Wie fragil die Psychologie der Märkte dieser Tage ist, hat der Zinsentscheid der US-Notenbank vom 7. November überdeutlich vor Augen geführt. Der überraschend erfolgte Beschluss von Alan Greenspan und seinen Kollegen im Direktorium der Federal Reserve, die amerikanischen Leitzinsen um einen halben Punkt auf 1,25 Prozent zu senken, löste im Börsenparkett kein Aufatmen aus, sondern provozierte weitere Abgaben. Verglichen mit dem, was bezüglich der Wirkung zinspolitischer Lockerungsübungen im Lehrbuch steht, war das Resultat der neuerlichen Geldverbilligungsrunde schlicht paradox. Tief verunsichert, wie viele Wirtschaftssubjekte momentan sind, liess der unerwartet grosse Zinsschritt sofort die Befürchtung aufkommen, um die US-Konjunktur stehe es doch schlechter als bisher angenommen.
Da nützte es auch nicht mehr viel, dass Greenspan in der Woche darauf die erlahmende Konsumlust der amerikanischen Haushalte vor dem US-Kongress als vorübergehende «Schwachstelle» bezeichnete und seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass die leichte «Erosion» im Konjunkturzyklus, wie sie gegenwärtig zu beobachten sei, in keinen länger anhaltenden Abschwung münden werde. Immerhin war der Fed-Vorsitzende so ehrlich und schloss die Möglichkeit nicht aus, dass sich die erwartete Wende zum Besseren auch als Chimäre entpuppen könnte. In diesem Sinne, erklärte der Veteran an der Spitze der amerikanischen Währungsbehörde bei seiner Anhörung vor dem Kongress, habe der vom Offenmarktausschuss einstimmig gefasste Beschluss, die Federal Funds Rate um 0,5 statt um 0,25 Prozentpunkte zu ermässigen, den Charakter einer «Versicherungsprämie».
Psychologisch betrachtet, hat die neuerliche Zinsreduktion die Wirtschaftsakteure eher verunsichert. Zwölfmal in Folge hat die US-Zentralbank die Leitzinsen in den letzten zwei Jahren bereits reduziert – von 6,5 auf aktuell 1,25 Prozent: Die Sorgen um die Robustheit der Nachfrage sind geblieben. Wenn es stimmt, dass die USA und mit ihr die gesamte Weltwirtschaft an den Folgen einer jahrelangen Überproduktion kranken, dann dürfte es mit der Wirksamkeit geldpolitischer Massnahmen ohnehin nicht allzu weit her sein. In Anlehnung an den oft und gern zitierten Ökonomenspruch «Man kann die Pferde wohl zur Tränke führen, aber saufen müssen sie schon selber» lässt sich mit einiger Gewissheit behaupten, dass die Politik des billigen Geldes so lange wirkungslos bleiben wird, als das Säbelrasseln der USA im Mittleren Osten anhält und somit Kriegs- und Terrorängste weltweit verbreitet sind.
Kaum dazu angetan, das Vertrauen des Publikums in den Zustand der Weltkonjunktur zu heben, sind Gedankenspiele, wie sie etwa der unlängst ins Fed-Direktorium aufgerückte Ben Bernake angestellt hat: Demnach verfügt die Washingtoner Währungsbehörde heute noch über 125 Basispunkte Senkungspotenzial und – falls es wider Erwarten zum Äussersten kommen sollte – über die Kompetenz, Staatsanleihen im Wert von zehn Billionen US-Dollar aufzukaufen, um zusätzliche Liquidität in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen und das System vor einem Kollaps zu bewahren.
Wie so etwas geht, wird momentan schon einmal von der japanische Notenbank vorexerziert. Diese philosophiert nicht nur über Eingriffe am Wertschriftenmarkt, sondern hat im September offiziell entschieden, maroden Geschäftsbanken dadurch unter die Arme zu greifen, dass sie ihnen Aktienpakete im Tausch gegen Bares abnimmt.
Alles deutet darauf hin, dass die westlichen Notenbanken die Gefahr einer krisenbedingten Liquiditätsverknappung nach wie vor wesentlich höher gewichten als allfällige Spätfolgen eines überdurchschnittlichen Geldmengenwachstums in Form steigender Inflationsraten. Das Ausmass der letzten Leitzinssenkung in den Vereinigten Staaten habe selbst ihn überrascht, bekannte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Wim Duisenberg. Trotz der unerwartet kräftigen Reduktion in Übersee kamen die Frankfurter Eurobanker der in Finanzkreisen gehegten Erwartung vorläufig noch nicht nach, ihrerseits an den Sätzen zu schrauben. Mit der Vorgabe aus Amerika ist indes die Wahrscheinlichkeit deutlich gestiegen, dass auch der EZB-Steuerungsausschuss anlässlich seiner nächsten Sitzung vom 5. Dezember handeln wird. Bis dahin verbleibt der Leitzins im Euroraum bei 3,25 Prozent.
Ihr Pulver schon weitgehend verschossen hat die Schweizerische Nationalbank (SNB). Seit der Zurücknahme des SNB-Zielbandes für den dreimonatigen Londoner Interbankensatz (Libor) auf aktuell 0,25 bis 1,25 Prozent ist der Spielraum nach unten äusserst beschränkt. Sollte der Schweizerfranken in den kommenden Monaten überdurchschnittlich gesucht sein, was angesichts der unsicheren geopolitischen Lage und des abbröckelnden Dollar-Glanzes nicht auszuschliessen ist, so bleibt der SNB bald nur noch das zweischneidige Instrument einer direkten Intervention am Devisenmarkt, verbunden mit einer entsprechenden Aufblähung der Geldmenge.

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