Der Herr findet seine Räume etwas zu wenig repräsentativ. In weissem Hemd und dunkler Krawatte, die kinnlangen Haare hinter den Ohren gebändigt, schreitet Bernhard Kunz durch sein Lagerhaus in Rümlang, Oberglatterstrasse 8, gleich gegenüber dem Muldenservice. Darin reihen sich dicht gedrängt Möbel, Schmuck und Kuriosiäten: ein chinesischer Hochzeitsschrank für 1800 Franken, ein Harmonium für 3500 Franken und in der Vitrine eine IWC-Frackuhr für 2290 Franken. Die Preziosen sollen schon bald in frischerem Ambiente präsentiert werden. Während draussen an der Fassade die letzten Graffiti übermalt werden, wird drinnen der grosse Umbau geplant: 2000 Quadratmeter helle Verkaufsräume sind am Entstehen.

Die grundlegende Renovation drängte sich auf, seit nicht mehr nur in Not geratene Teppichhändler ihre Ware durch Bernhard Kunz losschlagen lassen, sondern auch eine so genannt feinere Gesellschaft – etwa die vom Zürichberg – Kunz’ Dienste diskret in Anspruch nimmt, um ihre Habe in Bares umzuwandeln. Wie das der ehemalige Chef eines Schweizer Konzerns kürzlich getan hat. In dieser Domäne will Kunz künftig stärker auftreten: «Ich möchte nicht als Verramscher gelten», sagt er, «sondern als Verkäufer hochwertiger Waren aus Privathaushalten.»

Kunz’ Auftragsbücher sind schon jetzt randvoll – wer anfragt, muss mit einer Absage rechnen. Häufig laufen bis zu 20 Liquidationen parallel.

Der Umbau in Rümlang geht einher mit einer grundlegenden Umgestaltung des Geschäfts. Die Rezession beschert Kunz zwar Hochbetrieb, gleichzeitig nimmt aber die Kauflust der Konsumenten ab; sie werden, erst recht bei Liquidationswaren, kostenbewusster. Zu den tendenziell sinkenden Preisen kommt ein gestiegener Verkaufsaufwand. Die Kunden fordern zunehmend auch von einem Liquidator sachkundige Beratung. Kunz suchte nach einer Lösung, die verhindert, dass ein Kunde, begleitet von einem Verkäufer, mehrere Stunden im Lokal sondiert, ohne am Ende zu kaufen. Die Lösung hiess Internet.

Auf dem Liquidationsportal www.Bernhard-Kunz.ch kann das Publikum seit einigen Wochen alle Waren zuerst virtuell besichtigen und die in die engere Wahl gekommenen Artikel hinterher in der Ausstellung begutachten. Dadurch kann der Verkaufsaufwand pro Kunde auf wenige Minuten reduziert werden. Mit der Einführung des Portals, die Kunz mit dem für ihn typischen Werbegetöse begleitet hat, ist er zufrieden. Pro Woche verzeichnet die Site mehrere Hunderttausend Hits.

Freilich geht auch ein solcher Internetauftritt ins Geld. Bislang konnten die Kosten in Grenzen gehalten werden, weil Sohn Simon Kunz, Student der Politikwissenschaften, die Website bewirtschaftet. Nach dem erfolgreichen Start will Kunz nun aber einige Webpublisher und Fotografen einstellen, die den Auftritt betreuen: «Wir wollen uns zunehmend aufs Internet konzentrieren.»

Meistens wird das Ziel einer Liquidation erreicht, innert kürzester Zeit so viel Ware wie möglich loszuschlagen, um einen Konkurs abzuwenden – bei Bernhard Kunz in über 90 Prozent der Fälle. Das Geschäften mit Menschen am finanziellen Abgrund brachte Kunz allerdings auch selbst fast an den Rand seiner Kräfte, und dies zwanzig Jahre nach der Firmengründung. Mitte der Siebzigerjahre arbeitete er als Geschäftsführer in einem Detailhandelsbetrieb, als dieser kurzfristig aus der Liegenschaft ausziehen musste. Kunz startete einen Ausverkauf, worauf einem Lieferanten das Geschick von Kunz auffiel und er ihm die Liquidation eines anderen Betriebs übertrug. 1976 machte sich Kunz selbstständig, 1986 gründete er eine Aktiengesellschaft. Unterstützt von aggressiver Werbung, expandierte die Firma rasch, mit doppelter Wirkung: Kunz wurde zum bekanntesten Liquidator der Schweiz und zum einzigen, der im ganzen Land tätig ist. Der Umsatz schwankt zwischen 20 und 40 Millionen Franken.

Doch der Erfolg hatte seinen Preis. «Wenn es einem Auftraggeber schlecht geht, muss man rund um die Uhr für ihn da sein», sagt Kunz, «das geht an die Substanz. Und in meinem Geschäft brennt es immer an einer Front.» Innerlich ausgebrannt, wollten Bernhard Kunz und seine Frau Heidi, welche die Administration abwickelt, markant kürzer treten. Vor fünf Jahren setzten sie einen Geschäftsführer ein und dislozierten nach Südafrika. Kunz, noch immer Eigentümer des Unternehmens, nahm das Motto «Loslassen» allzu wörtlich. Er vernachlässigte die Kontrolle über sein Unternehmen, mit der Folge, dass der erste Geschäftsleiter die Firma in die roten Zahlen manövrierte. Ein eilends bestellter interner Nachfolger blieb ähnlich glücklos.

Um nicht sein eigenes Unternehmen liquidieren zum müssen, brach Kunz die Zelte in Südafrika ab und nahm die Geschäftsführung in Rümlang wieder selber in die Hand. Die Internetstrategie entstand. «Die gute Resonanz auf das Portal gibt mir wieder Auftrieb», sagt er, «auch wenn ich und meine Frau wieder je 70 Stunden pro Woche arbeiten.»

Kunz organisiert für die angeschlagenen Mandanten den Kontakt mit Gläubigerbanken, beschafft Stundungsgesuche und aussergerichtliche Nachlässe. Zudem erledigt er die Werbung und die Administration für die Liquidationsverkäufe.

Daneben liquidiert er auch im Auftrag von Betreibungs- und Konkursämtern Unternehmen, die bereits Konkurs angemeldet haben, dieses Jahr etwa das Gärtnereigeschäft Mondofiori oder die Rahmenfabrik Bira. Die meisten Gläubiger können in diesen Fällen nur auf wertlose Verlustscheine zurückgreifen. Den wirtschaftlichen Nutzen seiner Arbeit sieht Kunz mithin darin, eine unheilvolle Kettenreaktion zu verhindern, indem er die Gläubiger einer konkursgefährdeten Firma mit einer Liquidationsdividende vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten schützen kann.

Sämtliche Verkaufserlöse fliessen auf ein Konto, aus dem zunächst die Unkosten bezahlt werden. Vom verbliebenen Erlös gelangen – je nach Auftrag – zwischen 0,5 und 10 Prozent an den Liquidator. Einzelne Aufträge können in die Höhe von mehreren Millionen Franken gehen. Beispielsweise im Fall der Liquidation von Moulinex. Ein Kunde erwarb den ganzen Lagerbestand der unter den Marken Moulinex, MioStar oder Satrap laufenden Haushaltgeräte für weniger als die Hälfte des Detailhandelspreises und transportierte ihn danach camionweise nach Luxemburg, um die Ware dort weiterzuverkaufen.

Doch im «Liquidatorium by Bernhard Kunz Liquidationen», wie das Unternehmen nun gepflegt neudeutsch heisst, findet eine anspruchsvollere Kundschaft auch weniger profane Artikel als Haarföne oder Püriergeräte. Etwa eine afrikanische Pfeil- und Speersammlung für 450 Franken, eine Trompetenvase für 275 Franken oder eine Da-Vinci-Herrenuhr für 14 000 Franken – die ist leider schon verkauft.
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