Das Spiel ist aus. Alle Staaten gehen Bankrott.» Die beiden Sätze könnten erst kürzlich geschrieben worden sein, sind aber schon rund dreissig Jahre alt. Sie stammen aus einem Buch, das 1982 unter dem Titel «Wann kommt der Staatsbankrott?» erschien, einem damals viel beachteten Druckwerk, das eine Auflage von 80 000 Exemplaren erreichte. Der populärwissenschaftliche Autor Paul C. Martin riet zu Goldanlagen und hohen Bargeldbeständen. Aktien hielt er für keine gute Wahl.
Dumm gelaufen: Denn die zwei Jahrzehnte nach Erscheinen des Buches gehören zum Besten, was die Börsen je erlebt haben, auch in der Schweiz: Wer im Jahr 1982 einen Betrag von 100 000 Franken in Schweizer Aktien investierte, konnte sein Vermögen bis zum Jahr 2000 auf 1,5 Millionen Franken wachsen sehen, wie die Genfer Privatbankiers von Pictet in einer Studie darlegen.
Mut zu Aktien
Im Nachhinein ist man immer klüger. Im Jahr 1982 in Aktien zu investieren, erforderte viel Mut. Schulden, hohe Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsflaute und Geldentwertung plagten die Menschen. Der Geschäftsbericht der Schweizerischen Nationalbank (SNB) von 1983 hält fest, dass eine stagnierende Wirtschaft, steigende Arbeitslosigkeit sowie eine Verdüsterung der internationalen Finanzszene dominierende Kennzeichen des Jahres 1982 gewesen seien. Die Arbeitslosenrate in den USA lag bei 9,7 Prozent – etwa gleich hoch wie heute.
Vor diesem Hintergrund in Aktien zu investieren, kam damals den meisten Anlegern nicht im Traum in den Sinn. Vor allem auch, weil die Börse seit 1962 am Stottern war. Um mit Aktien wieder auf das Niveau von 1961 zu kommen, dauerte es real gerechnet bis zum Jahr 1985, wie Daten von Pictet zeigen.
In der langen Baissephase entfremdete sich fast eine ganze Generation von den Dividendenpapieren. Im Jahr 1979 proklamierte das renommierte Magazin «Businessweek» gar den Tod der Aktie auf dem Titelblatt. Im Artikel wurde nicht nur argumentiert, dass nur noch die ältere Generation bei ihren Anlagen überhaupt an Aktien als Anlagen denke, sondern auch, dass die Inflation den Aktienmarkt töten werde. Tatsächlich lag diese damals unglaublich hoch, war in den USA zeitweise im zweistelligen Prozentbereich, während US-Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 20 Jahren mit 15 Prozent pro Jahr rentierten – heute noch mit rund 2 Prozent.
Ab 1982 begannen die Aktienkurse aber wieder zu steigen. Sieben Prozent waren es real gerechnet im Jahr 1982, 24 Prozent ein Jahr später und immerhin noch zwei Prozent 1984. Auch 1985 stiegen die Aktienkurse bis Juli noch einmal. Anleger, die noch nicht in den fahrenden Börsenzug gestiegen waren, fragten sich, ob es dafür nicht schon zu spät sei. Der «Tages-Anzeiger» kommentierte im Juli 1985: «Die internationale Schuldenkrise ist alles andere als bereinigt.» Dieser Satz würde auch heute zutreffen.
Anleger, die im Juli 1985 trotz allen Bedenken investierten, haben aber ein Vermögen verdient: Das Jahr 1985 war das beste für Schweizer Aktien überhaupt: 56 Prozent gewannen sie real, also nach Abzug der Inflation. Wer weiter dabeiblieb, konnte sein Vermögen bis ins Jahr 2000 real gerechnet verviereinhalbfachen.
Für die heutige Zeit lassen sich aus der Geschichte folgende positiven Schlussfolgerungen für Aktien ziehen: Auch wenn die Welt am Abgrund zu stehen scheint, können Dividendenpapiere zu einer Hausse ansetzen. Die Tatsache, dass das vergangene Börsenjahr schon sehr gut war und das laufende bisher mit zweistelligen Renditen aufwartet, bedeutet nicht, dass es zu spät ist und die Aktienkurse nun fallen werden. Sie können im Gegenteil noch viel höher klettern.
Ein Beweis dafür, dass die Dividendenpapiere jetzt noch weiter steigen müssten, lässt sich zwar aus der Vergangenheit nicht ableiten. Doch ist es erstaunlich, dass es immer wieder 15 bis 20 Jahre dauernde Stagnations- respektive Hausse-Perioden gab (siehe Grafik unter 'Downloads'). Diese wechselnden Perioden dürften mit der menschlichen Psyche zusammenhängen, die zu Unter- und Übertreibungen neigt.
Neue Hausse
Falls sich die Perioden in Zukunft in ähnlicher Dauer fortsetzen, ist ab dem Jahr 2015 womöglich eine neue langfristige Hausse zu erwarten (siehe Grafik «Alter Bär» unter 'Downloads'). Das liesse darauf schliessen, dass heute aus der Langfristperspektive bereits ein relativ guter Einstiegszeitpunkt gekommen wäre. Ob noch ein besserer Zeitpunkt komme, sei fraglich, meint Finanzprofessor Erwin Heri (siehe «Jung und skeptisch»).
Den besten Einstiegszeitpunkt vorherzusagen, ist schwierig. Deshalb empfiehlt sich Privatanlegern, regelbasiert Aktien zu kaufen, etwa viertel- oder halbjährlich. Das nimmt dem Einstiegszeitpunkt seine Gravität und führt in den meisten Fällen zu besseren langfristigen Anlageergebnissen.
Anleger, die trotzdem eine Orientierung für Ein- und Ausstiegszeitpunkte suchen, könnten dazu einen gleitenden Durchschnitt nutzen (siehe Box «Einfach investieren» auf Seite 88). Damit liessen sich längerfristige Trends nach oben und unten in den vergangenen zehn Jahren relativ gut identifizieren. Derzeit animiert der gleitende Durchschnitt über 210 Tage nicht zum Verkaufen, doch das letzte Einstiegssignal ist schon eine Weile her, von Ende Juni 2012 (siehe Grafik «Trends erkennen» auf Seite 88). Das stärkste Argument, das derzeit für Aktien spricht, ist der Mangel an Anlagealternativen. Schweizer Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit rentieren noch mit rund 0,6 Prozent, und auf den meisten Sparkonten sind die Zinssätze noch tiefer: Gemäss dem Vergleichsdienst Comparis bietet PostFinance 0,5 Prozent, Migros Bank 0,25 Prozent, Credit Suisse 0,15 Prozent und UBS nur 0,1 Prozent. Im Vergleich dazu ist die durchschnittliche Dividendenrendite der Aktien im Schweizer Leitindex SMI mit 3,2 Prozent sehr hoch. Erstmals seit über 40 Jahren ist die Dividendenrendite auch in den USA wieder höher als die Rendite von US-Staatsanleihen (siehe «Stärkstes Argument für Aktien» unter 'Downloads').
Das dürfte dazu führen, dass mittelfristig Geld von Sparkonten und aus den Obligationen in die Aktienmärkte fliesst. Nicht sprunghaft, aber wenn Anleihen derzeit auslaufen, dann dürften sich Anleger bei der Wiederanlage der Gelder öfter für Aktien mit deutlich höheren Dividendenrenditen entscheiden als für Obligationen mit tiefen Coupons.
Davon überzeugt ist unter anderen Thomas Della Casa, Anlagechef der Neuen Helvetischen Bank. Er sieht als Argument für Aktien auch, dass einzelne Titel, wie etwas Bucher Industries, heute tiefer bewertet sind als noch vor drei Jahren. «Zudem wächst die Weltwirtschaft. Nicht in Europa, aber in den USA, in Lateinamerika und in Asien», argumentiert Della Casa.
Insgesamt herrscht aber keine euphorische Stimmung. Eine Korrektur erwarten inzwischen immer mehr Banken. Dazu zählen neben der Zürcher Kantonalbank auch die Bank Sarasin und die Hyposwiss. Die düstersten Prognosen sehen den SMI unter 7000 Punkte fallen – von heute rund 7700.
Die Bedenken überwiegen derzeit, wie es auch in den Jahren 1982 oder 1985 der Fall war. In Aktien zu investieren, braucht also Mut, und das ist meist ein gutes Zeichen. Denn Aktien sollten Anleger nicht kaufen, wenn alle sie wollen, dann ist der Zeitpunkt zum Verkaufen gekommen. Wer es jetzt trotz pessimistischen Stimmen wagt, könnte langfristig profitieren und in zwei Jahrzehnten ein Vermögen verdienen. Wie dies in den Jahren zwischen 1981 und 2000 oder sogar in den letzten 20 Jahren möglich war (siehe «Reich mit Apple und Richemont» unter 'Downloads').
Leuchtende Zukunft
Um zu versuchen, langfristige Entwicklungen an den Börsen abzuschätzen, lohnt es sich vielleicht sogar, auf Modetrends zu achten. Deren Macher müssen in ihren Kollektionen kollektive Stimmungsbilder auffangen, die auch die Börse stark beeinflussen. Diesbezüglich ist der Rocklänge-Indikator bekannt. Er sagt aus, dass die Börsen umso besser laufen, je kürzer die Röcke werden. Trendscouts, die in London waren, sprechen derzeit von Röcken in der Länge von breiteren Gürteln, die reissenden Absatz fänden.
Ein anderer Indikator könnten die Modefarben sein. In jüngster Zeit scheinen die Leuchtfarben ein Comeback zu feiern, die schon in den achtziger Jahren trendy waren. Mal schauen, wie viele farbenfrohe Hosen wir diesen Sommer zu sehen bekommen.