Das Jahr 2023 könnte sich in zwei unterschiedliche Phasen gliedern. Die Auswirkungen der restriktiveren Geldpolitik, die hohe Inflation und die Wachstumsverlangsamung werden ins Jahr 2023 hinein fortdauern und eine umsichtige Portfoliopositionierung erfordern. Doch sobald die Realzinsen den Höchststand erreichen, wird der Konjunkturzyklus drehen und Chancen für eine höhere Allokation in Risikoanlagen schaffen.
Ein Höchststand der Realzinsen und ein Tiefpunkt der Wirtschaftstätigkeit sind zwei wichtige Hinweise auf veränderte Anlagechancen. Bis die Realzinsen den Höchststand aber erreichen, ist Vorsicht angebracht. Folgende zehn Punkte werden im Verlauf des Jahres relevant:
1. Nach dem Wendepunkt Ausschau halten
Die Straffung der Geldpolitik in der westlichen Welt vor dem Hintergrund einer weltweiten Konjunkturabschwächung führt zu einem ungünstigen Umfeld für Risikoanlagen. Eine Rezession und weiterhin rückläufige Erwartungen für die Unternehmensgewinne sind die bedeutendsten Abwärtsrisiken für Aktien und Anleihen.
Ein Höchststand der Realzinsen dürfte einen Wendepunkt an den Märkten markieren. Damit dieser Punkt erreicht wird, muss die Fed den Zinserhöhungszyklus unterbrechen, wenn die Inflation nachlässt und die Arbeitslosigkeit steigt. Wenn dieser Wendepunkt näher rückt, werden wir das Risikoniveau in den Portfolios allmählich anheben. Dazu werden wir die Duration bei Staatsanleihen sowie das Engagement in Gold und einigen Aktien und Unternehmensanleihen erhöhen.
2. Risikoanlagen vorerst untergewichten
Die makroökonomischen Bedingungen rechtfertigen ein vorsichtiges Engagement in Risikoanlagen. Der Fokus liegt stattdessen auf Anlagen, welche die Auswirkungen eines schwächeren Wachstums oder höherer Zinsen besser verkraften können. Konkret bedeutet dies, Qualitätsaktien, Staatsanleihen und Investment-Grade-Unternehmensanleihen zu halten. Dies geht auch mit einer Übergewichtung von Liquidität einher, um Chancen wahrnehmen zu können, sobald sie sich bieten.
Henk Grootveld ist Leiter Trends Investing bei Lombard Odier Investment Managers. Zuvor war er bei Robeco tätig, wo er das Trends-Investing-Equity-Team leitete und zuletzt einen der Flagship-Fonds des Unternehmens verwaltete.
3. Qualität und Diversifizierung bevorzugen
In den kommenden Monaten erwarten wir neue Tiefstände am Aktienmarkt. Hohe Kreditkosten begrenzen die Ausweitung der Bewertungskennzahlen (Multiples) von Unternehmen, und die Gewinnschätzungen werden laufend an eine Rezession angepasst. Vor diesem Hintergrund halten wir Ausschau nach Qualitätsunternehmen mit geringer Gewinnvolatilität und besserer Fähigkeit, die Margen zu verteidigen.
Aktien solcher Unternehmen tendieren dazu, in Rezessionen oder bei Gewinnrückgängen eine Outperformance zu erzielen. Auf Sektorebene bevorzugen wir das Gesundheitswesen, da es hohe Margen, einen gewissen Inflationsschutz aufgrund einer hohen Preissetzungsmacht und attraktive Aktionärsrenditen bietet. Auch die Bewertungen sind im Vergleich zu anderen defensiven Wachstumssektoren nach wie vor historisch bescheiden.
4. Asymmetrische Renditeprofile
Optionsstrategien wie Put-Spreads auf Aktienindizes können Portfolios vor Verlusten schützen. Wir haben im Laufe des Jahres 2022 Absicherungen in unseren Portfolios implementiert und werden sie weiterhin im Einklang mit den Marktbedingungen taktisch verwalten.
5. Mithilfe alternativer Anlagen diversifizieren
Da die Marktbedingungen relativ schwierig bleiben werden, bevorzugen wir weiterhin widerstandsfähige Hedgefonds-Strategien wie Global-Macro- sowie diskretionäre und quantitative Strategien. Diese sollten für Diversifizierung sorgen, da sie in der Regel von einer Renditestreuung über verschiedene Anlageklassen und Regionen hinweg profitieren.
Ihre typischerweise konvexen Profile sind auf die Performance in Extremphasen ausgerichtet. Sie sollten von dem volatilen Umfeld und einer begrenzten Korrelation mit den zugrunde liegenden Märkten profitieren. Einige Relative-Value-Strategien dürften ebenfalls attraktive Renditen bieten, sobald sich die Zinsen stabilisieren.
Wichtige Ereignisse im Jahr 2023
- 15. bis 20. Januar: World Economic Forum, Davos, Schweiz
- 5. März: Nationaler Volkskongress, Peking, China
- 19. bis 21. Mai: G7-Gipfel, Hiroshima, Japan
- 18. Juni: Parlamentswahlen Türkei
- 9. bis 10. September: G20-Gipfel, Delhi, Indien
- 22. Oktober: Parlamentswahlen Schweiz
- 29. Oktober: Parlamentswahlen Argentinien
- 6. bis 17. November: UNO-Klimakonferenz (COP28), Dubai, Vereinigte Arabische Emirate
6. Dollar-Stärke dürfte anhalten
Die Stärke des US-Dollar dürfte sich vor dem Erreichen des Wendepunkts fortsetzen. Der US-Währung kommen Zinsdifferenzen, die Liquiditätsverknappung und die Terms of Trade der USA zugute. Weitere Währungen, die von diesem Umfeld profitieren, sind der Schweizer Franken und möglicherweise der Japanische Yen. Der Euro und das Pfund Sterling dürften zurückbleiben, weil sie unter grösseren strukturellen Problemen im Zusammenhang mit dem Energieschock leiden. Der Chinesische Yuan dürfte sich ebenfalls unterdurchschnittlich entwickeln, da sich die robuste Zahlungsbilanz Chinas abzuschwächen beginnt. Nach dem Wendepunkt dürfte der Dollar nachgeben.
7. Gold dürfte interessanter werden
Über weite Strecken des Jahres 2022 schwankte der Goldpreis zwischen der Unterstützung durch geopolitische Risiken und einer erwarteten Rezession und dem Abwärtsdruck durch die Realzinsen und einem starken Dollar. Mit niedrigeren Zinsen, einem schwächeren US-Dollar und einer Wiedereröffnung Chinas dürfte der Goldpreis steigen. Im Oktober verkauften wir Put-Optionen auf Gold, um potenziell eine neutrale Positionierung zu erreichen. Durch den Verkauf von Put-Optionen, die aus dem Geld sind, können wir die derzeit hohe Volatilität des Goldmarkts potenziell monetisieren. Zugleich können wir unseren Kunden dadurch ein grösseres Engagement bieten, falls die Preise fallen.
8. Hochzins-Unternehmensanleihen werden immer attraktiver
Wenn sich die Anlegerstimmung aufhellt, steigt das Interesse an Risikoanlagen. Sobald die Renditedifferenzen (Spreads) von Hochzins-Unternehmensanleihen eine Rezession stärker einpreisen und die Zinsen sich stabilisiert haben, wird dieses Segment einen attraktiveren Carry bieten als Investment-Grade- und Staatsanleihen.
9. Aktien dürften eine Kaufgelegenheit bieten
Wenn die Inflation und die Gefahr höherer Zinsen allmählich nachlassen, profitieren die Aktienbewertungen und -Multiples. Mit der Lockerung der finanziellen Bedingungen wird sich die Anlegerstimmung verbessern, was wiederum den Kurs-Gewinn-Verhältnissen Auftrieb verleiht. Bis Mitte 2023 werden die Gewinn- und Umsatzerwartungen nach unten korrigiert. Dann werden die Marktteilnehmer allmählich in Richtung 2024 und eine Erholung nach der Konjunkturabschwächung blicken. Dies wird Chancen bieten, das Engagement in zyklischen Aktien und Wachstumstiteln zu erhöhen.
10. Schwellenländeraktien und auf Lokalwährung lautende Schwellenländeranleihen
Nach einem Umschwenken der Fed erwarten wir eine Erholung von Schwellenländeranlagen. Dazu bedarf es jedoch eines Stimmungsumschwungs und einer Wachstumsdynamik. Wenn diese Impulsgeber zum Tragen kommen, dürften sich Aktien aus Schwellenländern besser entwickeln als Dividendentitel aus Industrieländern. Zudem dürfte dann die Attraktivität von Schwellenländeranleihen in Lokalwährung steigen.
Wir schätzen die lokalen Zinsen der Schwellenländer angesichts der weit fortgeschrittenen geldpolitischen Zyklen bereits allmählich konstruktiver ein. Zugleich gehen wir davon aus, dass sich die Schwellenländerwährungen erst dann von ihrem niedrigen Niveau erholen, wenn sich die finanziellen Bedingungen verbessern. Nach dem Wendepunkt wird es Potenzial für Wertzuwachs bei Schwellenländeranlagen geben, da das Interesse der internationalen Anleger steigt und das Vertrauen in die Schwellenländer zunimmt.