Was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte?
Für die europäischen und britischen Märkte hat insbesondere das Hin und Her in Sachen «Brexit» seine Auswirkungen. In den USA hingegen liegt der Fokus auf Wirtschafts- und Inflationsdaten. Es gilt abzuschätzen, wie sich die US-Geldpolitik auf mittlere Frist entwickelt. Dies dürfte für die globalen Aktien- und Obligationenmärkte weitaus bedeutsamer sein, als die Art und Weise, wie Grossbritannien die EU verlässt – und wann dies zeitlich passiert. Auf Schweizer Titelebene zieht Novartis und der Spin-Off von Alcon die Aufmerksamkeit auf sich. Alcon wird per 9. April in den SMI aufgenommen. Wie viele heutige Novartis-Investoren an den ihnen zugewiesenen Alcon-Titeln langfristig festhalten, ist jedoch fraglich. Auch Roche bleibt im Fokus, verzögert sich doch die Milliardenübernahme der US-Biotechfirma Spark um mindestens drei Wochen.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Wir blicken seit Jahresbeginn auf eine fulminante Rally an den Finanzmärkten. Dies als markante Gegenbewegung zum schwachen Jahresabschluss 2018. Der Swiss Marktet Index SMI konnte in den ersten drei Monaten des Jahres über 1000 Punkte zulegen. Unter Berücksichtigung von Dividenden sprechen wir von einer Zunahme von +14,7 Prozent. Dies ist substanziell, zumal sich das globale Wirtschaftsumfeld gegenüber dem Vorjahr nicht signifikant besser darstellt, sondern Frühindikatoren eher auf eine wirtschaftliche Abkühlung hindeuten. Einen Teil der Börsen-Rally schreibe ich daher der Aussicht auf anhaltend tiefe Zinsen zu. Kurzfristig dürften die Börsen etwas an Fahrt einbüssen, was da und dort zu Gewinnmitnahmen führen kann. Dieser Zustand dürfte andauern, bis neue Fakten zum weiteren Verlauf der Wirtschaft und zu den Zinsen vorliegen.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz sind nach wie vor positiv. Davon sollten die Unternehmungen profitieren können. Auf Jahressicht gehe ich deshalb von einer leicht höheren Bewertung des SMI aus. Die vergangenen sechs Monate haben jedoch gezeigt, wie korrekturanfällig die Finanzmärkte geworden sind. Mit Argusaugen werden die Investoren die Aktivitäten der Notenbanken verfolgen. Entsprechend gross können die Auswirkungen von Neubeurteilungen sein. Die Entwicklung des SMI dürfte somit im Gleichschritt mit den anderen Aktienmärkten volatil bleiben.
Grossbritanniens Wirtschaft zahlt einen immer höheren Preis für das Brexit-Chaos. Wie wird das Ringen in der britischen Politik um das künftige Verhältnis mit der Europäischen Union ausgehen?
Die Unsicherheit zum künftigen Verhältnis zwischen Grossbritannien und der EU belastet primär die Wirtschaft Grossbritanniens, sekundär aber auch jene der EU. Beidseits des Ärmelkanals ist man sich dieser Tatsache bewusst. Aus innenpolitischen Gründen darf sich jedoch keine der beiden Parteien erlauben, als Verlierer vom Tisch zu gehen. Schlussendlich wird sich eine Lösung finden, welche es beiden Seiten erlaubt, das Gesicht zu wahren. Ob die zurzeit auf englischer Seite diskutierte Zollunion den erhofften Befreiungsschlag darstellt, wird sich weisen. Die konkrete Weichenstellung dürfte aus heutiger Sicht anlässlich des EU Gipfels vom 10. April erfolgen.
Der Internationale Währungsfonds warnt vor Risiken auf dem Schweizer Immobilienmarkt und ruft zu höheren Staatsausgaben auf. Hat die Washingtoner Institution die Schwachstellen in der Schweizer Wirtschaft richtig erkannt?
Der Schweizer Immobilienmarkt ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Dies macht sich durch erhöhte Leerstände in einzelnen Regionen bemerkbar. Kritisch präsentiert sich die Situation für die Volkswirtschaft als Ganzes jedoch nicht. Der einzelne Investor sollte jedoch sorgsam abwägen, ob sich Zukäufe auf aktuellem Niveau für ihn noch rechnen. Eine Erhöhung der Staatsausgaben erachte ich im gegenwärtigen Umfeld als nicht zielführend. Die Wirtschaft läuft gut, die Arbeitslosigkeit ist tief und die Infrastruktur ist im internationalen Vergleich überdurchschnittlich. Da beim aktuellen Zinsniveau wenig Handlungsspielraum für geldpolitische Stimulierungsmassnahmen besteht, sollte die Staatsverschuldung weiterhin tief gehalten werden, was die fiskalpolitische Handlungsfreiheit im Krisenfall erhöht.
Smartphone-Banken wie N24 und Revolut möchten auch hierzulande Finanzdienstleistungen anbieten. Werden die Internetunternehmen zu ernsthaften Konkurrenten für die Schweizer Banken?
Bereits 1994 sagte Microsoft Gründer Bill Gates «Banking is necessary, but banks are not». Damit verwies er auf Konkurrenz von ausserhalb der Finanzindustrie. Dies war wohlgemerkt vor 25 Jahren. Ich bin überzeugt, dass einzelne Finanzdienstleistungen ganz oder teilweise den traditionellen Banken verloren gehen. So besteht beispielsweise im Zahlungsverkehr oder im Börsenhandel Potenzial für Internetunternehmen. Je komplexer und beratungsintensiver sich jedoch eine Finanzdienstleistung präsentiert, desto weniger wettbewerbsfähig sind auf die Masse ausgerichtete Onlinelösungen.
Immer mehr Anleger interessieren sich für den Klimaschutz. Was stehen ihnen für Möglichkeiten offen, um mit ihrem Geld der Erderwärmung entgegenzuwirken?
Nachhaltigkeit ist derzeit ein wichtiges Thema beim Anlegen und viele Finanzinstitute bieten Anlagefonds an, welche Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Hierbei gilt es jedoch genauer hinzuschauen: Wie wird Nachhaltigkeit definiert, wie funktioniert der Anlageprozess und wie hoch sind die Kosten? Weiter können sogenannte «Green Bonds» für klimabewusste Investoren eine Option darstellen. Mit solchen Anleihen können Staaten oder Unternehmen Gelder aufnehmen, welche sie explizit für klimafreundliche Projekte einsetzen. Schliesslich sind themenbezogene Investitionen in «klimafreundliche» Sektoren wie E-Mobility oder erneuerbare Energien denkbar. Investoren sollten sich aber im Klaren sein, dass der Faktor «Nachhaltigkeit» traditionelle Anlagerisiken nicht ausschaltet und bei themenbezogenen Investitionen immer die Gefahr besteht, auf einen Hype aufzuspringen oder auf Unternehmen zu setzen, welche sich am Markt längerfristig nicht durchsetzen.