BILANZ: Herr Lutz, wir treffen uns in Mainz, Ihr Büro ist aber in Detroit. Sind Sie hier, um mit der deutschen Regierung über Staatshilfen für Opel zu sprechen?

Bob Lutz: Nein, ich bin für eine Sitzung des Opel-Aufsichtsrats gekommen.

Wie denken Sie als Aufsichtsrat über eine Staatsbürgschaft Deutschlands für Opel?

Dafür ist unser Europachef Carl-Peter Forster zuständig. Ich verantworte lediglich die weltweite Produktentwicklung, kann mir dazu also kein Urteil erlauben.

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Im dritten Quartal hat General Motors 7 Milliarden Dollar Cash verbraucht, im vierten Quartal sollen es 14 Milliarden werden. Atmet der Patient noch?

Über genaue Zahlen wollen wir nicht sprechen, wir kennen sie ja auch nicht, weil wir nicht wissen, wie viele Autos wir weltweit im vierten Quartal verkaufen werden. Aber eins muss man ganz klar sagen: Das Problem ist nicht – wie viele amerikanische Medien behaupten –, dass wir eine Firma seien, die nicht effizient ist, schlechte Autos baut oder sinkende Marktanteile hat.

Was wäre dann das Problem?

Dass in den USA seit dem Zusammenbruch am Hypothekenmarkt schlicht keine Liquidität vorhanden ist. Die Banken geben keine Darlehen, finanzieren nichts, und unsere Nachfrage ist um etwa 50 Prozent gesunken. Bei Einnahmen von minus 50 Prozent kann keine Automobilfirma der Welt überleben. Da kann man sparen, so viel man will, es ist nur eine Frage der Zeit. Das trifft die deutschen Luxusfabrikate genauso, und die chinesischen Hersteller waren ja bereits bei ihrer Regierung in Peking und haben um Hilfe gebeten. Es ist also kein isoliertes GM-Problem, sondern ein weltweites der ganzen Automobilindustrie.

Und das bedeutet?

Dass Cash-Prognosen derzeit unmöglich sind. Aber dass der Cash-Ausfluss beängstigend ist, das ist klar.

GM und Ford haben abgelehnt, unter Gläubigerschutz gemäss Chapter 11 zu flüchten, weil sie Vertrauensverlust bei den Kunden befürchten.

Es geht nicht nur darum. Man erklärt Chapter 11, wenn man ein im Grunde gesundes Geschäft hat – da hinkt nämlich der Vergleich mit den Fluglinien. Die hatten schöne Einnahmen und volle Flieger, aber zu hohe Kosten und Schulden, die zeitlich neu organisiert werden mussten. Dann erklärt man Chapter 11 – wenn das Kerngeschäft läuft, man aber gerade ein grosses Hindernis sieht, das man aus der Welt schaffen muss.

Im Fall von General Motors …

… sind die Einnahmen um 50 Prozent zurückgegangen. Da hilft Chapter 11 nichts – man kann nicht im Konkurs weiter Autos bauen, weil kein Geld reinkommt, mit dem man Zulieferer zahlen könnte.

Das klingt düster. Der Kongress in Washington hat Hilfen zunächst abgelehnt, jetzt an harte Bedingungen geknüpft.

Wir müssen eben weiterkämpfen. Sparen, Notmassnahmen einführen und zusehen, dass wir lebend ins nächste Jahr kommen, bis zur Amtsübernahme durch Barack Obama. Er hat des Öfteren erklärt, dass er die US-Autoindustrie für sehr wichtig hält und uns in dieser Krise unterstützen will.

Sie hoffen auf Hilfe durch Obama?

Man muss sich auf das verlassen, was er und seine engen Mitarbeiter sagen. Aber die Unterstützung kann nur eine momentane Hilfe sein. Vor allem muss das Geld wieder fliessen.

Welches Geld meinen Sie?

Für mich ist es eine von der Bush-Regierung nicht geklärte Frage, was aus den 700 Milliarden Dollar geworden ist, die man den Banken gegeben hat – die hätten die Liquidität wiederherstellen sollen. Aber die Banken leihen nichts aus, die Liquiditätskrise ist so gross wie eh und je. Die Leute können also nichts kaufen. Bis das gelöst ist, und das dauert vermutlich etwa ein Jahr, muss die Autoindustrie eine Liquiditätsspritze erhalten.

Die grössten Probleme haben ausgerechnet die Big Three: Ford, Chrysler und General Motors.

Ich höre jetzt manchmal Vorschläge, die Politik solle uns nicht unterstützen – wenn eine Firma untergehe, dann sei das eben Kapitalismus! Ich sage Ihnen: Würden wir vom Markt gehen, wären allein in den USA 14  000 Händlerbetriebe gefährdet und sämtliche Zulieferfirmen. Das käme einem Erdrutsch gleich.

Wie geht es mit den Big Three weiter?

Sie kennen ja die Gerüchte, dass wir in Gesprächen mit Chrysler waren. Ob in der Zukunft drei Konzerne bestehen können oder nicht, darüber kann man sich streiten. Ich meine, wenn wir diese Liquiditätskrise mal ausblenden, sind Ford und GM weltweit absolut konkurrenzfähig. Das zeigen unsere zweistelligen Wachstumsraten in Osteuropa und Lateinamerika, in China sind wir sowieso die Nummer eins.

Sie kennen die Kritik an Ihren Autos: zu gross, zu teuer, veraltete Technik, Spritfresser – deshalb wandern Kunden ab.

Das hat sich bei GM geändert. Wir bieten heute auf allen Kontinenten eine internationale Modellpalette an. In der Mittelklasse weist der Chevrolet Malibu einen tieferen Spritverbrauch auf als der Toyota Camry oder der Honda Accord. Das Auto in der sogenannten Astra-Klasse in den USA, das den besten Verbrauch im Überlandverkehr hat, ist der Chevy Cobalt. Der fährt 37,5 Meilen pro Gallone Sprit, weiter als Toyota Yaris, Honda Fit und so weiter.

Und qualitativ – können Ihre Modelle mit Europäern und Japanern konkurrieren?

Die US-Autoindustrie hat heute kein Qualitätsproblem mehr.

Tatsächlich?

Wenn Sie einen Chevrolet Malibu neben einen Mercedes, BMW oder Lexus stellen, und dann vergleichen wir Lack, Passungen, Spaltmasse, was Sie wollen, dann sehen wir keinen Unterschied in der Verarbeitung. Und schauen Sie sich mal unseren Sportwagen Corvette an. Super Fahrwerk, schneller als der Porsche 911, sparsam und bestens verarbeitet, und das alles zu einem Preis weit unterhalb des Porsche. Wir sind zu gut zum Sterben.

Aber die Produktpalette stimmt ja offensichtlich nicht.

Okay, warum also haben wir grosse Autos mit V8-Motoren gebaut, Trucks, SUV? Weil da die starke Nachfrage war. Wie oft hab ich in Washington mit Abgeordneten gesprochen. Die sagten mir, wir müssten unbedingt treibstoffarme Autos bauen. Ich antwortete: Machen wir gerne, aber Sie müssen dafür jährlich die Benzinsteuern erhöhen. Denn wenn das Benzin so billig bleibt, dann haben wir nicht die Mittel, Kunden in effiziente Fahrzeuge zu zwingen.

Wieso zwingen?

Wurde ich auch gefragt. Da hiess es: In Europa habt ihr doch die Fahrzeuge, die braucht ihr nur bei uns zu verkaufen. Da musste ich sagen: Die können wir in den USA nicht verkaufen. In Europa zahlen viele 30  000 Euro für einen sehr guten Opel Astra, VW Golf oder Ford Focus. In den USA bekommt der Kunde aber für 30  000 Dollar einen riesigen Chevy Tahoe, einen Achtplätzer mit V8-Motor und 400 PS. Da kauft er natürlich den.

Die Käufer wollen einen Grossen?

Fahren Sie mal im Westen der USA über Land, mit einer fünfköpfigen Familie, nachts, die Strassen sind nicht beleuchtet, und da laufen die Kojoten rum – ich verstehe die Menschen.

Und in den Innenstädten und Vororten der grossen Citys?

Es war eine Form von Prestige. Bei einem Mercedes V12 oder einem Lamborghini V12 zuckt keiner mit der Wimper. Wenn es aber ein Truck mit V8-Motor ist, dann ist es unverschämt.

Vielleicht, weil die Trucks so viel Sprit verbrennen.

Ein 12-Zylinder nicht? Ich habe den Politikern immer versucht zu erklären: Die Regierung schafft das Umfeld. Wenn Benzin 1.75 Dollar pro Gallone kostet, dann ist das heller Wahnsinn. Und ich sage Ihnen noch etwas: Wenn das Benzin in Europa genauso billig wäre wie in den USA, dann würden Sie sich wundern, wie schnell in Europa grosse Autos gekauft werden. Wir diktieren doch die Nachfrage nicht, wir erfüllen sie.

Konnten Sie das wachsende Interesse der Kunden an sparsamen Autos nicht voraussehen?

Den Vorwurf hab ich auch schon gehört. Aber die Treibstoffpreise stiegen praktisch über Nacht. Kein Volkswirt der Welt hat den plötzlichen Anstieg auf 147 Dollar pro Barrel Rohöl prognostiziert. Hätte das einer vorausgesagt, hätten wir die Truckproduktion sicher gedrosselt. Aber das kam mit einem Schlag.

Toyota hat in den USA viel Geld verdient. Dagegen haben
GM wie Ford 2006 und 2007 Verluste gemacht. Zu hohe Produktionskosten und Gehälter der Mitarbeiter, Überkapazitäten – für einen Grossteil der Probleme ist GM selbst verantwortlich.

Toyota produziert erst seit den achtziger Jahren in den USA. Die haben nicht die Belastungen extrem hoher Sozial- und Gesundheitskosten, die wir für unsere Pensionierten bezahlen. Und nochmals: Mit dem rasant steigenden Benzinpreis, der Immobilien- und Kreditkrise und dem folgenden Einbruch der Nachfrage konnte niemand rechnen. Das ist eine noch nie da gewesene Krise.

Und was kommt jetzt? Die Spritpreise fallen wieder.

Prozentual gehen die Trucks schon jetzt wieder rauf. Der Gesamtverkauf ist schwach, aber der Truckanteil ist wieder am Steigen. Unsere Strategie für die Zukunft basiert auf einer geringeren Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen und auf der Reduktion von Emissionen. Deshalb bringen wir den Volt, weitere Hybridmodelle und längerfristig auch Wasserstofffahrzeuge.

Sie haben mal gesagt, Sie könnten sich eine Fusion mit Ford gut vorstellen. Jetzt wäre doch die Zeit dafür.

Wer weiss, wie das Umfeld in 10, 15 Jahren sein wird. Ich schliesse nichts aus. Wenn sich in China weltumspannende Hersteller entwickeln, kann es sehr wohl zu einer weiteren Konsolidierung kommen. Dann müssen sich auch Deutschland, Frankreich und Japan fragen, wie viele Autofirmen sie sich leisten können.

Aber derzeit läuft nichts zwischen GM und Ford?

Nicht im Moment.

In Deutschland kursieren Forderungen, GM solle Opel verkaufen. Steht das zur Debatte?

Die Überlebenschancen von Opel ausserhalb des GM-Verbundes sind gleich null. Opel ist ein integraler Teil des Konzerns. Hier um die Ecke, in Rüsselsheim, steht das globale GM-Entwicklungszentrum für die Kompakt- und Mittelklasse, am Standort Opel, aber GM bringt die Arbeit hierher.

Warum sollte es Opel nicht allein schaffen?

Die kritische Grösse ist nicht da. Keine Autofirma vergleichbarer Grösse hat noch die Fähigkeit, eine komplette Modellpalette aufzustellen, bei gleichzeitiger Einhaltung der ausserordentlich strengen Sicherheits- und CO2-Grenzwerte, die einen enormen Entwicklungsaufwand erfordern. Die Idee, dass man Opel rauslösen kann, ist völlig utopisch.

Aber Sie sehen die deutschen Heimatschutzreflexe.

Psychologisch leicht zu verstehen, aber in der Praxis nicht durchführbar und zum Scheitern verurteilt.

Ford hat Jaguar und Land Rover verkauft, GM ihre Suzuki-Beteiligung abgestossen. Was könnten Sie noch verkaufen?

Dass Hummer zu verkaufen ist, haben wir bereits gesagt, für anderes wäre es zu früh. Man muss wissen: Die amerikanischen Marken können wir schlecht verkaufen, Entwicklung und Produktion sind total vernetzt. Zum Beispiel baut dasselbe Werk Buicks, Pontiacs und Chevrolets. Das wäre, als wollte man aus einer Omelette wieder einzelne Eier rausholen und die verkaufen – geht nicht. Eine Alternative ist, gewisse Marken zu schliessen.

Dafür käme wohl am ehesten Pontiac in Frage.

Möchte ich nicht kommentieren. Jedenfalls wollen wir das derzeit nicht ins Auge fassen, weil es mit sehr hohen Einmalkosten verbunden wäre. Man hat ja Verträge mit Händlern und Zulieferern. Pro Marke könnte das eine bis zwei Milliarden Dollar kosten.

GM ist jetzt an der Börse noch 1,5 Milliarden Dollar wert.

Unglaublich, oder? Wenn der Kurs noch weiter fällt und ich es mir leisten kann, dann kaufe ich GM selbst.

Der Markt scheint Sie abzuschreiben.

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sind in einer prekären Zeit. Und wenn die Politiker der Welt sich nicht auf ein weltweites wirtschaftliches Stimulierungspaket einigen, so nach der Devise: «Soll doch diese Firma kaputtgehen und jene, das ist nun mal der Kapitalismus», dann stürzen wir die Welt in eine Krise, dagegen wird 1929 wie ein gelindes Vorspiel wirken.

Welche Absatzchancen hat das Elektroauto Chevrolet Volt?

Hervorragende! Selbst wenn die Treibstoffpreise niedrig bleiben sollten – der Staat wird solche Fahrzeuge fördern: mit Prämien, Sonderspuren auf der Autobahn und anderen Dingen. Über die Nachfrage mache ich mir nicht die geringsten Gedanken.

Wann bringen Sie es auf den Markt?

Gegen Ende 2010. Weil wir erst intensiv die Batterien testen müssen, das geht nur im Dauerbetrieb.

Fliegen Sie noch Ihre beiden Kampfjets, Herr Lutz?

Klar. Inzwischen nicht mehr so oft (lacht).

Sie sind 76, arbeiten Vollzeit, reisen ständig. Wie kann man so fit bleiben?

Also erst mal gehe ich neuerdings, auf Ansporn meiner Frau, ins Fitnesscenter.

Sie haben jetzt angefangen zu trainieren?

Ja. Ich drücke das Eisen und bin auf dem stationären Fahrrad. Das Wichtigste ist aber, dass ich meine Eltern sorgfältig ausgewählt habe (lacht).

Gute Gene also?

Sie hätten meinen Vater sehen sollen, mit 80 oder 85. Der war topfit, ging jeden Tag ins Büro. Er ist im Alter von 94 gestorben.

Demnach müssten Sie 100 werden.

Ich arbeite darauf hin.

Und im Job machen Sie weiter?

Im Moment habe ich nur gebremste Freude an der Sache. Es wird hart. Aber es ist wichtig, dass man als Führungskraft einen realistischen Optimismus gegenüber der Mannschaft ausstrahlen kann. Dieser Optimismus treibt mich voran, und ich möchte noch viele Jahre arbeiten. Oder sagen wir mal: etliche.

Robert «Bob» Lutz, 76 Jahre alt, ist seit 2002 Entwicklungschef bei General Motors (GM) und neben CEO Rick Wagoner der wichtigste Mann im Konzern. In Zürich geboren, erwarb Lutz in den USA zwei Hochschulabschlüsse und stieg dann bei GM ein. Später arbeitete er bei BMW, Ford und Chrysler. Lutz liebt schnelle Autos, Motorräder und fliegt zwei ausrangierte Militärjets, treibt aber auch die Entwicklung des Elektroautos Volt voran.