«Bitte, Vater, lass doch die Zukunft noch schlafen, wie sie es verdient. Wenn man
sie nämlich vorzeitig weckt, bekommt man dann eine verschlafene Gegenwart.» Franz Kafkas Furcht, die Zukunft könne, wenn sie einmal Gegenwart wird, unausgeruht sein, falls die Menschen sie vorwegnehmen, diese Furcht befällt jeden Menschen, dem die gegenwärtige Beschleunigung das menschliche Mass zu sprengen scheint.
Das Kafka-Zitat stammt aus Karlheinz Geisslers Buch mit dem paradoxen Titel «Wart’ mal schnell». Das Buch steckt überhaupt voller Paradoxien, und das hängt mit seinem Gegenstand zusammen. Denn die Zeit gibt es eigentlich nicht, sondern nur den Takt, mit dem wir unser Leben in Stücke zerhacken. «Zeit» ist neben «Mama» das am häufigsten gebrauchte Substantiv in deutscher Sprache. Wir sprechen ständig von etwas, das es nicht gibt. Und da wir dieses Paradox nicht aushalten, haben wir zum Beispiel die Umstellung von der Sommer- auf die Winterzeit mitten in die Nacht gelegt. Denn so verschlafen wir den Horror, dass eine Stunde verstreicht, ohne dass etwas geschieht.
Dabei wäre es doch, so vermutet Geissler, der heimliche Wunsch der meisten Menschen, einmal zu erleben, dass nichts geschieht, dass die Tagesschau 364-mal die Ausgabe vom 1. Januar wiederholt. Vielleicht haben wir davor aber auch Angst, denn es wäre wie nach unserem Tod – dann geschieht während einer ganzen Ewigkeit nichts. «Ein bisschen», meint Karlheinz Geissler, «würde man schon gerne wissen, wie das dann ist.»
Karlheinz A. Geissler
Wart’ mal schnell
Hirzel Verlag, Stuttgart,
272 Seiten, Fr. 38.40