BILANZ: Glauben Sie, dass sich die US-Konjunktur dieses Jahr deutlich abkühlen wird?
Darrell M. Riley: Es ist wirklich bemerkenswert, wie beständig die amerikanische Wirtschaft in den vergangenen Jahren war. Das reale Bruttoinlandprodukt ist seit 2001 stetig gewachsen. Das lag zum einen an den sehr guten Unternehmensgewinnen und andererseits an den niedrigen Kapitalkosten. Das war der Schlüssel für das Wachstum. Konsumenten profitierten zudem von steigenden Immobilienvermögen und günstigen Krediten.
Wie geht es 2006 weiter?
Die US-Notenbank Fed wird durch die Zinserhöhungen das Wirtschaftswachstum bremsen. Aber es wird noch ziemlich beständig bleiben. Diese Beständigkeit führt zu einer höheren Sicherheit. Aktieninvestoren werden profitieren. Alles in allem erwarten wir ein positives Jahr.
Weil das Wirtschaftswachstum die Aktienmärkte beflügeln wird?
Eine gute Konjunktur treibt die Kurse an den Wertpapiermärkten. Die Marktteilnehmer schauen immer in die Zukunft. Vergangene Ereignisse und Entwicklungen sind für Börsianer nicht relevant. Ein guter Indikator ist daher der Produzentenpreisindex. Dieser Index und der S&P 500 entwickeln sich ziemlich parallel. Vor zwei Jahren erlebten die USA einen zyklischen Aufschwung. Die Risikobereitschaft, die Unternehmensgewinne und der Produzentenpreisindex kletterten in die Höhe. Prompt stieg der S&P 500 um 20 Prozent. 2004 schwächte das Wachstum ab, die Notenbank hob die Zinsen an, und der Aktienmarkt legte nur neun Prozent zu. Das ist eine ganz normale Entwicklung und nicht überraschend.
Aber was passiert 2006 an den US-Märkten?
Der Beginn dieses Jahres ähnelt sehr dem Beginn des vergangenen Jahres. Wir befinden uns in der Mitte eines Wirtschaftszyklus. Die Unternehmenszahlen sind relativ stark. Die Bewertungen der Aktien sind immer noch niedrig. Wachstumstitel sind günstiger als Value-Aktien. Der einzige Unterschied: Wir befinden uns am Ende eines Zinszyklus. Das Zinsrisiko nimmt daher ab. Für Investoren bietet diese Situation jetzt Anlagechancen. Bisher waren Schweizer Investoren so clever, US-Aktien unterzugewichten.
So ziemlich jeder in Europa hat wohl US-Aktien untergewichtet.
Aber vor allem die Schweizer, weil sie besonders schlau sind! Aber jetzt sollten Anleger sich überlegen, wann sie wieder in den Markt einsteigen oder ihre Gewichtungen in US-Aktien erhöhen sollten.
Und wann genau ist das?
Auf den Tag genau kann ich Ihnen das leider auch nicht sagen. Doch wir befinden uns nun kurz vor dem Ende des Zinszyklus. Irgendwo um fünf Prozent dürfte die Fed aufhören, die Zinsen anzuheben. Wir haben also nur noch wenige Zinsschritte vor uns.
In der Schweiz fragt man sich, was die Zeit nach Greenspan Neues bringen wird.
Ich rechne nicht mit bemerkenswerten Veränderungen. Ben Bernanke wird sehen, dass die Wirtschaft gebremst wurde und das Inflationsrisiko eingedämmt ist. Dann wird es keine Zinssteigerungen mehr geben. Es geht nicht darum, wer bei der Notenbank das Ruder in der Hand hat. Die Anhaltspunkte für die Politik werden ja die gleichen bleiben.
Sie sehen also kein Inflationsrisiko in den USA?
Ganz entscheidend für die Inflation sind ja die Arbeitskosten. Diese machen den grössten Block der Produktionskosten – im Durchschnitt 70 Prozent – aus. Die Korrelation zwischen dem Konsumentenpreisindex und den Arbeitskosten ist daher hoch. Was die Inflation tatsächlich treibt, sind also die Lohnkosten. Dass diese in den vergangenen Jahren so tief waren, hat die Unternehmensgewinne in die Höhe getrieben. In den vergangenen zwölf Jahren sind die Arbeitskosten nur um 1,8 Prozent gestiegen.
Und werden die Kosten für Arbeit nun steigen?
Einige Leute glauben, es gebe eine erhebliche Ausweitung der Produktionskapazitäten in den USA. Ich glaube nicht daran. Grosse Kapazitätsexpansionen wird es weder in der Schweiz noch in den USA geben. Diese werden in den Schwellenländern, vor allem in Asien, stattfinden. Europäer und Amerikaner werden vorsichtig sein und ihre Arbeitskapazitäten nicht enorm ausweiten.
Bei welcher Branche sind Sie besonders optimistisch?
Ich vergleiche mal den Russell 1000 Value Index, der von Energie- und Finanztiteln dominiert wird, mit dem Russell 1000 Growth Index, der sein Schwergewicht in Aktien des Gesundheitswesens und der Technologie hat. Auf welchen der beiden würde ich eine Wette machen?
Sie würden auf Wachstum setzen. Das entspricht der Tradition Ihrer Firma.
Das ist nicht der Grund. T. Rowe Price verwaltet auch 40 Milliarden Dollar in Large Cap Value Portfolios. Und 20 Milliarden Dollar in gemischten Large Cap Portfolios. Aber ich würde trotzdem die Wachstumsaktien wählen. Ganz einfach, weil diese Titel relativ billiger sind.
Davon hat man jetzt schon viel gehört. Privatanleger werden wohl mit Umschichtungen wieder zu spät kommen.
Ganz und gar nicht. Man sollte zwar annehmen, dass Pensionsfondsmanager Investoren mit Weitblick sind. Sie sollen nicht die gleichen Fehler wie Privatanleger machen. Als Manager eines Rentenfonds sollte man zu teure Branchen verkaufen und auf günstigere Sektoren setzen. Ich war schockiert, als ich sah, wie es tatsächlich ist. Während der Technologieblase Ende der neunziger Jahre waren alle entsetzt, wie stark Pensionsfonds Wachstumstitel übergewichtet hatten. So etwas sollte nie wieder passieren, hat man damals gesagt. Man wollte zukünftig vernünftig diversifizieren. Heute übergewichten dieselben Fonds Substanzwertaktien ebenso stark wie damals Wachstumstitel. Man kann sagen, dass Pensionsfondsmanager ebenso irrational investieren wie Privatanleger. Dabei sollten sie doch eher einen ausgewogenen Ansatz verfolgen.
Wie lautet also Ihr Tipp für Anleger, die in den US-Markt investieren wollen?
Der US-Aktienmarkt ist nicht ein homogener Markt. Er ist wie ein Puzzle, das aus vielen kleinen Märkten besteht. Der Markt für Small Caps ist völlig anders als der für Blue Chips. Man kann nicht ein aggressives Wachstumsportfolio mit einem Value-Portfolio vergleichen. Einen richtigen Zugang zum US-Markt erhält man nur, wenn man einen sehr breiten und langen Anlagehorizont hat.
Der S&P 500 ist ja schon ein ziemlich breit gefasster Index.
Aber er ist nur ein Segment des Marktes und spiegelt nicht die gesamte Bandbreite an Möglichkeiten wider. Wir versuchen, den gesamten Markt abzubilden und so die Volatilität der Renditen zu reduzieren. Unsere Kunden freuen sich natürlich immer über steigende Renditen. Aber am liebsten wollen sie eine linear steigende Renditekurve mit möglichst wenigen Zacken.
Trotzdem halten Sie es für wichtig, Value-Aktien unterzugewichten.
Das stimmt für den Moment. Im Vergleich zu einer neutralen Position haben wir diese Sektoren untergewichtet. Und wir bauen die Positionen in Wachstumsbranchen auf. Trotzdem achten wir auf eine gute Diversifikation. So investieren wir gleichzeitig in Small Caps und Value-Titel. Investoren stehen vor der Frage, ob sie Unternehmen mit beständigen oder mit zyklischen Gewinnen kaufen wollen. Grundsätzlich sind stetige Gewinne attraktiver. Und heute kann man sogar beide zum selben Preis kaufen. Das ist zurzeit eine grosse Chance im Markt. Sobald sich die Gewinne der zyklischen Unternehmen wie Banken und Energieunternehmen abschwächen, wird sich die Aufmerksamkeit des Marktes auf die Unternehmen mit Wachstumseigenschaften richten. Die Marktteilnehmer werden dann nach Beständigkeit fragen. Diese finden Sie in typischen Wachstumswerten wie dem Gesundheitswesen und dem Konsumsektor.
Keine Rezession, keine Inflation. Gibt es denn überhaupt keine Risiken am Markt?
Na ja, da bleiben immer noch die Zinsrisiken. Die Frage ist, bis wohin die Notenbank die Zinsen noch anheben wird. Das wird so lange andauern, bis die Fed beginnt, die Zinsen zu senken. Aber in den kommenden zwölf Monaten wird auch dieses Risiko abnehmen.
Welches Gewicht legen Sie auf den Schweizer Markt?
Wir sind Stockpicker und verfolgen keinen Top-down-Ansatz. Wir haben also keine Makrosicht auf den globalen Aktienmarkt. Wir schauen uns nicht die Schweiz als Markt an, sondern jeden einzelnen Titel. Wenn wir etwas Interessantes finden, investieren wir. Tatsächlich haben wir Schweizer Aktien in unseren globalen Portfolios derzeit im Vergleich zum MSCI World Index übergewichtet. Und das hat sich auch schon ausgezahlt, weil es eine ganze Reihe sehr starker Titel gibt.