Viele Neuansteckungen und Diskussionen über schärfere Massnahmen zur Eindämmung: Die Corona-Krise ist zurück, noch bevor sie richtig aufgehört hat. Was bedeutet das für Anleger?
Christoph Schenk: Für Anleger bedeutet dies, dass die Aussichten an den Finanzmärkten schwierig abzuschätzen bleiben. Die wirtschaftliche Erholung ist zwar intakt, dürfte durch die ansteigenden Neuinfektionen aber gebremst werden. Zudem dürften die negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmärkten erst mit Verzögerung sichtbar werden. Es ist deshalb unabdingbar, dass die Fiskal- und Geldpolitik den strukturellen Anpassungsprozess abfedern und grosszügig Hilfestellung leisten. Die expansive Geldpolitik wird dabei die Renditen ausgesprochen niedrig halten und für negative Realzinsen sorgen. Für Anleger heisst dies, dass sie auf der Suche nach Renditen vorwiegend auf den Aktienmärkten fündig werden. Wir sind deshalb überzeugt, dass auf mittlere Sicht weiterhin kein Weg an Aktien vorbeiführt.
Donald Trump scheint nach seiner Erkrankung wieder gesund und der US-Wahlkampf geht in die heisse Phase. Wer wäre für Schweizer Investoren besser: Trump oder Joe Biden?
Aus unserer Sicht ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten. Der Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass die Aktienmärkte sowohl unter demokratischen als auch unter republikanischen Präsidenten florieren können. Wichtiger sind die wirtschaftliche Entwicklung und das geldpolitische Umfeld – beides wir durch die Politik nicht so stark beeinflusst, wie gemeinhin angenommen. Das geflügelte Wort, dass politische Börsen kurze Beine haben, gilt deshalb weiterhin.
«Zurzeit existieren grosse Sorgen, dass kein rasches Wahlergebnis vorliegen wird.»
Christoph Schenk, ZKB
Die Finanzmärkte ziehen in der Regel aber eine geteilte Macht einer ungeteilten vor, das heisst, dass der Kongress und das Weisse Haus nicht in der Hand einer Partei liegen. In diesem Wahlkampf dürfte es aber für Erleichterung an den Finanzmärkten sorgen, wenn es bei der Präsidentschaftswahl zu einem eindeutigen Resultat kommt, unabhängig vom Ausgang der Kongresswahlen. Zurzeit existieren nämlich grosse Sorgen, dass kein rasches Wahlergebnis vorliegen wird und es möglicherweise nicht ohne das Oberste Gericht zustande kommt, zumal Präsident Trump immer wieder andeutet, dass er eine Wahlniederlage nicht einfach akzeptieren werde.
Die Tech-Aktien hatten nach ihrer Rally im September einen Rücksetzer. Nun geht es aber wieder steil aufwärts. Was erwarten Sie hier?
Tech-Aktien hatten sich seit dem Markttief im März 2020 weit besser erholt als die der übrigen Branchen. Insofern war die Konsolidierung gesund. Wir sehen Technologie allerdings in einem intakten Trend relativer Stärke, den die Digitalisierung der globalen Wirtschaft mit sich bringt. Mittelfristig droht zwar kartellrechtlicher Gegenwind für die ganz grossen Tech-Unternehmen in den USA, für den Sektor insgesamt wäre das aber positiv zu werten.
Was beschäftigt sonst noch die Finanzmärkte?
Die Gewinnberichtssaison für das dritte Quartal nimmt gerade Fahrt auf. Für die Aktiengesellschaften der meisten Regionen wird von den Finanzanalysten auch diesmal ein deutlicher Rückgang im Jahresvergleich erwartet. Wie die Investoren auf die Veröffentlichungen reagieren werden, hängt entscheidend davon ab, wie gross die Überraschungen sind. Da das dritte Quartal global konjunkturell besser lief, als ursprünglich befürchtet, erwarten wir, dass die Gewinnausweise in einem unsicheren Umfeld mit US-Wahlkampf und Covid-19-Krise eher stabilisierend wirken.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln? Kommt es auch 2020 zum Jahresendrally?
Rein historisch betrachtet stehen die Chancen gut für eine Jahresendrally. Wir erwarten vorerst keine Rezession, was die wichtigste Voraussetzung für steigende Aktienkurse darstellt. Sobald in den USA die neuen Machtverhältnisse klar sind, wird darüber hinaus ein wichtiger Unsicherheitsfaktor wegfallen. Ob wir tatsächlich eine Rally erleben, dürfte also entscheidend davon abhängen, wie schnell die Wahlverlierer ihre Niederlage eingestehen.
«Die Chancen stehen gut für die Einführung eines oder mehrerer Impfstoffe gegen das Coronavirus.»
Christoph Schenk, ZKB
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, spricht vieles dafür, dass der SMI in zwölf Monaten höher notiert. Die Chancen stehen gut für die Einführung eines oder mehrerer Impfstoffe gegen das Coronavirus. Die globale Wirtschaft wächst und zumindest die Zentralbanken werden angesichts niedriger Inflationsraten expansiv bleiben. Darin steckt allerdings auch ein Risiko für die Finanzmärkte: Sollten steigende Inflationszahlen zu Spekulationen über eine geldpolitische Wende führen, würde es für die Aktienmärkte schwieriger.
Was erwartet die Schweizer Wirtschaft unter dem nächsten US-Präsidenten? Eine Vorausschau für den Wahlsieg von Joe Biden oder von Donald Trump. Mehr hier.Abo