BILANZ: Der höhere Rohölpreis heizt die Teuerung an und beschleunigt eine Zinswende. Wie beurteilen Sie die Inflationsentwicklung in den reifen Volkswirtschaften?
Thomas Steinemann: Das Thema Inflation ist in den vergangenen Wochen vor allem durch den massiven Anstieg des Rohölpreises in den Fokus gerückt. Die Gesamtteuerung in den entwickelten Volkswirtschaften bewegt sich trotz höheren Energie- und Lebensmittelpreisen jedoch weiterhin in überschaubaren Grenzen. Ohne die Komponenten Energie- und Nahrungsmittel liegt die Teuerung beispielsweise in der Schweiz lediglich bei 0,1 Prozent, in der Eurozone bei 1,1 Prozent. Die Zinsen dürften 2011 steigen – allerdings moderat und in kleinen Schritten.
Sind die Inflationsängste übertrieben?
Unter dem Strich erachte ich die Inflationsentwicklung derzeit nicht als beunruhigend. Durch die leicht anziehende Teuerung wird vielmehr eine schrittweise Normalisierung des sehr tiefen Zinsniveaus eingeleitet, die durch die Konjunkturentwicklung gerechtfertigt ist. Die Gefahr eines massiven Teuerungsschubs durch weiter steigende Energie-und Lebensmittelpreise schätze ich langfristig eher gering ein.
Weshalb?
Ein wichtiger Grund liegt darin, dass die Abhängigkeit der reifen Wirtschaften von der Entwicklung der Energie- und Rohstoffpreise dank der zunehmenden Energieeffizienz und dem Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft seit Jahrzehnten laufend abnimmt. Erst wenn der Ölpreis über längere Zeit kontinuierlich weiter deutlich steigen sollte, würde ein wirtschaftlicher Rückfall drohen. Von diesem Szenario gehe ich jedoch nicht aus.
Wie sollen sich Anleger in einem Umfeld moderat steigender Zinsen positionieren?
Wir empfehlen für ein ausgewogenes Portfolio weiterhin eine Übergewichtung von Aktien. Der Wirtschaftsverlauf in wichtigen europäischen Märkten und den USA ist robust, die Firmen dürften weiterhin mit soliden Resultaten aufwarten. Bei den Festverzinslichen favorisieren wir ausgesuchte Unternehmens- und Schwellenländerbonds.
Und Gold?
Wir leben in politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeiten, davon sollte Gold weiterhin profitieren. Ich kann mir zudem gut vorstellen, dass der Stellenwert von Edelmetallen und Rohwaren als Risikopuffer künftig zunehmen wird. Gleichzeitig dürfte sich Attraktivität von Staatsanleihen aus Industrieländern als klassische Depotversicherung aufgrund steigender Zinsen und der anhaltenden Schuldenproblematik weiter verringern.