Die Stunde der Wahrheit ist wieder gekommen. Nun zählen keine Prognosen und Erwartungen mehr, es kommt allein auf die Fakten an. Gemeint ist die Berichtssaison, die soeben an der Wall Street ins Laufen gekommen ist. Ein leichtes Vorgeplänkel ist bereits zu vernehmen. Zwanzig S&P-500-Mitglieder haben bereits die Bücher geöffnet, wirklich grosse Adressen fehlten jedoch bisher. Erst am 11. Juli läutet Alcoa traditionell das «Zahlenfest» zum Halbjahr ein.
Was die Ergebnisse angeht, sind die Erwartungen in den vergangenen Monaten deutlich geschrumpft. Hatten per 31. März die Analysten noch mit einem Rückgang der S&P-Gewinne für das zweite Quartal um 2,8 Prozent gerechnet, gehen sie nun von einem Minus von 5,3 Prozent aus. Die höchsten Revisionen, von -0,2 auf -7,2 Prozent, verzeichnete der IT-Sektor. «Hauptschuldiger» ist Apple, hier rechnet der Markt nur noch mit einem Ergebnis je Aktie (EPS) von 1,40 Dollar anstelle der bisher veranschlagten 1,78 Dollar. Bereinigt um den Kult-Konzern mit dem angebissenen Apfel im Logo würde der Rückgang in der Branche nur 1,9 Prozent betragen.
Apple: Kommt es zu einer Gewinndelle?
Im Durchschnitt gehen die Analysten derzeit davon aus, dass das EPS bei Apple im Vergleich zum Vorjahr im abgelaufenen Quartal um knapp einen Viertel gefallen ist. Auch, wenn es in den vergangenen drei Monaten relativ ruhig war rund um das Unternehmen, scheint es doch fast etwas überzogen zu sein, von einer derartigen Gewinndelle auszugehen.
Ende März hatte Apple das neue iPhone SE und das 9,7-Zoll-iPad Pro auf den Markt gebracht. Damit ist die Periode von April bis Juni das erste vollständige Quartal, während dem diese Geräte im Verkauf sind. Diese dürften den Absatz angekurbelt haben. Und auch der Verkauf des margenträchtigeren iPhone 6S wird wohl nicht zu sehr gelitten haben, schliesslich halten sich hartnäckig Gerüchte, dass das iPhone 7 im Herbst noch nicht der grosse Wurf sein wird.
Ein wirklich neu designtes Gerät soll es Spekulationen zufolge erst 2017 geben. Folglich könnte es sein, dass viele Kunden auf das kommende Jahr warten und sich jetzt lieber das iPhone 6S kaufen als im Herbst das teurere und möglicherweise baugleiche iPhone 7. Apple selbst erwartet für dieses Quartal einen Umsatz zwischen 42 und 43 Milliarden Dollar sowie eine Marge zwischen 37,5 und 38 Prozent. Dies entspräche einem Erlösrückgang im Vergleich zum Vorjahresquartal um 13 Prozent sowie einer um 1,5 Prozentpunkte schmäleren Rendite.
Während risikoerprobte Anleger kurzfristig auf eine positive Überraschung am 26. Juli bei der Zahlenpräsentation setzen können, gehört der Titel für Langfristanleger ohnehin ins Depot. Dies gilt nur schon wegen Warren Buffett, der seit Kurzem bei Apple engagiert und für seinen guten Spürsinn bekannt ist. Aber auch die Aussichten für die Branche sind gut. «Im kommenden Jahr sollten Innovationen bei den Geräte-Akkus für eine Nachfragebeschleunigung sorgen», meint etwa US-Investmentbank-Morgan-Stanley-Analystin Kathryn Huberty. Dabei zählt sie Apple zu den Profiteuren und stuft den Titel mit «Outperform» ein.
Amazon: Aktie mit dem «Prime»-Faktor
Dass der Technologiesektor das zweite Quartal nicht so schlecht abschliessen wird, wie aktuelle Prognosen es vermuten lassen, könnte auch an Amazon liegen. Der Internetriese übertraf bereits in der Auftaktperiode die Erwartungen um mehr als 80 Prozent. Der Konzern sorgt aktuell mit seinem «Prime Day» für Aufsehen. Dieser ist für den 12. Juli angesetzt und ermöglicht den Kunden des kostenpflichtigen Abo-Dienstes Prime exklusive Preisnachlässe. Bei der ersten Auflage vor rund einem Jahr waren weltweit mehr als 34 Millionen Artikel verkauft worden.
Das Unternehmen macht derzeit vieles richtig und hat sich vom klassischen Onlinehändler zu einem gut aufgestellten Technologiekonzern gewandelt. Egal, ob in der Cloud oder als Produzent von Medieninhalten, Amazon ist auf der Erfolgsspur. Analysten zeigen sich ebenfalls rundum zufrieden mit ihm und empfehlen den Titel mehrheitlich zum Kauf. Bernstein Research geht beispielsweise davon aus, dass die Margen in den kommenden zwei Jahren deutlich schneller steigen werden als in den zurückliegenden zwei Jahren und setzt daher ein atemberaubendes Kursziel von 1000 Dollar fest. Das abgelaufene Quartal, über das Amazon am 21. Juli berichten wird, wird sich wahrscheinlich nahtlos in die aktuelle Wachstumsstory einfügen.
Newmont Mining: Glänzende Aussichten
Zum «Wiederholungstäter» könnte auch Newmont Mining werden. Der Minenkonzern zählte im ersten Quartal ebenso wie Amazon zu den Top 10 der Unternehmen, welche die Erwartungen am höchsten übertroffen haben. Das Umfeld spricht weiterhin für den Minenkonzern. Von April bis Juni kletterte der Goldpreis um 7,3 Prozent. Geht es nach der Credit Suisse, wird der Glanz mittelfristig weiter zunehmen. Für das Abschlussviertel 2016 prognostizieren sie einen Durchschnittswert von 1475 US-Dollar pro Unze, für das erste Quartal 2017 1500 US-Dollar.
Als Grund nennt Analystin Anita Soni, die länger anhaltende makroökonomische und politische Unsicherheit nach der Brexit-Abstimmung sowie das Umfeld negativer Realzinsen und Goldkäufe durch Zentralbanken und Verbraucher. Gute Aussichten also für die Branche und insbesondere für den weltweit zweitgrössten Goldproduzenten Newmont Mining. Aufgrund der operativen Beständigkeit sowie der attraktiven Bewertung verleiht CS-Expertin Soni der Aktie das Votum «Outperform». Am 20. Juli wird das Unternehmen über das abgelaufene Quartal berichten.
Mehr von stocksDigital finden Sie hier.