Den Pensionskassen in der Schweiz war nur eine kurze Verschnaufpause vergönnt. Kaum hatten sie sich von den Folgen der Finanzkrise 2008 und 2009 etwas erholt, brachten die Turbulenzen dieses Sommers an den Finanzmärkten den Deckungsgrad bereits wieder unter Druck. Er ist die wichtigste Messgrösse für den Zustand der beruflichen Vorsorge in der Schweiz. Denn an ihm lässt sich ablesen, ob die Vorsorgeverpflichtungen durch das Vermögen gedeckt und die Renten damit gesichert sind.

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Swisscanto, ein Gemeinschaftswerk der Kantonalbanken für Anlagefonds und berufliche Vorsorge, errechnete aus ihrer breiten Datenerhebung per Ende September einen Deckungsgrad von weniger als 95 Prozent, nachdem dieser Wert zu Jahresbeginn bei 100 Prozent gelegen hatte. Wird die Schwelle von 90 Prozent unterschritten, müssen zwingend Sanierungsmassnahmen ergriffen werden.

Obwohl das Stimmvolk im März 2010 die Senkung des Umwandlungssatzes noch ablehnte, sorgen sich immer mehr Leute um den Zustand der eigenen Pensionskasse. Das beobachtet jedenfalls Michael Bolt, Generaldirektor von Hotela, dem Sozialwerk der Schweizer Hotellerie: «Die Versicherten sind viel sensibler.» Patrik Schaller, Leiter berufliche Vorsorge des Beratungsunternehmens Ernst & Young, ergänzt, dass sich gerade jüngere Kandidaten bei Neuanstellungen vermehrt nach den Konditionen der Pensionskasse erkundigten.

Neue Auslegeordnung. Und diese dürften sich in Zukunft für die Versicherten weiter verschlechtern. Die BVG-Kommission, ein beratendes Expertengremium des Bundesrates zur zweiten Säule, schlägt für 2012 vor, den Mindestzins von 2 auf 1,5 Prozent zu senken. Noch während der Drucklegung dieser Ausgabe könnte der Bundesrat einen Entscheid fällen. Diskutiert werden im Rahmen der finanziellen Sicherung der AHV sodann eine Erhöhung des Rentenalters und in der beruflichen Vorsorge eine Senkung des technischen Zinssatzes. Der Umwandlungssatz wird sich kaum auf dem heutigen Niveau halten lassen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) will zudem die vom Bundesrat angekündigte umfassende Auslegeordnung zu den Herausforderungen und Lösungsansätzen in der beruflichen Vorsorge noch vor Jahresende in eine Anhörung schicken. Demnach kommt die Senkung des Umwandlungssatzes von derzeit 6,95 für Männer und 6,9 für Frauen auf 6,4 Prozent wieder aufs Tapet, wie die «NZZ am Sonntag» erfahren hat. Zu solchen Indiskretionen will sich BSV-Vizedirektor Martin Kaiser nicht äussern. Der Bericht zur Zukunft der zweiten Säule werde eine ganze Reihe von Massnahmen zur Diskussion stellen. Das Ziel sei, so Kaiser, «die Erfolgsgeschichte des Drei-Säulen-Systems fortzuschreiben».

Genau diese sieht Pensionskassenspezialist Schaller jedoch gefährdet. «Die Parameter sind zu optimistisch», kommt er zum Schluss. Unterschätzt werde zum Beispiel die Langlebigkeit. Die Pensionskassen berücksichtigen teilweise ungenügend die steigende Lebenserwartung und die damit verbundene längere Rentendauer. So ist die Lebenserwartung der 65-jährigen Männer in den letzten fünf Jahren um 1,15 auf 20,14 Jahre gestiegen, jene der 64-jährigen Frauen um 0,77 auf 23,79 Jahre.

Ausserdem ist der technische Zins zu hoch. Mit ihm wird die Rendite berechnet, die auf dem Kapital eines Rentners erzielt werden kann. Je tiefer dieser Wert liegt, umso höher muss das Alterskapital bei der Pensionierung sein, um die gleiche Rente zu gewährleisten. Gemäss Swisscanto kalkulieren die Pensionskassen durchschnittlich mit einem technischen Zins von 3,5 Prozent. Derweil wird das obligatorische Guthaben der aktiv Versicherten aber ab nächstem Jahr voraussichtlich nur mit 1,5 Prozent verzinst. Bei den überobligatorischen Guthaben liegen die Zinsgutschriften häufig noch deutlich tiefer.

Die Folge: Die Pensionskassen müssen einen immer höheren Teil ihrer Kapitalerträge zulasten der aktiv Versicherten auf die Guthaben der Rentner umlagern. Doch diese schleichende Umlagerung widerspricht der Grundausrichtung der zweiten Säule, die auf einer Kapitaldeckung basiert. Um das zu unterbinden, müsste der technische Zins laut Schaller beträchtlich auf 2,5 Prozent gesenkt werden, und gleichzeitig müssten die Umwandlungssätze für die Berechnung der Höhe der Altersrente nach unten angepasst werden.

Würden noch die Vorsorgeverpflichtungen marktnah bewertet, dürfte der Deckungsgrad in Tat und Wahrheit im Schnitt wesentlich unter dem kritischen Niveau von 90 Prozent liegen, kommt Schaller zum Schluss. Werde jetzt nichts unternommen, könnte gar der Verfassungsauftrag gefährdet sein. Demnach sollten etwa 60 Prozent des bisherigen Einkommens aus erster und zweiter Säule gedeckt werden, um den bisherigen Lebensstandard im Rentenalter fortzuführen. Gemäss einer Studie des Beratungsunternehmens Mercer beträgt die Quote in der Schweiz derzeit rund 66 Prozent.

Reale Vermögensverluste. Verschärft wird die Situation durch die fehlenden Erträge aus den Kapitalmärkten. Wie aus den Erhebungen von Swisscanto und den Performance-Berechnungen von Pictet hervorgeht, wurde in den vergangenen vier Jahren weder die Zielrendite noch die Sollrendite erreicht, die zur Kostendeckung notwendig wäre. Vor allem Pensionskassen mit einem hohen Anteil an obligatorischen Guthaben hoffen daher auf eine Senkung des Mindestzinses. Sie haben kaum Spielraum, mit Zinssenkungen bei den höheren, überobligatorisch versicherten Guthaben ihre Sollzinsen den Kapitalmarkterträgen anzupassen.

Besonders gelegen käme eine Senkung den Lebensversicherungen, die Sammelstiftungen mit Kapitalgarantie führen. Ihre Aktienquote ist auf unter vier Prozent abgerutscht. Mit dem hohen Anteil an Anleihen sitzen sie in der Zinsfalle. Denn die bescheidenen Renditen führen nach Kosten und bei steigender Inflation zu realen Vermögensverlusten der Versicherten.

Um dieser Spirale zu entrinnen, setzt Herbert Brändli von Profond, einer unabhängigen Sammelstiftung, weiterhin auf einen hohen Aktienanteil von 50 Prozent und Immobilien. Allerdings kämpft auch sein Vorsorgewerk gegen ein weiteres Absinken des Deckungsgrads von derzeit rund 90 Prozent.

Eine weniger riskante Alternative zu weiteren Leistungskürzungen sind höhere Sparbeiträge. Steigende Löhne, die Zuwanderung neuer Versicherter und die Erhöhung der versicherten Löhne durch die Revision des Gesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) 2005 haben zwar zu steigenden Beitragsvolumen geführt. Doch die Beitragssätze sind seit Einführung des BVG-Obligatoriums 1985 unverändert geblieben. Eine Erhöhung könnte über die Reduktion der Risikobeiträge für Invaliditäts- und Todesfallversicherung zumindest teilweise ausgeglichen werden. Der Rückgang der Invaliditätskosten hat in den letzten Jahren ein erhebliches Sparpotenzial freigelegt.

Vorsicht bei Einkäufen. Die Versicherten selbst haben ebenfalls die Möglichkeit, mit höheren Beiträgen den drohenden Leistungskürzungen entgegenzuwirken. Bei gewissen Pensionskassen wie Novartis können sie bereits wählen, ob sie die standardmässigen Altersgutschriften um zwei Prozent erhöhen oder senken wollen. Üblicher sind jedoch Einkäufe. Solche zusätzlichen Beiträge haben zwei Effekte. Nebst der Erhöhung der künftigen Altersleistung kann das steuerbare Einkommen um die zusätzlichen Beiträge gesenkt werden. Dabei gibt es allerdings einige Einschränkungen zu beachten. Werden die Einkäufe drei Jahre vor der Pensionierung, auch der Frühpensionierung, getätigt, darf das Guthaben der Pensionskasse nur noch als Rente bezogen werden. Sodann ist vorgängig abzuklären, welchem Teil der Einkauf gutgeschrieben wird. Fliesst er ins überobligatorische Guthaben, kann daraus unter Umständen sogar ein Verlust resultieren. Gewährt die Pensionskasse nämlich nur einen durchschnittlichen Zins von beispielsweise einem Prozent, muss sie dennoch im obligatorischen Teil den Mindestzins von gegenwärtig zwei Prozent gutschreiben. Folglich fällt die Verzinsung im überobligatorischen Teil entsprechend tiefer aus. Je früher ein Einkauf stattfindet, desto geringer wird ausserdem der durchschnittliche jährliche Steuerspareffekt.

Neutralisierte Steuerspareffekte. Eine besondere Einkaufsmöglichkeit haben Gutverdienende bei Kaderlösungen, welche die freie Wahl der Anlagestrategie zulassen. Sie können beispielsweise eine sehr hohe Aktienquote wählen und Einkäufe tätigen. Sinkt der Deckungsgrad aufgrund von Börsenverlusten ab, muss die Stiftung dem Versicherten bei einem Stellenwechsel trotzdem die volle Freizügigkeitsleistung mitgeben. Lange dürfte dieses Schlupfloch nicht mehr bestehen bleiben.

Als Alternative zu Einkäufen in die Pensionskasse bietet sich die Säule 3a an. Die Beitragsgrenze, so viel steht schon fest, wird 2012 unverändert bleiben: 6682 Franken für Versicherte bei Pensionskassen und 33 408 Franken für Selbständigerwerbende. Weil die Beiträge vom steuerbaren Einkommen abziehbar sind, lohnt sich die Einzahlung ganz besonders, je näher die Auszahlung rückt. Diese ist frühestens fünf Jahre vor Erreichen des AHV-Alters möglich – selbst bei einer Frühpensionierung mit 58 Jahren. Die Auszahlung kann aber bis zum 70. Altersjahr aufgeschoben werden, wenn die Erwerbstätigkeit über die AHV-Altersgrenze hinaus fortgesetzt wird.

Bei der Wahl von 3a-Vorsorgeprodukten ist von solchen mit hoher Aktienquote abzuraten. Die steuerfreien Aktiengewinne werden durch die Steuerspareffekte der gebundenen Vorsorge weitgehend neutralisiert. Nicht empfehlenswert sind Lebensversicherungen. Bei vielen Anbietern wurde zwar der Sparprozess flexibler gestaltet, um veränderte Lebenssituationen mit höheren oder tieferen Sparbeiträgen zu berücksichtigen. Doch die Flexibilität fehlt bei der Auszahlung, etwa bei einer vorzeitigen Auflösung zur Tilgung einer Hypothek.

Hypotheken tilgen oder Wohneigentum erwerben, das ist auch mit Pensionskassenguthaben möglich. Die Verunsicherung über die Zukunft der beruflichen Vorsorge verleitet viele dazu, ihr Kapital aus der Pensionskasse abzuziehen und so die Wohnkosten zu verringern. Ab 50 darf jedoch nur noch das halbe Kapital oder das Guthaben, das mit 50 Jahren bestand, bezogen werden – je nachdem, welcher Betrag höher ist. Auf einen Vorbezug sollte verzichtet werden, wenn nur so das notwendige Eigenkapital von 20 Prozent des Kaufpreises erreicht werden kann. Zudem sollte die Tragbarkeit der Zins- und Wohnkosten auch ohne Einsatz der Altersvorsorge gewährleistet sein. Diese Regeln müssen ebenso bei einer indirekten Amortisation über die Verpfändung der gebundenen Vorsorge eingehalten werden.

Renditedruck. Gut durchgerechnet sollte der Vorbezug für die Rückzahlung einer Hypothek werden. Von den Zinskosten der Hypothekarschuld muss die Steuereinsparung abgezogen werden, die durch die Amortisation verloren geht. Bei einem Zinssatz von 2,5 Prozent und einer Steuerbelastung von 25 Prozent beträgt die Rendite durch die Einsparung somit nur 1,875 Prozent. Zudem muss der Vorbezug aus der Pensionskasse versteuert werden. Liegt die Verzinsung bei der Pensionskasse nicht massiv tiefer, lohnt sich ein Vorbezug für die Rückzahlung der Hypothek nicht. Zumal nicht nur auf den Zins, sondern auch auf den Zinseszinseffekt beim Pensionskassenkapital verzichtet wird und im Alter kaum noch die Möglichkeit besteht, bei Bedarf die Hypothek erneut zu erhöhen.

Bei vielen Kassen ist der Vorbezug nur bis drei Jahre vor der Pensionierung möglich. Sobald jedoch die Erwerbstätigkeit aufgegeben wird, kann statt einer Rente das Kapital bezogen werden. Wird das Guthaben in eine Leibrentenversicherung investiert, müssen zwar nur 40 Prozent statt der ganzen Rente als Einkommen versteuert werden. Doch die Steuereinsparungen vermögen die Leistungseinbussen gegenüber der Pensionskassenrente nicht zu kompensieren.

Wer sich für den Kapitalbezug entscheidet, sollte sein Geld so anlegen, dass er sich jedes Jahr bis an sein erwartetes Lebensende einen Betrag auszahlen lassen kann, der zumindest gleich hoch ausfällt wie die Pensionskassenrente nach Steuern. Rechnet die Pensionskasse mit einem technischen Zins von 3,5 Prozent, wäre somit nach Abzug einer Steuerbelastung von 25 Prozent eine Nettorendite von über 2,6 Prozent nötig, um die gleiche Leistung zu erreichen. Ausserdem zahlt die Pensionskasse die Rente über das erwartete Lebensende hinaus bis zum Tod und danach eine reduzierte Rente an überlebende registrierte oder eheliche Partner. Für Hotela-Chef Michael Bolt ist die Rechnung schnell gemacht: «Jeder Kapitalbezug entlastet unsere Pensionskasse vom Renditedruck.» Wenig überraschend haben trotz unsicheren Aussichten bei der beruflichen Vorsorge die Kapitalbezüge angesichts der turbulenten Finanzmärkte spürbar abgenommen, wie zahlreiche Pensionskassenverantwortliche feststellen.

Weitere Informationen: Fragen zu Vorsorge und Pensionskasse beantwortet der unabhängige Finanzexperte René Weibel im Expertenforum der BILANZ unter www.bilanz.ch/fragen-zur-vorsorge. Beim Beobachter-Verlag, der wie BILANZ zu Axel Springer gehört, ist der Ratgeber «Pensionskasse» erhältlich.