Kaum eine Anlagekategorie hat in den letzten fünf Jahren die Gemüter stärker erhitzt als die strukturierten Produkte. Höhen und Tiefen prägten ihre Geschichte: So setzte der Konkurs von Lehman Brothers, einem bis dahin führenden Anbeiter von strukturierten Produkten, im September 2008 der jahrelangen Erfolgsstory vorerst ein jähes Ende. Nach einer Phase der Abstrafung hat sich die Situation am Schweizer Markt aber zu normalisieren begonnen. Dazu haben vor allem die Erholung an den Aktienmärkten beigetragen wie auch die von der Industrie eingeleiteten Schritte zur Transparenzverbesserung. Gleichzeitig ist die Kritik an strukturierten Produkten sachlicher geworden. Um die Diskussionen über den Nutzen von Bonuszertifikaten, Reverse Convertibles und anderer «Strukis» einzuordnen, ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich.
Der steile Aufstieg der strukturierten Produkte ging Hand in Hand mit dem Börsenboom zwischen 2005 und 2007. In der damals herrschenden Euphorie avancierten sie zu den Lieblingen der Investoren. Die Anlageklasse, die mit innovativen Produkten glänzte, entwickelte sich in der Wahrnehmung zur «eierlegenden Wollmilchsau». Im florierenden Markt galt das Motto «Schneller, höher, weiter», die Emittenten übertrafen sich im Kampf um Marktanteile mit immer komplexeren Strukturen. Jede Anlageklasse und jedes Thema wurde bedient – dies sollte sich rächen.
Im Zug der Finanzkrise schlug das Pendel nämlich zurück: Die Kritik der frustrierten Anleger konzentrierte sich einerseits auf den Mangel an Transparenz diverser Produkte und andererseits – als Folge des Kollapses der Investmentbank Lehman Brothers – auf das Emittentenrisiko. «Beim Anlageentscheid werden künftig Produktekonditionen und Schuldnerrisiko gleichermassen gewichtet», ist sich Claudio Topatigh, Spezialist für strukturierte Produkte bei der Zürcher Kantonalbank, sicher.
Der Markt bewegt sich inzwischen in einem transparenteren und rationaleren Umfeld. «Strukturierte Produkte sind nicht Alleskönner», sagt Christian Reuss, CEO der Derivatebörse Scoach (siehe Interview auf Seite 12). Er fügt aber an, sie hätten «aufgrund ihrer unbestrittenen Qualitäten» durchaus eine Daseinsberechtigung. Diese Erkenntnis hat sich auch bei den Anlegern durchgesetzt: Die Handelsumsätze an der Scoach lagen in den ersten sechs Monaten 2010 durchschnittlich um fast ein Fünftel über den Vorjahreswerten. Und in Schweizer Bankdepots waren per Ende Juni gemäss der Schweizerischen Nationalbank 208,8 Milliarden Franken in strukturierten Produkten angelegt – ein Plus von einem Prozent gegenüber dem Jahresanfang.
Transparenz erhöht. Dass sich der Markt stabilisiert hat, ist auch ein Verdienst wichtiger Branchenexponenten. So haben die Derivatebörse Scoach und der Schweizerische Verband für Strukturierte Produkte (SVSP) auf berechtigte Vorwürfe reagiert und die Rahmenbedingungen für Investoren mit einer Reihe von Massnahmen verbessert. Begrüsst wird diese Aufklärungsoffensive auch vom Bankenombudsmann Hanspeter Häni: «Die Industrie hat grosse Anstrengungen unternommen, die Transparenz zu verbessern. Insbesondere die Aufteilung der Anlagevehikel in verschiedene Produkte- und Risikoklassen erachte ich als Hilfe für Investoren.» Voraussetzung sei natürlich, dass diese schon über das notwendige Basiswissen verfügten.
Häni spricht damit etwa die Swiss Derivative Map an. Einen weiteren wichtigen Schritt machte die Branche mit der Lancierung pfandbesicherter Zertifikate, sogenannter Collateral Secured Instruments (COSI, siehe Glossar). Auch im Bereich der Marktpflege gibt es Fortschritte. Investoren finden auf der Website von Scoach seit März 2009 börsentäglich für jedes Produkt Angaben über Liquidität und Verfügbarkeit. Basierend auf den von der Börse ermittelten Kennzahlen berechnet das Beratungsunternehmen Derivative Partners (DP) die DP-Liquiditätskennzahl für jedes kotierte Produkt.
Diese dient als Grundlage für den Payoff Market Making Index (PMMI), der die Qualität der Marktpflege durch die Emittenten im Sekundärmarkt misst: Dabei wird überprüft, ob in einem Produkt die Geld- und Briefkurse jederzeit ein ausreichendes Volumen innerhalb eines maximal zulässigen Spreads aufweisen, sodass eine ausreichende Marktliquidität gewährleistet ist. Für die derzeit über 20 im Vergleich erfassten Anbieter muss es ein Ansporn sein, der Marktpflege ein besonderes Augenmerk zu widmen. Eine konstant gute Rangierung im PMMI dürfte Wettbewerbsvorteile bringen.
Bei den Investoren soll die erhöhte Transparenz verloren gegangenes Vertrauen wieder aufbauen. «Die Art und Weise, wie Anleger während der Finanzkrise vor allem im Sekundärhandel alleine gelassen wurden, hat viel Vertrauen zerstört und der Industrie als Ganzes geschadet», gesteht Michael Hartweg, COO und Partner bei EFG Financial Products.
Eine weitere wünschenswerte Verbesserung lässt noch auf sich warten: eine einheitliche Begrifflichkeit für Produkte mit gleichen Ausstattungsmerkmalen. Dass es den Banken wegen divergierender Marketingstrategien nicht gelingt, sich auf eine kundenfreundliche und transparentere Praxis zu einigen, bleibt ein Ärgernis im Segment der strukturierten Produkte.
Anteil steigern. Führende Emittenten strukturierter Produkte geben sich überzeugt, mit einer nachhaltigen, kundenorientierten Strategie sowohl die Attraktivität ihrer Produkte wie den Anteil der Derivate in den Kundenportfolios steigern zu können. Zurzeit sind rund fünf Prozent der Gelder in Schweizer Bankdepots in strukturierten Produkten angelegt.
Von besonderem Interesse für die Anbieter sind die institutionellen Anleger, die mit einem Anteil von knapp 57 Prozent die grösste Kundengruppe stellen. Vor allem auf diese Klientel zielt die Strategie, mit ausgeklügelten Derivate-Handelsplattformen den Trend zum sogenannten selbständigen Investor zu verstärken. Es sind gerade wichtige Anbieter wie Vontobel (mit dem Finanzportal Derinet), UBS (mit Equity Investor Marketplace) oder EFG Financial Products (mit Constructor), welche die Automatisierung der Derivatebranche vorantreiben. Die internetbasierten Anwendungen ermöglichen es kundigen Investoren, unter Anleitung eines Kundenberaters selber Produkte zu strukturieren, zu berechnen und teilweise auch zu handeln. Ob solche Produkte auch an der Börse gelistet werden, entscheidet letztlich der Kunde. «Grundsätzlich raten wir dem Kunden, das neue Produkt an der Börse zu listen», sagt Michael Hartweg von EFG. Eine Kotierung gewährleiste eine neutrale Handelsüberwachung.
Dass der reife Schweizer Markt für strukturierte Produkte trotz hartem Wettbewerb für Emittenten attraktiv bleibt, zeigt der Markteintritt neuer Anbieter wie Commerzbank oder Barclays Capital in diesem Jahr. Ob sie sich im weltweit grössten Markt nachhaltig zu etablieren vermögen, muss sich erst weisen. Eine entscheidende Bedeutung wird der Qualität des Beratungsprozesses zufallen: Vor allem Privatanleger sind auf eine umfassende Betreuung angewiesen. Chancen und Risiken müssen klar kommuniziert werden, und das Produkt muss zur Anlagestrategie des Kunden passen. Eine zentrale Rolle fällt der Schulung der Kundenberater zu.Die Banken müssen die Devise verinnerlichen, dass nicht das Produkt mit der höchsten Marge, sondern das für den Anleger passende bei der Beratung im Fokus zu stehen hat. Gefragt ist aber auch die Eigenverantwortung des Anlegers. Für ihn gilt die Devise: Wer ein Produkt nicht versteht, sollte die Finger davon lassen.
In Bezug auf das künftige Anlegerverhalten bleibt entscheidend, wie sich das globale Wirtschaftsumfeld entwickelt. Insbesondere in den USA droht der gefürchtete Double Dip, ein nochmaliges Abgleiten in eine Rezession. Dies dürfte den Risikoappetit der Investoren beschränken. Auf der anderen Seite treibt das Tiefzinsumfeld sie dazu, nach Anlagen mit höheren Renditen Ausschau zu halten. «Die Mischung aus Rendite und kontrolliertem, niedrigem Risiko bleibt aktuell», sagt ZKB-Spezialist Topatigh. Er verweist auf Renditeoptimierungsprodukte mit tiefer Barriere, die eine interessante Rendite offerieren und zudem von einem Anstieg der kurzfristigen Zinsen, etwa auf der Basis des Libor, profitieren.
Auch (Multi) Barrier Reverse Convertibles, die Lieblingsprodukte der Anleger im Schweizer Markt, dürften gefragt bleiben. Mit ihnen lassen sich auch in seitwärts tendierenden oder leicht fallenden Märkten attraktive Renditen erzielen; die Ausstattung mit garantiertem Zins scheint zudem auf die hiesigen Anlegerbedürfnisse zugeschnitten zu sein. In der klassischen Version zahlen solche Produkte einen garantierten Coupon, und der Anleger erhält bei Verfall das Kapital zurück, wenn der zugrunde liegende Titel nicht unter den Barrierelevel gefallen ist. Sonst wird die Aktie geliefert. Bei Multi-Barrier-Produkten wird bei einer Unterschreitung der Barriere der Titel mit der schlechtesten Entwicklung angedient.
«Perfektes Umfeld». Eine anhaltend hohe Nachfrage erwarten die Spezialisten der UBS für Produkte aus dem Segment der Schwellenländer: Hier dürften neben Aktien Staatsanleihen und Währungen im Fokus stehen. Dem Schweizer Aktienmarkt gibt die Grossbank auf die Dauer von zwölf Monaten ein Kurspotenzial von sechs bis zehn Prozent, wobei sie kurzfristig mit Rückschlägen und einer erhöhten Volatilität rechnet: Dies sei «das perfekte Umfeld für strukturierte Produkte», urteilt die UBS.