Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Thomas Heller: Wieder deutlich mehr, was angesichts der rasant steigenden Ansteckungszahlen und der verschärften Eindämmungsmassnahmen wenig erstaunt. Zuvor war man offenbar davon ausgegangen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich alles wieder normalisiert. Corona hatte deshalb die Märkte eine Zeitlang kaum bewegt. Das hat sich in den letzten Wochen spürbar verändert.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Es wird wohl noch eine Weile unruhig bleiben. Neben der Verschärfung der Corona-Situation kommen derzeit auch noch die US-Wahlen hinzu, die trotz klarer Umfragewerte zugunsten von Joe Biden und den Demokraten einige Unwägbarkeiten in sich bergen. Auch die Wirren um die Brexit-Verhandlungen sind nicht hilfreich. Wobei: die Massnahmen werden insgesamt hoffentlich nicht so scharf ausfallen wie im Frühjahr und der Nebel, der die US-Wahlen umgibt, wird sich lichten. Es kann zwar zu weiteren Rücksetzern kommen, mit einer übermässigen Korrektur, wie wir sie etwa im März gesehen haben, rechne ich allerdings nicht.
Der Schlussspurt des Börsenjahrs 2020 beginnt. Welche drei Schweizer Titel dürften sich besonders stark entwickeln – und von welchen drei Aktien raten Sie ab?
Trifft mein oben skizziertes vorsichtiges Szenario bis Jahresende ein, so dürften defensivere Werte wie Givaudan, Swisscom und Nestlé eher gefragt sein. Zu den Verlierern würden dann wohl Titel wie Flughafen, Dufry oder Banken gehören.
Nächste Woche sind die US-Präsidentschaftswahlen. Rechnen Sie mit einer Reaktion an den Börsen im Nachgang auf die Wahlen – und wird der Urnengang das Börsengeschehen langfristig beeinflussen?
Eine knappe Entscheidung, mit unter Umständen langwierigen Streitigkeiten über den Wahlsieger, würde die Märkte belasten. Ähnlich wie im Jahr 2000, als die wochenlange Unklarheit über den Wahlausgang zwischen Al Gore und George W. Bush die Aktienmärkte und den Dollar belastete. Über diese vorübergehenden Wirren hinaus, dürfte der sich abzeichnende «Blue Sweep» – die Demokraten stellen den Präsidenten und gewinnen die Mehrheit in beiden Kammern – einen leicht positiven Effekt auf die Aktienmärkte haben. Der von Joe Biden geplanten Erhöhung der Unternehmenssteuern, welche die Gewinne schmälert, stünden das angekündigte gigantische Stimulierungspaket sowie der auf mehr Kontinuität und weniger Konfrontation ausgerichtete Polit-Stil des neuen Präsidenten gegenüber.
«Man muss sich bewusst sein, dass gerade auch im streng zentralistisch gesteuerten China die Risiken erhöht sind.»
Thomas Heller, Schwyzer Kantonalbank
Asien und insbesondere China zeigen sich bei der Eindämmung des Virus erfolgreicher als die meisten Länder im Westen. Werden sich diese Erfolge auch in einem höheren Wirtschaftswachstum niederschlagen – und sollten Anleger deswegen auf diese Region setzen?
Nicht (nur) deswegen. Die wirtschaftliche Dynamik in diesen Ländern ist um einiges grösser als in den westlichen Industriestaaten. Das eröffnet fast per Definition Anlagechancen. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass gerade auch im streng zentralistisch gesteuerten China die Risiken erhöht sind. Auf lange Sicht gehören diese Länder aber auf jeden Fall in ein Portfolio.
«Die jüngste Korrektur ist womöglich noch nicht ganz ausgestanden.»
Thomas Heller, Schwyzer Kantonalbank
Die Corona-Pandemie spitzt sich in Europa zu. Wie können sich Anleger gegen die wirtschaftlichen Folgeschäden wappnen?
Wenn man die Coronakrise isoliert betrachtet, kann man versuchen, Corona-Gewinner und -Verlierer zu eruieren. Zu Ersteren gehören beispielsweise der Onlinehandel oder Unternehmen, die vom verstärkten Digitalisierungstrend profitieren. Zu den Verlierern gehören unter anderem die Reisebranche und ihr zugewandte Sektoren. Aber man darf vor lauter Corona andere Faktoren, wie etwa den zuletzt etwas in den Hintergrund getretenen Handelskonflikt oder die Tiefzinspolitik der Notenbanken, nicht ausser Acht lassen. Eine «Grundregel des Anlegens» behält auch im aktuellen Umfeld seine Gültigkeit: Seinem Risikoprofil entsprechend breit diversifiziert investiert bleiben.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Die jüngste Korrektur ist womöglich noch nicht ganz ausgestanden. Unter der Annahme, dass es zu keiner weiteren Verschlechterung an der Coronafront oder bei der Konjunktur kommt, könnte danach eine Erholung einsetzen, die den SMI auf Jahressicht auf 10'500 bis 10'800 Punkte bringt.
Das Interview wurde schriftlich geführt.