine Schuhnummer grösser als Barry Callebaut. Sie muss sehr professionell geführt werden. Ich bin froh, dass ich die Anforderungen an einen Verwaltungsrat dort erfülle. Wir sind glücklich über die Wahl von Rolf Dörig, und ich aspiriere nicht auf dieses Amt.Auch langfristig nicht.
Andreas Jacobs (45) studierte Jus und machte anschliessend einen MBA am Insead im französischen Fontainebleau. Anschliessend arbeitete er zwei Jahre bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Heute engagiert er sich bei den Familienbeteiligungen Adecco (VR), Infront (Vizepräsident) und Barry Callebaut (VR-Präsident). Er wohnt in Hamburg und Bremen.