Normalerweise interessiert sich die Wall Street nicht besonders für Auto-Occasionen. Die hochbezahlten Bankerinnen und Börsen-Cracks im amerikanischen Finanzzentrum können sich locker teure neue Autos leisten.
Doch im Moment beschäftigen sie «used cars» sehr, beziehungsweise deren Preise: Die sind in den USA regelrecht explodiert und lassen so die Inflation in die Höhe schiessen. Auch darum dürften in den USA bald die Zinsen steigen.
Occasionen sind ein Inflationstreiber
In der Schweiz sind Occasionen ebenfalls teurer geworden, und auch hier treiben sie die Preise nach oben. Aber wir können die Füsse gleich zu Beginn vom Gaspedal nehmen. Es ist wie meistens, wenn man die USA mit der Schweiz vergleicht: Alles ist eine Nummer kleiner.
Immerhin: Die Preise für Auto-Occasionen haben sich um über fünf Prozent erhöht seit letztem Jahr (Juni 2020 bis Juni 2021) - und um über vier Prozent seit Januar. Die Karrossen sind dadurch zum fünftwichtigsten Treiber für die Schweizer Inflation geworden, nach den Mieten und den Energie- und Treibstoffpreisen. Was beachtlich ist, schliesslich machen Auto-Occasionen nur 1,3 Prozent des Landesindex' der Konsumentenpreise aus, des Barometers für die Schweizer Teuerung.
Und: Die Preise für Auto-Occasionen könnten weiter steigen.
Oldies auf Rädern: Plötzlich ein Verkaufsschlager
Wieso sind Gebrauchtwagen teurer geworden? Gleich mehrere Gründe machen Oldies auf vier Rädern zum Verkaufsschlager.
Zu Beginn der Pandemie letztes Jahr wollte fast niemand ein neues Auto kaufen. Ein Teil der neuen Wagen wird in der Regel schnell wieder verkauft - die fehlen nun. Zudem verkleinerten die grossen Autovermieter wie Avis, Sixt oder Europcar ihr Flotten. Normalerweise sondern sie ihre Mietfahrzeuge nach einigen Monaten als Occasionen aus - dies geschieht nun im kleineren Umfang als sonst.
Anfang Jahr kam ein weiterer Grund dazu. In der Weltwirtschaft fehlt es an Mikrochips, den kleinen Elektroteilen, die auch in Autos viele wichtige Funktionen steuern.
Weil Mercedes, Volkswagen und all die anderen grossen Autokonstrukteure zu wenige dieser Halbleiter haben, fahren sie ihre Produktion herunter, und auch in der Schweiz müssen Autokäuferinnen nun lange auf ihr neues Gefährt warten. Und wer keine Geduld hat, kauft sich jetzt vielleicht eine Occasion.
Kurzum: Die Nachfrage ist also höher als sonst.
Gleichzeitig ist aber auch das Angebot tiefer als gewohnt, denn wer verkauft schon sein Auto, wenn man oder frau kein neues bekommt?
«Der Markt ist ziemlich trocken»
Dass die Preise steigen ist die logische Folge. «Seit März beobachten wir steigende Preise. Sowohl der Neuwagen-, als auch der Occasionsmarkt sind ziemlich trocken», sagt Maurice Acker, National Sales Director von AutoScout24, dem meistbesuchten Schweizer Online-Markplatz für Fahrzeuge. Im Vergleich zu Anfang Jahr sind 10’000 weniger Gebrauchtwagen inseriert. «Da die Verfügbarkeit von Neuwagen stark eingeschränkt ist, sind besonders ein- bis dreijährige Autos mit weniger als 50’000 Kilometer und guter Ausstattung beliebt», erklärt Acker.
Auto-Occasionen könnten in nächster Zeit noch teurer werden: Das sagt René Mitteregger vom Datenanbieter auto-i-dat. «Wegen der Lieferschwierigkeiten werden derzeit viel weniger Neuwagen ausgeliefert, als eigentlich möglich wäre. Schätzungsweise 50’000 Neuwagen könnten in diesem Jahr fehlen, das entspricht fast 20 Prozent des Markts. Wenn sich die Lieferschwierigkeiten hinziehen, zeichnet sich eine Nachfragelücke ab, die auch die Preise für junge Occasionen in die Höhe treiben wird», so Mitteregger.
Hält der Engpass im Auto-Markt noch lange an? Der deutsche Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer beruhigt: 2022 sei die Chip-Krise noch nicht vorbei, aber die Lieferzeiten für Neuwagen dürften etwas kürzer werden. «Die Preise für Gebrauchtwagen werden sich folglich wieder beruhigen. Auf jeden Fall in 2022, vielleicht schon ab Herbst. Wer Geduld hat, gewinnt beim Gebrauchtwagenkauf», sagt der Leiter des CAR Center für Automotive Research in Duisburg.