Als das Coronavirus im Januar 2020 anfing sich auszubreiten, war es eine gute Strategie für Anleger, ihr Portfolio mit Realwerten vor der sich anbahnenden Abwärtsspirale an den Finanzmärkten zu schützen.
Marktunabhängige Sondersituationen rund um Unternehmensübernahmen (M&A) erwiesen sich als sicherer Hafen im Umfeld stark tauchender Kurse. So konnten Anleger nahezu unbeschadet durch die erste Welle der Pandemie kommen.
Wer sich im 2. Quartal wieder etwas breiter aufgestellt hat, sitzt nach der Aktienmarktrallye der vergangenen Monate nun auf satten Gewinnen. Doch mittlerweile steigen die Infektionszahlen in einigen Ländern wieder.
Oliver Scharping ist Portfolio Manager für globale Aktien beim Asset Manager Bantleon Bank AG.
Kommt jetzt die nächste grosse Infektionswelle? Was passiert, wenn einer der 170 in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe die Finanzmärkte in Euphorie versetzt? Wegen der enormen Auswirkungen der verschiedenen Szenarien sollten Anleger in den nächsten Monaten auf Sicht fahren.
Eine Nische für alle Fälle
Für diese Strategie eignet sich gut ein wenig beachtetes Aktienmarktsegment, das zwei positive Eigenschaften vereint: sowohl den Schutz vor den Folgen weiterer möglicher Lockdown-Massnahmen als auch aussichtsreiche Zukunftsperspektiven unabhängig von der Pandemieentwicklung.
Die Rede ist von einer Nische im Bereich der Technologieaktien abseits der Börsen-Stars, den sogenannten digitalen Disruptoren. Denn der digitale Wandel – die ohnehin bereits umfangreichste Veränderung unserer Zeit – vollzieht sich aufgrund der Coronavirus-Pandemie umso schneller und verändert unser Leben tiefgreifend.
Junge Unternehmen, die frühzeitig und erfolgreich diesen digitalen Wandel bewältigen, werden künftig schneller und profitabler wachsen. Disruptive Unternehmen sind daher am besten positioniert, um von einem mehrjährigen Nachfrage-Rückenwind zu profitieren. Thematisch reicht das Spektrum von der Videokonferenz bis zu digitalen Arztterminen oder bargeldlosem Bezahlen.
The Winner Takes it All
Bekannte Wachstumskonzerne wie Amazon erwiesen sich in der Krise als substanzstarke Unternehmen, die sich dank ihres hohen digitalen Reifegrades von der Konkurrenz quasi durch Burggräben absetzen und ihre Branche dominieren.
Von den pandemiebedingten Ausgangssperren haben sie unmittelbar profitiert, aber auch unabhängig von der weiteren Entwicklung der Pandemie sind die Aussichten für Amazon, Facebook & Co. vielversprechend.
Doch nicht nur die bereits etablierten digitalen Wachstumsgiganten verdienten in dieser Umbruchphase Milliarden. Anlegern, die einen Blick über den Tellerrand werfen, bieten sich hochinnovative und sogar noch schneller wachsende Unternehmen, die sich ebenfalls als Bollwerk während der Coronavirus-Krise erwiesen.
Anfangs sind diese digitalen Disruptoren oft klein und scheinbar ungefährlich. Später profitieren sie rasch von Netzwerkeffekten und dominieren schlussendlich oft ihre Branchen – so wie einst auch Amazon, Uber und Airbnb.
Noch kaum bekannte Firmen aus Bereichen wie Cloud Computing, Fintech und Cyber Security können die Gewinner von morgen werden und ihre Branchen bald entscheidend verändern.
Bargeldloses Zahlen bietet enormes Wachstumspotenzial
Ein Paradebeispiel ist das Fintech-Unternehmen Square aus San Francisco, das nächste Unternehmen des Twitter-Gründers Jack Dorsey. Der Zahlungsdienstleister trotzte der Coronavirus-Krise nicht zuletzt dank eines Ansturms auf bargeldlose Bezahloptionen.
Die Kreditkartenlesegeräte von Square bieten Verkäufern und Ladenbesitzern mit geringen Umsätzen Smartphone-Konnektivität, um Kreditkarten für kontaktlose Transaktionen zu belasten. Dank der neuen, bereits sehr erfolgreichen Square Cash App besteht weiteres enormes Wachstumspotenzial.
Die App ermöglicht es Nutzern, Gehaltsabrechnungen, Stimulus-Schecks, Arbeitslosengeld und Steuerrückerstattungen direkt in ihrer digitalen App-Brieftasche zu erhalten. Ein ganz anderer Gewinner von morgen ist das ebenfalls in San Francisco ansässige Unternehmen Twilio.
Es bezieht über 70 Prozent seiner Einnahmen durch den Verkauf von Text-, Sprach- und Videokommunikationstools. Der Fahrvermittlungs-Dienstleister Uber nutzt Twilio zur Kommunikation mit Fahrern und die Kaufhaus- und Versandhauskette Nordstrom setzt es für seine Verkäufer ein.
Gefahren in der Wolke
Der Messaging-Dienst Whatsapp ist Twilios grösster Kunde und Universitäten nutzen Twilio, um Studenten bei der Verbesserung ihrer Ausbildung zu unterstützen. Alles also für eine effiziente Kommunikation komplett in der Cloud.
Doch das zunehmende Arbeiten aus der Wolke bietet bekanntlich auch Gefahren. Als Millionen von Menschen in diesem Jahr begannen, aus dem Homeoffice zu arbeiten, sahen sie sich dem zusätzlichen Risiko von Cyber-Angriffen auf ihren heimischen Laptops gegenüber.
Ein Segen für den in Kalifornien ansässigen Disruptor Crowdstrike. Dieser setzt im Gegensatz zu klassischen Internetsicherheitsfirmen verhaltensbasierte und KI-Algorithmen ein, um externe Sabotage zu vereiteln.
Crowdstrikes riesige Sammlung an Bedrohungsdaten haben ihm bereits einen so starken Vorsprung auf dem Markt für Cloud-basierte Endpunktsicherheit geschaffen, dass es Jahre dauern kann, bis die klassischen Wettbewerber aus dem Bereich der Sicherheitssoftware aufholen.
Das nächste Alibaba
Aber auch ausserhalb des Silicon Valley gibt es digitale Gewinner. Ein Beispiel für einen zunehmend breiter aufgestellten Disruptor ist die Internetfirma Sea aus Singapur. Angetrieben von der E-Commerce-Plattform Shopee, dem Videospielentwickler Garena und dem Zahlungsdienstleister Seamoney, wird das digitale Mini-Konglomerat Sea bereits als das nächste Tencent oder das Alibaba Südostasiens gehandelt.
Alles in allem sind digitale Disruptoren eine exzellente Portfolioergänzung, um auch auf die wirtschaftlichen Folgen und die Börsenturbulenzen einer möglichen zweiten Welle der Coronavirus-Krise vorbereitet zu sein.
Sollte die Zuspitzung der Pandemie ausbleiben und ein Impfstoff zur Bekämpfung zeitnah bereitstehen, profitieren digitale Gewinner von morgen dennoch vom langfristigen Rückenwind.