BILANZ: Daniel Borel, mit dem IPO der Internetsuchmaschine Google erlebt die Finanzwelt den Börsengang des Jahrzehnts. Haben Sie auch Aktien gezeichnet?

Daniel Borel: Nein, weil mein Sohn als Softwareentwickler bei Google arbeitet.

Dann bekommt Ihr Sohn Mitarbeiteraktien.

Genau.

Und dann haben Sie bald noch einen Millionär in der Familie!

Wenn alles gut geht, kann er dann meine Alterversorgung übernehmen, ja (lacht).

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Hätten Sie die Aktien gezeichnet, wenn Ihr Sohn nicht dort arbeiten würde?

Ich habe nie irgendwelche Aktien gekauft. Ich spekuliere nicht an der Börse, das ist nicht meine Art. Und ich brauche es, Gott sei Dank, auch nicht zu tun, um davon leben zu können. Ich habe jemanden, der mein Portfolio verwaltet, und der hat freie Hand.

Sie sind nicht nur über Ihren Sohn mit Google verbunden. Logitech hatte einst ihre ersten Büros im gleichen Gebäude wie Google.

165, University Avenue in Palo Alto, das stimmt! Danach entstand dort auch noch die Firma PayPal, die später für viel Geld von Ebay gekauft wurde. Aber wir waren die Ersten, wir haben das Gebäude entdeckt.

Zur Person
Daniel Borel


Daniel Borel (54) gründete 1981 zusammen mit zwei Studienkollegen Logitech. Das Unternehmen ist heute mit 1,3 Milliarden Dollar Umsatz der weltweit grösste Hersteller von Mäusen und Tastaturen; zudem produziert es Webcams, Joysticks, PC-Lautsprecher und Zubehör für Mobiltelefone. Borels Anteil von 6,4 Prozent ist rund 170 Millionen Franken wert. Seit Borel 1988 den Logitech-Chefposten an den Italiener Guerrino De Luca übergeben hat (siehe BILANZ 5/2004), amtet er als VR-Präsident. Zudem sitzt er in den Verwaltungsräten von Nestlé, Phonak und der Bank Julius Bär.

Google wird voraussichtlich einen Börsenwert von 36 Milliarden Dollar erzielen. Halten Sie diese Bewertung für gerechtfertigt?

Ich werde nie kritisieren, was der Markt sagt, denn der Markt hat immer Recht.

Aber er übertreibt bisweilen. Sind wir bereits mitten im nächsten Internethype?

Vielleicht sind wir das. Google ist eine äusserst interessante Firma – wie von einem anderen Stern. Sie hat eigene Restaurants, eine Wäscherei, Anwälte, die den Mitarbeitern bei juristischen Problemen helfen. Sie tut alles, damit sich die Leute wohl fühlen. Die Mitarbeiter dort sind von einem Traum besessen: Sie wollen Microsoft schlagen. Eines Tages wird die Suchmaschine das Eingangtor zur digitalen Welt sein. Morgens, wenn Sie aufstehen und sich fragen, wie das Wetter wird, schauen Sie in Google nach. Sie werden in einer Google-Welt leben. Das ist der wahre Wert dieses Unternehmens. Es ist ein echtes Businessmodell, und es ist profitabel, im Gegensatz zum ersten Internethype. Aber eine Börsenbewertung vom 200fachen des Gewinns erscheint doch etwas hoch.

Wann platzt diese Blase?

Ich bin kein Experte. Aber wenn ich mich so umhöre, heisst es, dass es noch ein paar Jahre dauern werde, bevor etwas wirklich Dramatisches passiere. Denn die Unternehmensnachrichten sind gut, und die Investoren handeln weniger riskant als auch schon, weil sie nicht mehr ans schnelle Geld glauben.

Der Börsengang wird nicht nur Ihren Sohn, sondern auch Hunderte von anderen Google-Mitarbeitern über Nacht zu Millionären machen. Wenn Sie sich an Ihr eigenes IPO erinnern: Wie sind Sie mit dem «sudden wealth syndrome», dem plötzlichen Reichtum, umgegangen?

Ein Unternehmen aufzubauen, ist eine Frage der Leidenschaft. Wenn Sie die nicht haben, wird kein Geld der Welt Sie entschädigen für die Opfer, die Sie bringen, für die Energie und Zeit, die Sie da reinstecken müssen. Das ist eine unendliche Geschichte. Schauen Sie doch, wer aus der Gründerzeit der PC-Ära heute noch aktiv ist: Bill Gates, Oracle-Chef Larry Ellison, Apple-Gründer Steve Jobs ist zurück, aber alle anderen aus jener Zeit sind inzwischen verschwunden …

… Michael Dell ist auch noch da.

Stimmt! Und was treibt diese Leute an? Ihre Leidenschaft! Es ist, wie wenn man bei Windstärke sechs segeln geht. Man will der Schnellste sein, man will nicht ins Wasser fallen, man will gewinnen. Ich sage nicht, dass Geld nicht wichtig ist. Es erlaubt einem, viele interessante Sachen zu tun – Bill Gates und ich etwa fahren den gleichen Ford-Mustang-Typ aus dem Jahre 1965. Aber Geld ist eine Konsequenz der Leidenschaft, kein Ziel per se. Man geht nicht an die Börse, um reich zu werden – am Anfang darf man die Aktien sowieso nicht verkaufen, und vor allem muss man dann kontinuierlich Resultate liefern. Die erste Internetblase wurde verursacht von Leuten, die nur hinter dem schnellen Geld her waren, ohne zu realisieren, was es alles braucht, um ein Unternehmen auf lange Sicht aufzubauen.

Bernd Bischoff, CEO des Computerherstellers Fujitsu-Siemens, sagte kürzlich in einem Interview: «Heute würde wohl niemand mehr eine IT-Firma gründen und erst recht keine Hardwarefirma.» Sehen Sie das auch so?

Das Tolle an Logitech ist, dass wir keine reine Hardwarefirma sind, sondern dass Software eine grosse Rolle spielt. Unser erster Grossauftrag von HP bestand darin, Software für die Maus zu entwickeln. Auch heute kommt der Mehrwert unserer Produkte von der Software her. Deswegen konnten uns all die amerikanischen, japanischen und taiwanesischen Billighersteller nie vom Markt drängen, und deswegen haben wir auch heute noch so gute Margen. Wir sind in einer einzigartigen Nische. Aber wie will man sich denn als PC-Hersteller differenzieren? Ausser Apple gelingt das nur Michael Dell – und nicht etwa über seine PCs, sondern über die Art, wie man als Kunde den PC einkauft, ihn geliefert bekommt usw. Seine Stärke war es, zu erkennen, dass er das beste Logistiksystem der Welt bauen muss, um in diesem Markt zu überleben. Ich würde jedenfalls heute auch keine PC-Firma gründen.

Was für eine Firma würden Sie denn gründen?

Sicher wieder eine Produktfirma, nichts mit Dienstleistungen. Unser Erziehungssystem in der Schweiz ist nicht monolithisch, sondern wir lernen, die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln anzuschauen. Von daher sind wir dem Rest der Welt überlegen, wenn es darum geht, verschiedene Technologien zu kombinieren, um ein Ziel zu erreichen. Ich würde es also mit Produkten versuchen, die aus der Kreuzung von verschiedenen Technologien entstehen. Wenn ich 20 Jahre jung wäre, würde ich mir Nanotechnologie oder Biotech anschauen – für Nanotech haben wir an unseren beiden technischen Hochschulen, der ETH in Zürich und der EPFL in Lausanne, gute Forschungsstätten, und für Biotech hat sich hier am Genfersee ein richtiger Cluster gebildet. Dann würde ich mich auf ein enges Gebiet konzentrieren, es à fond erforschen und dann weltweit vermarkten. Das Schweizer Militärmesser, aber auch die Swatch sind gute Beispiele: tolle Produkte, aber für den heimischen Markt allein machen sie keinen Sinn. Man muss sie global vermarkten. Aber diese Denkweise fällt vielen Schweizer Unternehmen noch immer schwer.

Inwiefern?

Viele Schweizer haben Mühe, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und ihr Glück im Ausland zu versuchen. Henri Nestlé kam aus Deutschland, die Herren Brown und Boveri (Gründer von BBC, dem Vorgänger von ABB, Anm. d. Red.) aus England, und sie haben in der Schweiz globale Unternehmen aufgebaut. Herausforderungen wie diese nehmen hier zu Lande viel zu wenige an.

Sie haben Logitech von Anfang an als globales Unternehmen aufgebaut. Hätte es als rein schweizerisches Unternehmen nicht überlebt?

Logitech war ein rein schweizerisches Unternehmen, denn die Maus kam aus der EPFL in Lausanne. Aber der Markt war nicht schweizerisch – davon hätten wir nie leben können. Gott sei Dank! Das hat uns gezwungen, von Anfang an in die USA zu gehen. Und als der Markt wuchs, mussten wir die Mäuse in grossen Mengen herstellen. Das wiederum hat uns gezwungen, nach Taiwan zu gehen, denn bei einer Massenproduktion in den USA wären wir nicht kompetitiv genug gewesen. Im Nachhinein kann man sich immer auf die Schulter klopfen und den Studenten in Business-Schools erzählen, wie visionär wir waren. Aber das ist Bullshit. Wir waren nicht schlauer als die anderen. Wir hatten Glück, dass wir gezwungen wurden.

Was fehlt den Schweizer Unternehmen sonst noch?

Schauen Sie sich Irland an, ein Land mit halb so viel Einwohnern wie die Schweiz. Ein Viertel der irischen Bevölkerung zwischen 25 und 40 hat das Land verlassen, weil es nicht genug Jobs gab. Aber sie waren gut ausgebildet, und ich habe Hunderte von denen angestellt – in den USA, in Taiwan, in China. Sie waren bereit, in diesen Ländern zu leben und zu arbeiten, obwohl es beispielsweise in Taiwan damals nicht einfach war. Als Irland in die EU eingetreten war, sind diese Leute zurückgekehrt und haben mitgeholfen, Irland zu einem der wettbewerbsfähigsten Staaten in Europa zu machen. Weil diese Leute wissen, was Wettbewerb bedeutet. Das fehlt uns hier in der Schweiz – die Swissair ist ein Drama um einen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und ums Unvermögen, diesen rechtzeitig zu bemerken. Wir leben gut hier, wir haben ein schönes Land. Aber genau deswegen haben wir auch nicht genug junge Menschen mit der nötigen Erfahrung, um in der heutigen Geschäftswelt eine Führungsfigur zu sein. Weil es uns zu gut geht. Wir sind zu provinziell, zu lokal, zu wenig international!

Was bedeutet das für Ihre eigene Personalpolitik?

Wir schicken unsere besten Ingenieure für fünf bis zehn Jahre in die USA. So können wir die hellsten Köpfe von ETH und EPFL zu Logitech holen, auch wenn wir keine grosszügigen Saläre zahlen. Das ist eine unserer grossen Stärken: Wir sind internationaler als fast jedes andere Unternehmen auf der Welt, weil wir in den verschiedenen Ländern nicht nur Verkaufsbüros haben, sondern dort auch eigene Forschung und Entwicklung machen. Die Leute lernen sofort, mit 45 verschiedenen Kulturen rund um den Globus umzugehen. Wer das nicht tut, verlässt uns sehr bald wieder.

Die weltweite Managementkultur wird immer stärker von der amerikanischen geprägt. Halten Sie, der für seinen Firmensitz auch die USA gewählt hat, dies für eine positive oder eine negative Entwicklung?

Ich habe in den USA viel gelernt. Das Erste war Buchhaltung – und die damit verbundene Transparenz für den Anleger. Ich konnte später kaum glauben, was für Rechnungslegungsvorschriften wir in der Schweiz hatten: sehr langfristig orientiert, aber nicht am Anleger. Vor allem aber habe ich das Teamplay gelernt. In vielen Silicon-Valley-Firmen trifft man sich jeden Freitag zum Bier, um Informationen auszutauschen. Es gibt Stock-Options, um den Reichtum zu teilen, es gibt Gewinnbeteiligung. Von Anfang an bekommt man das Gefühl vermittelt, man könne die Welt verändern, man könne dabei auch viel Spass haben, aber um das zu erreichen, muss man ein Team sein, das alles miteinander teilt. Das ist völlig unschweizerisch. Ich habe hier zu Lande nur für eine Firma gearbeitet: Sie war sehr hierarchisch aufgebaut, vertikal, man arbeitete nach der Stechuhr und hatte überhaupt keinen Spass. Transparenz, Respekt vor dem Anleger, die Weise, wie man mit Leuten umgeht – da hat Amerika der Welt etwas Grossartiges gebracht. Aber in letzter Zeit, speziell natürlich nach dem Zusammenbruch von Enron, gab es Entwicklungen, bei denen man sich fragen muss: Geht man hier nicht zu weit? Die Wahrheit liegt vermutlich wie immer in der Mitte. Logitech profitiert wohl am meisten davon, dass wir sowohl die guten Sachen aus Europa übernehmen können als auch die guten aus den USA.

Entwicklungen, die zu weit gehen wie zum Beispiel die Sarbanes-Oxley Act?

Zum Beispiel. Keiner kann leugnen, dass die Investoren extrem geschädigt wurden und dass das System dies zugelassen hat. Dafür muss man jetzt den Preis zahlen. Und die Richtlinien von Sarbanes-Oxley spielen eine Schlüsselrolle, um das Vertrauen der Anleger wiederzugewinnen. Aber sie gehen zu weit. Heute müssen der CEO und der Finanzchef unterschreiben, dass der Jahresabschluss nach bestem Wissen und Gewissen korrekt ist. Aber es geht noch weit darüber hinaus: Sie müssen Vorgänge testieren, die sie gar nicht kontrollieren können. Wenn mich beispielsweise ein Zulieferer übers Ohr haut und fehlerhafte Bauteile liefert, dann muss ich das nach Sarbanes-Oxley wissen. Dies macht keinen Sinn, weil es schlicht unmöglich ist. Gleichzeitig steigt der bürokratische Aufwand ins Unermessliche. Und wenn man betrügen will, findet man immer eine Möglichkeit dazu, denn auch im dichtesten Regelwerk gibt es immer eine Lücke. Die Europäer vertrauen eher auf den gesunden Menschenverstand. Das System ist weniger rigoros, es baut darauf, dass der CEO und der Finanzchef keine Betrüger sind, sondern ehrliche Menschen. Vielleicht ist das eine zu lasche Einstellung, vielleicht liegt der richtige Weg in der Mitte. Aber die Amerikaner werden langfristig ernste Probleme haben, wenn sie weiterhin so entschieden in diese Richtung gehen. Ohne gesunden Menschenverstand, ohne Vertrauen in die Leute kann es nicht funktionieren.

Sie waren eines der ersten europäischen Unternehmen, das nach China ging …

… ja, aber wiederum waren wir nicht schlauer als die anderen, sondern sind gezwungen worden. 1992 standen wir kurz vor der Pleite. Um Kosten zu sparen, mussten wir die Produktion von Taiwan nach China verlagern.

Was sagen Sie jenen, die China heute als Bedrohung empfinden?

Die entwickelte Welt muss einer Tatsache ins Auge blicken: Es gibt dort 1,3 Milliarden Menschen, die ein bisschen von unserem Wohlstand abbekommen möchten. Diese Leute sind intelligent, gut ausgebildet, und sie arbeiten sehr hart. Allein in Shanghai gibt es 30 Universitäten. Um dorthin zu kommen, müssen die Leute kämpfen sowie Tag und Nacht arbeiten. Und in 50 Jahren werden sie das Antlitz dieser Welt verändert haben!

Verändert in welche Richtung?

Meine Kinder werden nicht in der gleichen Welt leben wie wir. Die USA werden nicht mehr das Zentrum der Welt sein. Die Macht wird sich nach Asien verschieben. Das ist so.

Wie sollen die Schweizer Unternehmen darauf reagieren?

Sie müssen das Beste daraus machen. Wenn Sie als Hersteller in China billiger produzieren können – fein, dann gehen Sie nach China! Mir als Konsumenten ist es doch egal, wo das Produkt hergestellt wurde, solange Qualität und Preis stimmen. Wenn Sie Ihre Softwareentwicklung nach Indien auslagern können und es bringt keinen Mehrwert, diese in der Schweiz zu behalten – fein, dann gehen Sie nach Indien! So bleiben Sie wenigstens wettbewerbsfähig. Denn Sie werden nie in der Lage sein, sich vor diesen Umwälzungen zu schützen.

Das bedeutet Verlust von Arbeitsplätzen.

Es ist tatsächlich so, dass beispielsweise die Wirtschaft in den USA wieder brummt und es heute trotzdem eine Million Jobs weniger gibt als nach dem 11. September 2001. Die Alternative ist, sich eine Nische zu suchen. Nehmen Sie Alusuisse im Wallis. Eines Tages konnte jeder billig Aluminium herstellen. Was tut man also? Man versucht, im Wallis anspruchsvollere, teurere Aluminiumarten herzustellen, damit man die Angestellten auch besser bezahlen kann. Man muss also eine Nische suchen und aus dieser Nische den Weltmarkt bedienen. Und zu diesem Weltmarkt gehört in steigendem Ausmass auch China. Egal, in welcher Industrie man ist: Der chinesische Markt ist zu bedeutend, als dass man ihn ignorieren könnte. Von daher ist China sowohl Bedrohung als auch Chance. Kurzfristig ist es sogar eine einmalige Chance für jeden, der dieses Spiel richtig zu spielen weiss.

Wie sehen Sie die Krise der Schweiz?

Wir sind in der schlimmsten Phase, nämlich der Leugnungsphase. Es ist wie im Zeichentrickfilm, wenn eine Figur rennt und rennt und rennt und irgendwann feststellt, dass sie über einen Abgrund hinausgerannt ist, und erst dann abstürzt. Ich fürchte, wir können noch sehr lange rennen, bis wir merken, dass der Boden unter unseren Füssen längst weggebrochen ist.

Ist er das?

Ich bin nicht sicher. Aber die Richtung, in die wir rennen, ist falsch. Ich kenne niemanden, der eine Vision für die Schweiz für die nächsten 20, 30, 40 Jahre hat. Sie können Politiker fragen, aber Sie bekommen nie eine Antwort, weil die nur mit ihrer Wiederwahl in spätestens vier Jahren beschäftigt sind. Irland ist viel besser gerüstet – vielleicht nicht so reich wie wir, aber dennoch mit einer besseren Ausgangsbasis, das nächste Jahrhundert zu überleben.

Was kann die Schweiz von Logitech lernen?

(Stöhnt auf.) Ach, bitte, ich habe schon genug damit zu tun, dass Logitech überlebt. Denn der Erfolg ist nie endgültig – was heute funktioniert, kann morgen falsch sein. Im Ernst: Ich würde nie sagen, dass die Schweiz von Logitech lernen kann. Aber meine Lebenserfahrung sagt mir, dass die Schweiz nicht in die Richtung steuert, die für die nächste Generation die richtige wäre. Wenn Sie in den Louvre gehen, sehen Sie dort den Spruch von Antoine de Saint-Exupéry: «Die Welt gehört uns nicht, wir haben sie von unseren Kindern nur geliehen.» Ich fürchte, dass wir in der Schweiz uns in den letzten 50 Jahren zu viel geliehen haben und bis unters Dach verschuldet sind. Wie gesagt, die Schweiz verdankt ihren Wohlstand dem Ausland. Nicht nur im Fall von Nestlé und Brown Boveri: Die Uhrenindustrie kam aus Frankreich nach Genf, die Chemie von Deutschland nach Basel. Dieses Erbe haben wir immer und immer weiter ausgenutzt. Wie erneuern wir es? Kann ich in 50 Jahren meinen Kindern sagen: Ich hinterlasse dir ein Land, das in so gutem Zustand ist wie damals, als ich in deinem Alter war und es mir übergeben wurde? Im Moment sieht es nicht so aus, und das tut mir weh.

Was kann die Schweiz Ihrer Meinung nach denn tun, um den hohen Lebensstandard zu halten?

Die Frage muss lauten: Wie positionieren wir die Schweiz so, dass kontinuierlich hoch bezahlte Jobs im Land entstehen? Denn nur das rechtfertigt es, dass der Lebensstandard hier viel höher ist als in den umliegenden Ländern. Manche sagen vielleicht, durchs Bankgeheimnis, aber ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.

Sie sind gegen das Bankgeheimnis?

Überhaupt nicht. Aber es ist nicht nachhaltig. Ich will nicht, dass es das Einzige ist, was ich meinen Kindern weitergeben kann. Die Schweiz, ein tolles Land wegen des Bankgeheimnisses? Ich glaube nicht, dass ich darauf stolz sein könnte. Tourismus? Vielleicht. Aber lächeln wir genug? Wissen wir, wie man Gäste wirklich glücklich macht? Uns fehlt die Dienstleistungsmentalität, wir sind ab und zu ein bisschen arrogant. Aber wir sind ein kleines Land, und es muss doch möglich sein, es so zu positionieren, dass es auf der Welt als einzigartig angesehen wird. Meinetwegen einzigartig für Uhren, für Schokolade oder für was auch immer.

Wenn die Politiker, wie Sie sagen, dazu nicht in der Lage sind: Wie soll das denn geschehen?

Meine einzige Hoffnung ist die junge Generation. In zehn Jahren wird mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten in der Schweiz älter als 65 sein. Ich habe nichts gegen 65-Jährige, ich werde in zehn Jahren auch so alt sein. Aber es bedeutet, dass die Entscheidungen in diesem Land zum Wohle der Alten getroffen werden. Es sind Entscheide für die Vergangenheit. Man sollte den Leuten mit 55 das Stimmrecht entziehen. Ich muss nicht mehr abstimmen – die Jungen, welche die Konsequenzen tragen müssen, sollen das tun. Indien hat einen grossen Vorteil: Dort ist die Hälfte der Bevölkerung unter 25 Jahre alt. Mit 25 schaut man die Welt ganz anders an, man trifft mutige Entscheide, man wagt Veränderungen. Seit 1982 haben wir hier – mit Ausnahme des Uno-Beitritts – nie für etwas gestimmt, sondern nur immer gegen alles. Wo wollen wir denn dann in 50 Jahren sein? Das macht mir Angst!

Sie haben Geld und Einfluss. Was tun Sie denn für die Zukunft der Schweiz?

Ich habe, als ich 25 Jahre alt war, ein Stipendium von 35000 Franken bekommen. Damit konnte ich nach Stanford studieren gehen, und es hat mein Leben verändert. Heute versuche ich, das der Schweiz zurückzugeben: Ich habe vor vier Jahren SwissUp gegründet. Die Organisation erstellt regelmässig Rankings der besten Universitäten in der Schweiz. Das hat am Anfang bei manchen für Stirnrunzeln gesorgt, denn nicht alle lassen sich gerne bewerten. Inzwischen ist es akzeptiert. SwissUp organisiert auch eine Studentenmesse in Genf. Damit nicht genug: Vor sechs Monaten haben wir eine Stiftung gegründet mit dem Namen «La fondation pour l’excellence de la formation en Suisse». Sie wird Stipendien vergeben und Studien erstellen über die Wirkung von Ausbildung auf die Zukunft der Schweiz. SwissUp wird in diese Stiftung integriert werden. Ich helfe der jungen Generation, wo ich kann, das Land fürs nächste Jahrhundert neu zu erfinden: durch Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung.

Wäre eine Einwanderungspolitik wie in Kanada oder Australien, welche die grössten Talente aus der ganzen Welt ins Land holen, eine Lösung auch für die Schweiz?

Am besten machen es die USA. Das Silicon Valley hat über ein Drittel Ausländer. Wer ein Diplom hat, kann in den USA arbeiten, sofern er einen Arbeitgeber findet. In der Schweiz bekommt ein Ausländer, wenn er mit dem Studium an ETH oder EPFL fertig ist, keine Arbeitsgenehmigung. Dabei würde er vielleicht ein Unternehmen gründen und Arbeitsplätze schaffen. Das ist doch verrückt! Die Schweiz muss so viele helle Köpfe wie möglich ins Land holen beziehungsweise hier halten. Aber es gibt noch eine bessere Möglichkeit.

Die da wäre?

Die Schweiz muss versuchen, die besten Unternehmen aus aller Welt ins Land zu holen. Serono etwa kam aus Italien – schauen Sie, was diese Firma der Schweiz an hoch bezahlten Jobs und an weltweiter Beachtung gebracht hat. So etwas muss noch in viel grösserem Ausmass geschehen, schneller und besser koordiniert als bisher. Denn wir haben gar nicht mehr die Zeit, selber alles aufzubauen.

Sie sind Ingenieur, Ihr Sohn ebenfalls …

… meine Eltern hätten lieber gewollt, dass ich Anwalt oder Arzt würde! Ingenieure werden in der Schweiz nicht respektiert, haben keinen Status. Deswegen gibt es hier so wenig Forschung und Entwicklung. Ganz anders im Silicon Valley: Da weiss ein Ingenieur, er kann die Welt verändern. Ohne ihn gibt es kein Produkt – und damit kein Unternehmen. Nirgends auf der Welt kann er so reich werden wie dort, und nirgendwo wird er so geschätzt. Das motiviert diese Leute unheimlich. Mein Sohn hat so viel Spass bei Google. Warum sollte er in die Schweiz kommen? Was würde er hier tun?

Rechnen Sie damit, dass er eines Tages eine Rolle spielen wird bei Logitech?

Nein. Ich wäre natürlich stolz, wenn er das täte. Aber im Moment lebt er den American Way: Jeder fängt bei null an. Das ist gut so. Sollte sich eines Tages herausstellen, dass mein Sohn der beste Ingenieur für Logitech wäre, wäre es blöd, wenn er woanders arbeiten würde. Aber bis sich die Frage stellt, wird es noch dauern. Und wenn es nicht passiert? Auch kein Problem.