Wachsen gegen den Branchentrend: Reiner Pichler, CEO von Strellson. |
Nur ein kurzes Lächeln zur Begrüssung. Dafür ein musternder Blick. Sitzt der Sakko? Passt er zu Hemd und Krawatte? Und vor allem: Ist er von Strellson? «Schönes Stück, das Sie da tragen! 80 Prozent Schurwolle, 20 Prozent Kaschmir. Das haben wir vor drei Jahren sehr gut verkauft.» Test bestanden. Wäre das Teil von namhafter Konkurrenz, dann hätte Reiner Pichler in seinem Münchner Tonfall wenigstens festgestellt: «Na, da haben Sie ja etwas Gescheites gekauft!» Hätte er gar nichts gesagt, es wäre kein gutes Zeichen.
Pichler erkennt so ziemlich jedes Kleidungsstück, dass er einmal in seiner Kollektion hatte. Und die Wahrscheinlichkeit, dass der CEO von Strellson einen seiner Sakkos, Anzüge oder eines seiner Hemden bei einem Gegenüber entdeckt, steigt ständig. Denn Strellson mit Sitz in Kreuzlingen ist eine eigentümliche Erfolgsgeschichte: die einzige Schweizer Weltmarke in der Herrenbekleidung, im Branchenjargon HAKA; das einzige namhafte Unternehmen, das in dem seit Jahren rezessiven Markt regelmässig zwischen 15 und 20 Prozent wächst. Verdoppelt hat man den Umsatz in den letzten vier Jahren auf geschätzte 150 Millionen Franken. Noch einmal verdoppeln soll er sich in den nächsten fünf Jahren. Im ersten Halbjahr 2002, dem schwersten der Bekleidungsindustrie seit Jahrzehnten, wuchs der Umsatz erneut um 17 Prozent. Der Schweiz-Verantwortliche eines ausländischen Konkurrenten stellt freudlos fest: «Die machen das äussert clever!»
Vilar bei Porto
João Cuelho hat ein Problem. Der Cutter streikt. Heute morgen ist der Motor kaputtgegangen, nun muss ein neuer eingebaut werden. Und zwar schnell. Besorgt schaut der deutsch-portugiesische Ingenieur auf den Servicemann, der sich schon seit Stunden abmüht. Normalerweise werden auf dem vollautomatischen Schneidetisch bis zu 50 Stoffbahnen auf einmal zerteilt, entstehen daraus Ärmel, Rückenstücke, Taschen, Brustleisten und Revers. Die Schnittmuster sind penibel optimiert, damit aus den 50 Meter langen und zwei Meter breiten Stoffrollen möglichst viel Anzugsteile herauskommen und möglichst wenig Verschnitt. Doch im Moment kommt gar nichts. Der lange Ablagetisch hinter der Schneidemaschine ist leer.
Die Produktion im Strellson-Werk in Vilar, 20 Kilometer nördlich von Porto, droht zu stocken. Dabei ist sie minutiös geplant: Nur der erste Zuschnitt erfolgt maschinell. So vielfältig sind die Materialkombinationen, so wetterabhängig verhält sich der Stoff, dass der Rest per Hand erledigt werden muss. Mit schnellen Griffen führen die Frauen in ihren blauen Schürzen die Hosen, Anzüge und Sakkos unter den Nähmaschinen durch. Ein Sakko besteht aus 60 Einzelteilen. In 142 Arbeitsschritten werden sie genäht, gepresst, geklebt. Und vor allem immer wieder geglättet: 49-mal schnaufen die Dampfbügeleisen, bis der Sakko nach exakt 152 Lohnminuten am Bügel hängt. Wer von den Näherinnen zu lange für einen Arbeitsschritt braucht, bekommt einen Trainer an die Seite gesetzt. Für nächstes Jahr sind Berater engagiert, um vielleicht noch den einen oder anderen Handgriff, die eine oder andere Lohnminute einzusparen.
Gestern kam Glanz in die Hütte. Da liess sich der FC Porto hier neu einkleiden. Auch die Fussballer von Champions-League-Sieger Real Madrid tragen ausserhalb des Trainingsgeländes Strellson. Heute ist wieder Normalbetrieb: Um 8.30 Uhr Produktionsbeginn für die 220 Mitarbeiter, 16.55 Uhr Feierabend. Dazwischen drei Pausen von insgesamt 60 Minuten. Von südländischem Schlendrian keine Spur. Dafür sorgt Burkhard Grupe (57), mit 40 Jahren Textilerfahrung ein Urgestein der Branche. Er ist stolz darauf, dass die Mitarbeiter nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Damit das auch so bleibt, zahlt Lenox Portuguesa, wie das Werk offiziell heisst, ein bisschen mehr als üblich. Will heissen: 600 bis 700 Franken pro Monat für eine Näherin. Auch in einer Gegend, wo der Kaffee noch einen Franken kostet und das Bier eins fünfzig, ein Hungerlohn: Die Textilbranche zahlt traditionell schlecht. «Aber wir haben hier ein gutes Betriebsklima», sagt Grupe. Mehrmals. Sogar die Radiogottesdienste würden über Lautsprecher in die Fabrik übertragen. Dafür ist es an den Arbeitsplätzen, vor allem aber in der Betriebskantine bedrückend still. Niemand grüsst den Chef beim Rundgang durch die Produktionshallen.
Für Strellson jedenfalls geht die Rechnung auf. Am Stoff lässt sich bei der Textilherstellung kaum sparen, er macht nur zehn Prozent der Kosten aus. Beim Zubehör (Knöpfe, Futter, Schulterpolster und Ähnlichem), für 40 Prozent der Aufwendungen verantwortlich, sind die Preise schon aufs Minimum gedrückt. Der wahre Kostenvorteil gegenüber der Konkurrenz sind die Werke. Lenox Portuguesa gehört Strellson selber. Daneben hat man Produktionsstrassen in Fremdwerken angemietet, in Tschechien, Bulgarien, Polen und Rumänien. Hemden, Unterwäsche, Lederwaren und Krawatten werden in Lizenz von Auftragsherstellern produziert und kommen fixfertig nach Kreuzlingen. «Wir haben perfekte Produktionsstätten in den richtigen Ländern», sagt CEO Pichler. Liesse er die Anzüge in der Schweiz schneidern oder wie Konkurrent Boss in Deutschland, wären sie zweieinhalbmal so teuer. In Portugal kostet die Lohnminute 25 Rappen, in Tschechien 22, in Rumänien 15. Also baut Grupe die Kapazität dort aus, wo es am billigsten ist. Die Sakkoherstellung etwa geht nächste Saison von Portugal nach Tschechien. Regelmässig zieht der Wanderzirkus zur nächsten Station, in der Regel Richtung Osten. Im Moment inspiziert Grupe Produktionsstätten in Lettland.
«Graças a Deus», murmelt João Cuelho und gibt dem neu eingebauten Motor einen Klapps. Surrend setzt sich der Cutter wieder in Bewegung. Am Freitag geht der Lastwagen mit der Wochenproduktion, durchschnittlich 2750 Stück, zurück nach Kreuzlingen. Bis dann muss der Rückstand aufgeholt sein.
Kreuzlingen
Der Hauptsitz von Strellson ist ein durchgestylter Rundbau aus Stahl und Glas. Innen dominieren strenge, klare Linien. Er symbolisiert die modische Ausrichtung von Strellson: modern bis progressiv, aufs Wesentliche reduziert, kein Schnickschnack. Das Ganze günstiger als Designerware, aber von besserer Qualität als ein Billigoutfit. Ein Strellson-Anzug kostet in der Regel 200 Franken weniger als ein vergleichbarer von Boss und spricht die Altersgruppe von 25 bis 40 Jahren an, vor allem Berufseinsteiger. Durchschnittlich 34 Jahre jung sind auch die 120 Mitarbeiter in Kreuzlingen: «Wir sind unsere eigene Zielgruppe», sagt Pichler, selbst 40 Jahre alt.
In der Personalstruktur liegt der zweite Kostenvorteil des Unternehmens: jung und damit günstig, in genau drei Hierarchiestufen äusserst schlank organisiert, ohne Wasserkopf wie bei manch anderem Konkurrenten. Auch Stardesigner leistet man sich nicht. Ein Team entwickelt Ideen und Prototypen, nachdem Trendscouts aus den Metropolen der Welt in die Ostschweizer Provinz gemeldet haben, was in Zukunft in sein dürfte. In einem langen Prozess entscheiden schliesslich die Verkaufsrepräsentanten, was von den Ideen ins Programm genommen wird. Mit Erfolg: «Strellson hat eine sehr kohärente, eigenständige Kollektionsaussage», lobt Albert Kriemler, Chef von Akris, der zweiten Modeweltmarke (im preislich deutlich höher angesiedelten Prêt-à-porter-Bereich) aus der Ostschweiz.
Auch US-Designer Tommy Hilfiger ist Fan. Als er einen Partner für seine Europa-Expansion suchte, entschied er sich für die Kreuzlinger. Seit zwei Jahren kümmert sich Strellson um die Entwürfe, die Herstellung und den Vertrieb der American Businessware auf dem Kontinent. Heute steuert die (preislich etwas gehobenere) Designerware bereits 30 Millionen Franken zum Umsatz bei, in fünf Jahren sollen es 120 Millionen sein.
Jede Stoffbahn, die man in Italien oder England eingekauft hat, wird zuerst zur Begutachtung nach Kreuzlingen geschickt, bevor man sie in die Werke weiterspediert, jedes fertige Kleidungsstück am Hauptsitz auf seine Qualität hin inspiziert, bevor es die Verkäufer in aller Herren Ländern in die Hand bekommen. Ein logistischer Albtraum. Um das gewaltige Wachstum zu stemmen, baut Strellson gerade ein neues Logistikzentrum auf der anderen Strassenseite. Kostenpunkt 20 Millionen Franken. Man kann es sich leisten. Das Wachstum ist komplett selbst finanziert, Bankschulden hat Strellson keine. Eine Ausnahmeerscheinung: Die Branche darbt; wer überhaupt Gewinn macht, kommt selten über fünf Prozent Umsatzrendite hinaus. «Wir liegen vernünftig darüber», sagt Pichler. Mehr sagt er nicht.
Florenz
Es ist drückend heiss in Florenz, 41 Grad. Die Busfahrer streiken, das Verkehrschaos ist noch grösser als üblich, die abgasgeschwängerte Luft noch dicker. In der Fortezza da basso, einer mittelalterlichen Festung im Stadtzentrum, kämpfen die Klimaanlagen gegen die Hitze. Nicht immer mit Erfolg: Einige der Container, die im Inneren des Festungsgeländes stehen und als Messehallen dienen, müssen von aussen mit Wasser bespritzt werden. Im Inneren ist es brechend voll. Trotz der Saunatemperaturen trauen sich nur die wenigsten, ihr Jackett auszuziehen. Wenn man es sich irgendwo auf der Welt nicht leisten kann, unkorrekt gekleidet zu sein, dann hier. Knapp 20 000 Fachbesucher treffen sich während der vier Tage hier an der Pitti Uomo, der wichtigsten Modemesse der Welt.
Die Stände der 669 Aussteller sind aufgebaut wie Modeboutiquen. 80 Prozent der Anbieter sind Italiener – kein Wunder, denn die europäische HAKA ist seit jeher fest in italienischer Hand. Auf dem 50 Quadratmeter kleinen Strellson-Stand ist nur ein Bruchteil der Kollektion ausgestellt. Nicht nur, dass die Miete ein Vermögen kostet (Strellson lässt sich den Auftritt zweimal pro Jahr jeweils eine Viertelmillion kosten), vor allem ist der Platz in der Fortezza da basso begrenzt: «Hier muss man glücklich sein, wenn man überhaupt einen Stand bekommt», sagt Werbeleiterin Senka Stütz.
Pichler ist mit dem Messeverlauf zufrieden. Endlich hat er einen Deal unter Dach und Fach gebracht, der für das Unternehmen einen grossen Sprung vorwärts darstellt: der Eintritt in den chinesischen Markt. «Dort funktioniert HAKA ganz anders als im Rest der Welt», sagt Pichler. Die Importeure beliefern nicht den Einzelhandel, sondern mieten in den Warenhäusern Flächen an und verkaufen auf eigene Rechnung. Der taiwanesische Strellson-Agent soll nun auch das chinesische Festland knacken. Zehn Millionen Franken Umsatzvolumen peilt Pichler dort mittelfristig an, auf lange Sicht ist das Potenzial unbegrenzt. Die USA sind das zweite grosse Expansionsfeld von Strellson, ebenfalls schwierig zu erschliessen. Man geht es ganz behutsam an, erobert vom Nachbarland Kanada aus Kunde für Kunde. Am Ende des Zehn-Jahres-Horizonts sollen 40 bis 50 Millionen Umsatz drinliegen.
In 30 Ländern ist das Kreuzlinger Unternehmen präsent und macht im Alleingang ein Drittel des gesamten Schweizer HAKA-Exportes. Und wo Strellson ist, ist auch Pichler. 120 Tage pro Jahr verbringt er auf Reisen, die Swiss ist sein zweites Zuhause. Auch dort wird er in Zukunft seine eigenen Produkte antreffen: Eben gewann er den lukrativen Fertigungsauftrag für die neuen Uniformen der 4500 Swiss-Mitarbeiter (die 6500 Mitarbeiterinnen werden von Akris eingekleidet). Andere HAKA-Hersteller hätten alles dafür getan, um diesen prestigeträchtigen Millionenauftrag zu bekommen. Strellson akzeptierte ihn nur unter der Bedingung, dass die Fluggesellschaft Logistik und Service der 18 000 Kleidungsstücke selbst übernimmt.
Grosses Hallo am Florentiner Flughafen Amerigo Vespucci, als Pichler nach geschlagener Messeschlacht in der Airport-Lounge Platz nimmt. Man duzt sich, man kennt sich. «Es sind fast immer die gleichen Leute hier», sagt Pichler, «die Anzahl der Kunden ist beschränkt.» Kaum starten die Motoren, verstummen die Gespräche. Rasch schläft Pichler auf seinem Sitz ein. Müdigkeit und Hitze fordern ihren Tribut.
Kreuzlingen
Fullhouse in Kreuzlingen. 300 Verkäufer und Repräsentanten aus aller Welt sind eingeflogen, um die neue Kollektion in Empfang zu nehmen. Alle sechs Monate trifft sich dafür die Strellson-Familie. Diesmal gibt es eine Premiere: Auf dem Fussboden liegen Jeans und Pullis ausgebreitet, Sportjacken und Turnschuhe. Alles in Blau, Weiss, Rot. Es ist die Sportswear-Kollektion, die man erstmals anbietet. Produktmanager Thomas Beller zieht eine knallrote Biker-Jacke aus Leder an. «Wenn Sie die alleine präsentieren, haben Sie keine Chance», warnt er die Verkäufer. «Die Kunden werden sagen: Das ist nicht Strellson! Aber wenn Sie das mit den richtigen Jeans und Hemden präsentieren, wird es laufen.» Der holländische Gebietsverkäufer ist skeptisch: «Bei uns wollen die Kunden Anzüge von Strellson. Alles andere kennen sie nicht», sagt er. «Aber andererseits, irgendwann muss man damit anfangen, in die Breite zu gehen.» – «Das wird uns marketingmässig wahnsinnig viel bringen», hofft Pichler. Jetzt könne man endlich das Logo auf den Produkten deutlich sichtbar zeigen. «Ein richtiger Entscheid», urteilt Ulrich Hiermer, Chef des gleichnamigen Münchner Modegeschäftes und grössten europäischen HAKA-Hauses. «Denn die Casualisierung ist ein ganz starker Trend, nicht nur im Business-Bereich.» 30 Prozent Umsatzanteil in drei Jahren ist Pichlers Ziel. Fragezeichen bleiben. Damenoberbekleidung hingegen ist kein Thema: «Frauen sind sehr viel modebewusster, der Markt viel schwieriger», sagt der gelernte Handelsfachwirt.
Ein Stockwerk weiter oben stellt Werbeleiterin Senka Stütz die neue Anzeigenkampagne vor. Ein entscheidendes Element in der Strategie: 20 Prozent des Umsatzes geht ins Marketing. «Das ist wahnsinnig!», urteilt ein Konkurrent. Der Branchenschnitt liegt unter fünf Prozent. Gerade in der Rezession nimmt Strellson den weniger solventen Unternehmen so die Marktanteile ab. Die Masche ist immer die Gleiche: Charakterköpfe vermitteln in den Anzeigen moralische und ethische Werte. Regelmässig heimsen die Kampagnen Preise ein. «Der Werbeauftritt grenzt sich sehr gut ab von dem, was die anderen HAKA-Hersteller machen», lobt ein Branchenexperte.
Zürich Oerlikon
Das Textil & Mode Center, kurz TMC, macht es den Modeeinkäufern leicht. Über 350 Fashionhersteller haben ihre Showrooms in dem fünfstöckigen Glasbau eingerichtet, das hält die Wege kurz. Walter Müller, Strellsons Verkaufschef für die Schweiz, macht hier pro Saison 60 bis 70 Präsentationen. An langen Regalstangen hängt die letzte Kollektion: alle Modelle, alle Farben, aber nicht alle Modelle in allen Farben. Das wäre dann doch zu viel: Allein bei den Anzügen gibt es 20 Modelle in je 200 Stoffen und je 28 Grössen, also 112 000 Varianten, bei den Hosen sind es 84 000 Kombinationen, bei den Hemden multiplizieren sich 300 Formen, 200 Stoffe und 10 Grössen. Hinzu kommen Sakkos, Krawatten, Gürtel, Schuhe sowie der ganze Sportswear-Bereich.
Heute ist das Einkaufsteam von Herren Globus da. Es muss aus der riesigen Auswahl das Richtige zusammenstellen – für den Sommer 2003: Die Ware wird ein Jahr im Voraus verkauft. Momentan entwirft man bereits die Modelle für den Winter 2003/2004.
Zwar gibt es auch bei Strellson ein Nachprogramm zur jeweils aktuellen Kollektion. Dennoch können die Ostschweizer nur langsamer auf kurzfristige Modetrends reagieren als die vertikal integrierten Ketten wie H&M oder Zara, die durch ihre Läden zudem höhere Margen generieren. Ein eigenes Ladennetz à la Boss ist für Strellson momentan kein Thema. Diskutabel: «Strellson ist ein grundsolides und hervorragend gemanagtes Unternehmen, aber könnte noch schneller werden bei der Umsetzung von Trends», sagt Olivier Burger, Chef der Modekette PKZ.
Produktmanager Marco Tomasi präsentiert einen Sakko nach dem anderen. Besonders stolz ist er auf einen hellblauen Anzug aus 100 Prozent Baumwolle, der in der Waschmaschine gewaschen werden kann, ohne die Form zu verlieren: «Da stecken wir die ganze Marketingpower hinein», verspricht er. Technische Innovationen werden systematisch gesucht und spielen in der Positionierung von Strellson eine wichtige Rolle. In der Vergangenheit waren das etwa ein Reisejacke, die sich auf Nähkissengrösse zusammenfalten lässt, oder ein Anzug, der auch die längste Flugreise knitterfrei übersteht.
Eigentlich würden die Rahmenbedingungen für einen Verkaufserfolg stimmen: 60 Prozent der Schweizer Kaderleute gehen ausschliesslich im Anzug ins Büro; davon tragen zwei Drittel Konfektionsware. Boss, Strellson und PKZ sind laut einer KPMG-Studie die beliebtesten Marken. Die Schweizer Einzelhändler verdienen mit 150 Prozent Bruttomarge auf dem Einkaufspreis gut daran. Theoretisch. Denn diesen Frühling verkauften sie zwölf Prozent weniger Bekleidung und Schuhe als im Vorjahr. Viele sitzen noch immer auf vollen Lagern. «Selbst im Ausverkauf kommt der Handel kaum mehr auf die Frequenzen», sagt Müller. «Markt halten ist angesagt», nennt es ein namhafter Konkurrent. Im Hauptmarkt Deutschland ist es noch viel schlimmer.
Am Schluss ordert Herren Globus etwa ein Drittel der Kollektion für nächsten Sommer. Kleinere Geschäfte nehmen gar nur zehn bis zwölf Prozent ins Sortiment. Insgesamt 2,5 Millionen Teile vertreibt Strellson pro Jahr. «Wenn wir von einem Sakko weltweit 1000 Stück verkaufen, ist das viel», sagt Pichler.
Kreuzlingen
Grosses Hallo am Empfang des Hauptsitzes. Ein älterer Herr in Freizeitkleidung, im Schlepptau seinen Sohn mit Freunden und deren Kindern, schüttelt Hände, grüsst nach links und nach rechts. Pichler eilt auf ihn zu, führt ihn in den Kollektionsraum. Es ist Uwe Holy, nebst seinem Bruder Jochen einziger Aktionär von Strellson. «Ich wollte nur kurz den Kindern unsere Firma zeigen», sagt er und verteilt lachend ein paar Strellson-Käppis. «Es ist ja nicht so, dass man als Rentner nichts mehr macht.»
Die Holys geniessen in der HAKA einen Ruf wie Donnerhall. Sie waren es, die in den Siebzigerjahren Boss vom Arbeitskleiderhersteller mit 3,5 Millionen D-Mark Umsatz zum Milliardenkonzern mit Weltrenommee machten. Strellson formten sie, nachdem sie ihr Unternehmen 1989 verkauft hatten. Und zogen viele ihrer ehemaligen Mitstreiter nach: Reiner Pichler war acht Jahre bei Boss gewesen, bevor er 1990 als Vertriebsleiter zur italienischen Gruppo Finanziario Tessile (Armani, Valentino, Ungaro) wechselte. Auch die beiden Produktechefs Beller und Tomasi sowie Produktionschef Grupe und seine Frau, bei Strellson zuständig für die Qualitätskontrolle, verdienten einst ihr Geld im schwäbischen Metzingen, auf der anderen Seite des Bodensees.
«Wir sind sehr aktive Verwaltungsräte und Beiräte», sagt Jochen Holy. Als «Coach des Managements» bezeichnet sie Pichler. Operativ reden sie nicht drein. Aber sie wachen im Hintergrund aufmerksam darüber, dass nichts anbrennt. Und lassen ihre Beziehungen spielen, wenn es etwa darum geht, Strellson einen Platz auf der Pitti Uomo zu verschaffen, obwohl 200 Unternehmen vor ihnen auf der Warteliste stehen. Warum haben sich die Holys ausgerechnet für Kreuzlingen entschieden? «Ein sehr guter Standort», sagt Pichler, «nur kein üblicher.» Zentral gelegen, multikulturell, mit Zugriff auf gut ausgebildete Mitarbeiter – man muss nicht in Mailand oder Paris logieren, um in der Modebranche Erfolg zu haben.
Eine letzte Frage, Herr Pichler, müssen Sie uns noch beantworten: Was trägt der Mann im Winter 2003/2004? «Natürliche Materialien wie Cord oder Wintercotton», kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. «Sakkos kombiniert mit Jeans, in Sandtönen, braun, schwarz, ocker-orange.» Und immer noch Strickkrawatten? «Ja, die brauchen wir wohl noch eine Saison.»
Denken Sie daran, wenn Sie übernächste Weihnachten vor dem Schaufenster des Herrenausstatters stehen: Hier haben Sie es zuerst gelesen.
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