Dutzende meist kleinere Firmen aus der Blockchain-Branche haben sich in den letzten Monaten in der Schweiz niedergelassen. Nun steht ein prominenter Kandidat von ganz anderem Kaliber in den Startlöchern: Bitfinex, eine der weltgrössten Krypto-Börsen, will sich in der Schweiz niederlassen. Letzten Dezember, als der jüngste Boom im Handel mit Bitcoin, Ether & Co. auf den Höhepunkt zusteuerte, machte die asiatische Börse schon fast ähnlich viel Umsatz wie die London Stock Exchange.

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Der Chef von Bitfinex, Jean Louis van der Velde, bestätigt den Sachverhalt: «Wir suchen ein neues Domizil für Bitfinex und die Muttergesellschaft iFinex, an welchem wir die bisher auf mehrere Standorte verteilten Operations zusammenführen wollen.» Es kam bereits zu mehreren Treffen mit dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) und zu einem Austausch mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann, dem Vorsteher des Wirtschaftsdepartements.

Umsatz 110 Milliarden Dollar

In technologieaffinen Kreisen stösst das Ansiedlungsprojekt auf Resonanz. «Es wäre sensationell, wenn sich ein Akteur von dieser Grösse und Bedeutung für die Schweiz entscheiden sollte», sagt etwa Unternehmer und FDP-Ständerat Ruedi Noser. «Es würde zeigen, dass die Schweiz tatsächlich eine führende Stellung in der ganzen Blockchain-Branche einnehmen kann.» Auch Heinz Tännler, SVP-Regierungsrat des Kantons Zug, sagt: «Das wäre ein tolles Signal, wenn die Börse aus Gründen der Rechtssicherheit, der Compliance und der steuerlichen Situation die Schweiz wählen würde.»

Bitfinex hat sich in den letzten Jahren etabliert. Im Handel zwischen Dollar und den bekanntesten Kryptowährungen Bitcoin und Ether belegt sie Rang 1. Gemessen am Totalumsatz aller neuen digitalen Assets ist sie die fünftstärkste Krypto-Exchange der Welt. «Im aussergewöhnlich guten Monat Dezember 2017 machte Bitfinex einen Umsatz von rund 110 Milliarden Dollar», sagt der Bitfinex-Chef.

Transparenz als Chance

Falls sich die Pläne konkretisieren, soll Bitfinex in der Schweiz als AG angesiedelt werden und die bisherige iFinex auf den British Virgin Islands als Muttergesellschaft von Bitfinex ablösen, verlautet von mit der Angelegenheit vertrauten Ansiedlungs-Experten. Aus der Schweiz heraus würden sowohl die Rechts- und die Finanzabteilung operieren, aber auch die technische Betreuung und Weiterentwicklung der Börsenplattform hätten hier ihre Basis. Im Klartext: Der Kern der Firma soll in die Schweiz. Der gebürtige Holländer van der Velde wie auch andere Manager gedenken, sich ebenfalls hier niederzulassen.

In der Wild-West-Phase des Krypto-Booms hatte die eine oder andere Börse in den letzten Jahren mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Vieles war im unregulierten Umfeld für die Marktteilnehmer undurchsichtig, die Kommunikation der Unternehmen oft mangelhaft, es fehlte an Vertrauen. Bitfinex tritt nun offensichtlich die Flucht nach vorne an: «Wir wollen die transparenteste aller Börsen sein und adäquate Vorgaben des Schweizer Regulators erfüllen», sagt van der Velde. Die Rechtssicherheit in der Schweiz und die Transparenzvorschriften sind da gleichermassen Verpflichtung wie Chance.

Die Rolle der Finma

In trockenen Tüchern ist die Angelegenheit noch nicht. Das hängt mit den Herausforderungen zusammen, vor denen die Regulatoren und die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma stehen. Auch für sie ist die Krypto-Welt noch Neuland, und sie müssen unter erheblichem Zeitdruck beurteilen, wie die teilweise neuen Prozesse innerhalb des bestehenden Rechts zu bewerten sind und welche Lizenzen beispielsweise nötig sind. Gleichzeitig brauchen Firmen vom Kaliber einer Bitfinex Gewissheit und Planbarkeit, bevor sie ihre Zelte anderswo abbrechen und in die Schweiz ziehen. Für Bitfinex zählt Rechtssicherheit genauso wie für die Kunden. «Selbstverständlich soll die Finma genau hinschauen. Das hilft der ganzen Branche. Die Schweiz braucht eine gute Regulierung. Das ist auch im Sinne der Firmen. Deshalb kommen sie ja zu uns», sagt Noser. Wo in der Schweiz sich die Börse niederliesse, ist noch offen. Zug wäre eine Möglichkeit: «Es besteht beiderseitiges Interesse», so Tännler. Aber der Prozess habe erst angefangen, und vieles sei noch offen.

Parallel zur Schweiz prüft Bitfinex auch den Standort London als Alternative. Doch die Präferenzen scheinen klar: «Die Schweiz steht zuoberst auf der Liste der Jurisdiktionen, die wir prüfen», sagt van der Velde.

Für die Schweiz sprechen neben den bekannten Standortvorteilen auch das wachsende Ökosystem rund um das Crypto Valley und die Nähe zur ETH. Mit verschiedenen Schweizer Banken ist man für Kooperationen im Gespräch. Seit dem ersten Sondierungstreffen zwischen van der Velde und SIF-Staatssekretär Jörg Gasser sind Anwälte und Standortförderer an der Arbeit. Im Februar traf sich der Bitfinex-Chef schliesslich mit Bundesrat Schneider-Ammann in Bern. «Die Gespräche mit dem Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen und mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann waren sehr konstruktiv», so van der Velde.

Bitfinex im Branchentrend

In der Branche gilt Bitfinex als Börse mit solider Technologie und viel Know-How. Aber auch Bitfinex war wie andere Kryptobörsen in der Pionierphase gehackt worden und verlor so 2016 rund 72 Millionen Dollar. Den geschädigten Kunden legte Bitfinex damals im gleichen Betrag Schuldscheine ins Depot mit dem Versprechen, diese mit den Einnahmen aus dem laufenden Geschäft zurückzukaufen und so die Kunden zu entschädigen. Das gelang dank rapide zunehmender Handlungstätigkeit und damit steigenden Einnahmen durch Gebühren rascher als erwartet. Acht Monate nach dem Hack war die Rettungsaktion abgeschlossen.

Bitfinex ist nicht die einzige Börse, die ins regulierte Umfeld drängt und vollständig compliant werden will. Die US-Börse Bittrex dekotiert zum Beispiel in diesen Tagen Dutzende Coins, die von der US-Aufsicht als Wertschriften taxiert werden könnten. Der Pionier Poloniex wiederum liess sich kürzlich von der US-Firma Circle aufkaufen, welche direkt mit Goldman Sachs liiert ist. Auch das ist eine Möglichkeit, näher an die etablierte Finanzwelt heranzurücken. Die umsatzstärkste Exchange Binance wiederum lässt sich nun auf Malta und damit zumindest in der Einflusssphäre der Europäischen Union nieder.

Sogwirkung in Sicht

Das Buhlen um die Krypto-Börsen ist damit zwischen den Standortförderern voll entbrannt. Offenbar steht die Schweiz nicht nur bei Bitfinex hoch im Kurs. In den letzten drei Wochen sind im Crypto Valley um Zug gleich mehrere Sondierungsanfragen eingegangen. Darunter waren Börsen – zum Teil kleinere – aus Asien, Europa und Mittelamerika.

Aus diesem Grund hoffen viele Standortförderer auf den Google-Effekt: Sollte sich Bitfinex in der Schweiz niederlassen, dürfte das Signalwirkung haben und das noch junge Ökosystem weiter wachsen lassen. So wie einst der Zuzug von Google nach Zürich die Region auch für weitere Firmen attraktiver werden liess. «Bitfinex in der Schweiz – das könnte Sogwirkung haben», sagt Tännler.