Anfang November 2020: Das deutsche Biotech-Unternehmen Biontech gibt den eigentlichen Durchbruch bei der Wirksamkeit von Impfstoffen gegen Covid-19 bekannt. Die Meldung kommt für die Börsen – die damals deutliche Ermüdungserscheinungen zeigen – zur richtigen Zeit. Sie setzen zur Corona-Rallye 2.0 an.
Bei vielen Aktien von Unternehmen, welche in der Erforschung (und später Produktion) von Covid-Impfstoffen tätig sind, waren die Kurse allerdings schon im Lauf des Jahres 2020 kräftig angestiegen. Bei Biontech zum Beispiel stieg der Kurs in Erwartung der positiven Ereignisse bis Ende Oktober bereits um fast das Vierfache. Der Kursverlauf insgesamt ist aber von einiger Volatilität geprägt.
Das deutliche Auf und Ab der Aktie der letzten Monate widerspiegelt nicht bloss die gestiegene Konkurrenz im Corona-Impf-Business, sondern auch die erhöhte Verunsicherung der Investoren. Sie stellen sich Fragen wie: Wie lange können die Firmen von den Impfstoffen profitieren? Wie sieht die langfristige Zukunft der Covid-Impfhersteller aus?
Die Fragen sind bei allen Unternehmen berechtigt, auch bei Biontech. Und die Antworten gleichen einer Nebelstocherei, wie vieles in der Pandemie.
Fest steht: Die Gebrüder Strüngmann, die rund die Hälfte an Biontech besitzen, haben grösseres vor mit der Firma. Aus dem Mainzer Unternehmen soll «erstmals seit Jahrzehnten wieder ein eigenständiger, forschender Pharmakonzern in Deutschland» entstehen, wie Thomas Strüngmann das «Manager Magazin» wissen liess. Der Hauptfokus bleibe auch in Zukunft auf Krebstherapien sowie Infektionskrankheiten, den ursprünglichen Forschungsgebieten von Biontech.
Und das Firmengründer-Ehepaar Ugur Sahin (CEO) und Özlem Türeci (medizinische Chefin) – den beiden wird Bescheidenheit und Demut nachgesagt – will aus der Firma nichts anderes als ein neues Amgen oder Genentech machen.
Das nächste Genentech
Bis die 22 Kandidaten in der Produkte-Pipeline von Biontech Marktreife erreichen, könnte es allerdings eine ganze Weile dauern. Denn Leute, welche Biontech nicht genauer angeschaut hätten, könnten «geschockt» sein darüber, in welch frühem Stadium sich die Produkte-Kandidaten des Unternehmens befänden, sagt etwa Daina Graybosch, Analystin bei der US-Investmentbank SVB Leerink, zum Wirtschaftsmagazin «Barrons». Sie erwartet, dass – abgesehen vom Covid-Impfstoff – kein Produkt von Biontech vor dem Jahr 2025 Umsätze generieren werde.
Da könnte eine grosse Lücke aufgehen, wenn man bedenkt, dass gerade die Impfumsätze beim Biontech-Partner und Pharmagiganten Pfizer von rund 15 Milliarden Dollar in diesem Jahr auf 1,1 Milliarden Dollar im Jahr 2023 fallen werden, wie Analystenschätzungen ergeben haben. Analystin Graybosch hält Biontech zwar für ein «grosses Setup», dies aber auf langfristige Sicht.
Fazit: Investoren könnten die Biontech-Aktie wegen möglicher Umsatzdellen in ein oder zwei Jahren womöglich einiges billiger erwerben als heute.
Moderna hat mehr
Bei den anderen Unternehmen, die zur Hauptsache Covid-Impfstoffe herstellen, wie das US-Biotech-Unternehmen Moderna, sind die langfristigen Aussichten ebenso ungewiss. Wohl könnte Moderna wie Biontech von Auffrisch-, Dritt- oder gar langfristig regelmässigen Impfungen gegen das Coronavirus profitieren.
Und wie bei Biontech besteht bei Moderna die Langfrist-Hoffnung, dass die Erkenntnisse aus der mRNA-basierten Impfstofftechnologie auch gegen andere Krankheiten wie Krebs oder Multiple Sklerose helfen. Moderna hat mehr Medikamente-Kandidaten in Entwicklung als Biontech, nämlich 27.
Nicht überraschend ist daher auch bei der Aktie von Moderna recht viel Luft rausgegangen. Zwar weist sie in diesem Jahr wieder einen Anstieg von 25 Prozent aus, nach einem Zuwachs von bereits 434 Prozent im letzten Jahr. Doch dies täuscht darüber hinweg, dass der Titel vom Rekordhoch von 189 Dollar im Februar nun bei 130 Dollar gelandet ist.
Hohe Bewertung
Investoren stört die hohe Bewertung von Moderna. Ein Vergleich zeigt das «Missverhältnis»: Moderna hat bloss ein Medikament auf dem Markt, die Firma schrieb 2020 einen Verlust von 747 Millionen Dollar – und weist derzeit eine Börsenkapitalisierung von 51 Millarden Dollar auf. Der US-Pharmakonzern Biogen hat seit längerem diverse Medikamente auf dem Markt, schrieb 2020 vier Milliarden Dollar Gewinn und hat einen Marktwert von bloss 41 Milliarden Dollar.
Obwohl auch bei Moderna in diesem Jahr ein Gewinn von etwa vier Milliarden Dollar erwartet wird, drohen der Aktie kurz- und mittelfristig weitere Kursverluste.
Denn Moderna gehört laut JPMorgan zu den Bio-Tech-Aktien, die 2021 durch rund 80 Hedge-Fonds am meisten «geshortet», also leer verkauft werden (zusammen mit dem ebenfalls reinen US-Impfstoffhersteller Novavax, dessen Titel letztes Jahr nicht weniger als 2'700 Prozent angesteigen ist). Wie Biontech dürfte die Aktie von Moderna auf Mittelfrist-Sicht billiger zu haben sein als heute.
Novavax und Curevac: «Sell on good News»?
Der proteinbasierte Impfstoff des Börsen-Highflyers Novavax ist noch nirgendwo zugelassen, ebensowenig wie der Covid-Impfstoff-Kandidat des deutschen Unternehmens Curevac (die Schweiz hat bei beiden Herstellern 11 Millionen Impfdosen bestellt). Der Curevac-Impfstoff basiert – wie die Vakzine von Moderna und Biontech – auf der mRNA-Impfstofftechnologie. Als Partner für das Covid-Vakzin wurden Bayer (Marketing) und Novartis (Produktion) verpflichtet. Die EU-Zulassung erwartet das Unternehmen auf Anfang Juni.
Das Tübinger Unternehmen Curevac gibt es seit über 20 Jahren, es ist aber erst seit August an der Nasdaq. Curevac ist auch bei Krebsprojekten und proteinbasierten Therapien gegen Augen- und Atemwegkrankheiten tätig. Die Aktien von Curevac und insbesondere jene von Novovax werden kaum deutlich zulegen, wenn die Impfstoffe das Ok erhalten.
Wohl eher werden Gewinnmitnahmen eintreten, getreu dem Börsenmotto «Sell on Good News». Die Aktie von Curevac hat seit dem Börsengang um relativ moderate 73 Prozent zugelegt. Die Volatilität ist auch hier deutlich, das Risiko eines Investments ebenfalls hoch.
Ob Moderna, Biontech, Curevac oder Novavax: Bei den Unternehmen und ihren Aktien gelten die Risiko-Überlegungen, die Anleger vor einem Engagement in alle Biotech-Titel im Kopf haben müssen: Produkte-Misserfolge, Kapitalerhöhungen oder Übernahme-Offerten nach abgestürztem Aktienkurs. Zutaten also, die zu schmerzhaften Verlusten führen können.
Wer sich als Anleger mit dem Impfstoff-Thema auf der sichereren Seite fühlen will, kann auf Grosskonzerne wie Johnson&Johnson oder Pfizer – dem Partner von Biontech – setzen.
Dort sind allerdings auch die Kursbewegungen und potenziellen Gewinne kleiner. Für viele Marktteilnehmer ist Astrazeneca nach diversen Kontroversen und Misserfolgen beim Covid-Vakzin hinsichtlich Corona-Impfungen kein Investment-Case mehr.
Dieser Beitrag wurde zuerst auf «Cash.ch» publiziert unter dem Titel: «Biontech, Moderna und andere: Was bringt die Zukunft für Aktien von Covid-Impfstoffproduzenten?»