Angesichts der Diskussionen um das Ende der aggressiven Zinserhöhungskurses der US-Notenbank Federal Reserve und der Wetten auf Zinssenkungen in den kommenden Monaten ist die Frage nach dem Inflationspfad wichtiger denn je.
Auf der einen Seite stehen Unternehmen wie Allianz Global Investors und TCW Group, die davon ausgehen, dass die Fed und andere Zentralbanken mit ihren Zinserhöhungen nicht locker lassen werden, selbst wenn dies bedeutet, dass sie ihre Volkswirtschaften in Schwierigkeiten bringen. Auf der anderen Seite stehen Firmen wie Black Rock und Double Line, die bezweifeln, dass die Notenbanker bereit sind, Millionen von Menschen in die Arbeitslosigkeit zu treiben, oder sagen, dass die Inflation länger hoch bleiben wird, als viele erwarten — was bedeutet, dass es zu früh ist, auf Zinssenkungen zu setzen.
Die Kluft zwischen den Anlegern, bei denen Billionen auf dem Spiel stehen, spiegelt wider, wie schwierig die Geldpolitik selbst geworden ist, zumal der Preisdruck — von den USA über Grossbritannien bis zum Euroraum — hartnäckig hoch bleibt und die Indikatoren für die Gesamt- und die Kerninflation gemischte Signale aussenden. Die richtige Prognose könnte der sicherste Weg sein, um nach einem sowohl für Anleihen als auch für Aktien schwierigen Jahr wieder Rendite einzufahren. Das ist eine Herausforderung nicht nur für die grössten Finanzunternehmen selbst, sondern auch für die Spezialisten, die dort arbeiten.
«Wir mussten hart arbeiten, eine Art Hausmeinung zu finden», sagte Greg Whiteley von Double Line, einer Firma, die rund 96 Milliarden Dollar (87 Milliarden Franken) verwaltet.
Am Ende kamen sie zu dem Schluss, dass «die Inflation tatsächlich hartnäckig sein wird», sagte er. Deshalb sei es falsch, sich auf Zinssenkungen der Fed in diesem Jahr einzustellen. Stattdessen wolle er auf höhere Renditen bei kurzfristigen Staatsanleihen setzen, die am empfindlichsten auf veränderte Erwartungen hinsichtlich der Fed-Politik reagieren.
Inflation weitläufig zurückgegangen
Die Gesamtinflation ist in den USA und in weiten Teilen Europas zurückgegangen, nachdem sie inmitten der Pandemie und des Krieges in der Ukraine in die Höhe geschnellt war. Grossbritannien verzeichnet jedoch immer noch zweistellige Zuwächse, und im Euroraum haben die Kerninflationsraten gerade ein Rekordhoch erreicht.
In den USA haben beide Seiten Grund zur Zuversicht. Die US-Notenbank lässt häufig die Lebensmittel- und Energiekosten unberücksichtigt, um längerfristige Trends zu ermitteln, und konzentriert sich dabei auf drei Hauptgruppen: Kerngüter, Wohndienstleistungen und andere Kerndienstleistungen. In der ersten Gruppe ist die Inflation stark zurückgegangen. In der zweiten Gruppe ist der Druck stark geblieben, aber es wird erwartet, dass er nachlässt.
Die dritte Gruppe ist unsicherer. Sie umfasst alles von der Gesundheitsversorgung bis zum Gastgewerbe - und hat sich nicht wesentlich abgeschwächt. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell hat sie als die vielleicht wichtigste Kategorie für die Inflationsaussichten bezeichnet.
Nach den Zinserhöhungen des vergangenen Jahres haben sich die Inflationserwartungen verankert und spiegeln das Vertrauen der Anleger in die Fed auf lange Sicht wider. Ein Mass, das die Erwartungen für die zweite Hälfte des nächsten Jahrzehnts bewertet, spiegelt eine jährliche Rate von etwa 2,2 Prozent für diesen Zeitraum wider. Dies entspricht in etwa dem 2-Prozent-Ziel der Fed.
Die Aufgabe der Anleger besteht nun darin, herauszufinden, wie viel Schmerz die Zentralbanken bereit sind, für das Erreichen ihrer Ziele zu verursachen, oder ob ein 2-Prozent-Ziel überhaupt noch sinnvoll ist. Das von der Fed bevorzugte Mass für die Inflation liegt immer noch mehr als doppelt so hoch.
Das Lager der Hartnäckigkeit
Bei Black Rock, einer der weltgrössten Vermögensverwalter, ist man der Ansicht, dass die Fed die Straffung der Geldpolitik beenden wird, wenn der Schaden für die Wirtschaft durch höhere Kreditkosten deutlicher wird. Die Strategen des Instituts sind der Ansicht, dass dieser Zeitpunkt kommen könnte, bevor eine Rezession schwer genug ist, um die Inflation vollständig zu zähmen. Das veranlasst sie dazu, inflationsgebundene Anleihen zu erwerben.
Diese Denkweise, zu der auch Hedgefonds zu gehören scheinen, die eine Rekord-Short-Wette auf 10-jährige Treasury-Futures eingegangen sind, sieht die Zinsen im Allgemeinen länger höher.
Sie lehnt die derzeitige Marktmeinung ab, wonach die Fed in der zweiten Jahreshälfte 2023 zu Zinssenkungen übergehen wird, und zwar nach mindestens einer weiteren Anhebung um einen Viertelpunkt, die wahrscheinlich nächste Woche erfolgen wird. Die Währungshüter ihrerseits gehen davon aus, dass die Zinssätze Ende 2023 bei etwa 5,1 Prozent liegen werden — also noch einmal erhöhen und das Niveau halten.
«Im Jahr 2022 hatte man das Gefühl, dass der Anleihemarkt zu früh eine Zinspause der Fed einpreist, und jetzt hat man das Gefühl, dass der Markt im Jahr 2023 zu früh Zinssenkungen einpreist», sagte Blerina Uruci, Chefvolkswirtin für die USA bei T. Rowe Price.
Lesen Sie auch
Das Lager der Abkühlung
Die andere Seite der Debatte sieht eine klare Abkühlung der Preise, während der wirtschaftliche Leidensdruck zunimmt.
«Wir sind fest davon überzeugt, dass die geldpolitische Straffung des letzten Jahres (die immer noch andauert) wahrscheinlich bald zu einem heftigen Schlag führen und bis zu einem Jahr lang schmerzen wird», schrieb Mike Riddell, der den 2,25 Milliarden Pfund (2,49 Milliarden Franken) schweren Allianz Strategic Bond Fund verwaltet, per E-Mail.
Wenn das Wachstum viel schwächer ausfällt als von den Märkten erwartet, «würde ich auf jeden Fall erwarten, dass die Inflation in den nächsten Jahren unter den Zielwert fällt», so Riddell. Angesichts des Risikos eines schweren Abschwungs weise der Fonds eine lange Core-Rate-Duration auf, ergänzte er.
TCW hingegen ist für ein Ergebnis positioniert, das mit den Wetten des Marktes auf den Kurs der Fed übereinstimmt.
«Das grössere Bild für uns ist, dass wir zwar nicht glauben, dass die Inflation schnell auf 2 Prozent sinken wird, aber der disinflationäre Trend ist vorhanden», meinte Steve Kane, Co-Chief Investment Officer bei TCW, das 205 Milliarden Dollar verwaltet.
Die Leute haben die Inflation lange Zeit falsch eingeschätzt.
Jonathan Gregory, Leiter Bereich UK Fixed Income, UBS Asset Management
Risiko einer Stagflation
Es gibt noch ein drittes Szenario zu bedenken. Anna Wong von Bloomberg Economics sieht nicht nur eine Rezession, sondern «wachsende Stagflationsrisiken für den Rest des Jahres». Dieses Umfeld könnte sowohl Anleihen als auch Aktien unter Druck setzen, da die Inflation bei schwächerem Wachstum immer noch hoch wäre.
Es läuft darauf hinaus, dass sich die Inflation jetzt genauso schwer vorhersagen lässt wie zu Zeiten des Preisanstiegs zu Beginn der Pandemie.
Im Juni beispielsweise sagten von Bloomberg befragte Ökonomen eine jährliche Rate von 5,1 Prozent für das letzte Quartal 2022 voraus. Die tatsächliche Rate lag bei 5,7 Prozent. Die Fed-Notenbanker schnitten nicht viel besser ab: Im Juni rechneten sie mit einer Gesamtinflation von 5,2 Prozent zum Jahresende, basierend auf dem Median ihrer Prognosen.
«Die Triebkräfte der Inflation sind so zahlreich und vielfältig: Es gibt sowohl Nachfrage- als auch Angebotsfaktoren, kurz- und langfristige Faktoren», so Jonathan Gregory, Leiter des Bereichs UK Fixed Income bei UBS Asset Management. «Die Leute haben die Inflation lange Zeit falsch eingeschätzt.»
(bloomberg/rul)