Welches Studienergebnis hat Sie mit Blick auf die Schweiz am meisten überrascht?
Die grosse Stärke der Schweiz ist keine Überraschung. Das Land hat eine lange Tradition als sicherer Hafen für Geld. Das Private Banking ist seit über 300 Jahren eine grosse Kompetenz. Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die Schweiz eine lange Geschichte mit niedriger Inflation, einem starken Franken und gut laufenden Aktien- und Anleihemärkten samt relativ niedriger Volatilität hat.
Wie erklären Sie die überdurchschnittliche Performance Schweizer Aktien mit jährlich 4,4 Prozent von 1900 bis heute?
Ein grosser Grund ist die politische Neutralität des Landes. Das hat zur Stabilität beigetragen. Und die Schweizer Regierung hat sich schon immer klar dazu bekannt, Firmen stabile Verhältnisse zu gewährleisten. Um die Position der Schweiz als wichtiges Finanzzentrum in der Welt zu etablieren, war es natürlich sehr hilfreich, eine starke Währung zu besitzen.
Warum hat die Schweiz nie unter hoher Inflation gelitten?
Hauptsächlich aus den gleichen Gründen: In der Schweiz gab es nie den Willen, Geld im grossen Stil zu drucken und in Umlauf zu bringen. Nehmen Sie im Gegensatz dazu Ihren Nachbarn im Norden: Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland Kriegsschulden zurückzahlen, was über einen starken Anstieg des Geldangebots 1922 und 1923 zu einer Hyperinflation führte. Andere Nachbarn wie Österreich, Italien oder Frankreich haben ebenfalls Zeiten mit hoher Inflation erlebt. Typischerweise im Zusammenhang oder als Auswirkung der beiden Weltkriege.
Wie wichtig ist die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank?
Um die Inflation niedrig zu halten, ist es grundsätzlich sehr wichtig, dass Zentralbanken unabhängig sind. Aber heute gibt es grosse Diskussionen darum, was die Aufgaben von Notenbanken sein sollen. Ob sie auch gegen Wirtschaftsrezessionen und Arbeitslosigkeit ankämpfen oder sich gegen Preisblasen an den Finanzmärkten stemmen sollen. Diese Debatten werden wir in der kommenden Dekade noch oft haben.
Und die niedrige Inflation in der Schweiz wirkte als Schmiermittel für die Anleihenmärkte?
Das geht normalerweise Hand in Hand. Die Leute sind manchmal überrascht, dass US-Staatsanleihen nicht der sicherste Markt für Staatspapiere sind. Aber es gab eine Zeit von 56 Jahren – zwischen 1926 und 1981 –, in der US-Papiere negative reale Renditen abwarfen. Sofern ein Investor Schweizer Anleihen mindestens 23 Jahre gehalten hat, gab es seit 1900 keine Zeit, in der die realen Renditen mehr als marginal negativ waren. Das ist bemerkenswert.
Aber heute ist der Ausblick für Schweizer Staatspapiere besonders schlecht, die realen Renditen von längerfristigen Eidgenossen sind klar negativ.
Die voraussichtlichen Schweizer Anleiherenditen muten mit negativen Renditen für Laufzeiten von 10 Jahren und mehr in der Tat sehr niedrig an. Aber wir sehen ähnliche Probleme auch in anderen Ländern und die Anleiherenditen sind in der gesamten entwickelten Welt niedrig. Und man darf nicht vergessen, auf die realen Renditen – also nach Abzug von Inflation – zu schauen: Wenn die Preise in Ländern wie den USA oder Grossbritannien anziehen, werden die Anleiherenditen in diesen Ländern unter der höheren Inflation leiden.
Also steht es nicht allzu schlecht um Schweizer Anleihen?
Die Schweiz ist in einer guten Position, weil die Inflation wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren niedrig sein wird. Angesichts des Status als sicherer Hafen liefern Schweizer Staatspapiere eine vergleichsweise vernünftige Rendite. Wir leben heute grundsätzlich in einer Welt mit niedrigen Erträgen. Das Problem: Rund um den Globus waren die Anleiherenditen seit den frühen 1980er Jahren ausgesprochen hoch. Wir dürfen aber nicht erwarten, dass wir diese hohen Raten der Vergangenheit auch in Zukunft sehen werden. Denn diese Zeit war sehr ungewöhnlich.
Wird die Schweiz als Finanzplatz vom Brexit profitieren?
Im Gegensatz zu Grossbritannien hat die Schweiz jetzt die Möglichkeit, sich noch attraktiver als Land für Vermögensverwaltung zu positionieren. Niemand hat wirklich eine Ahnung, welches politische System in Grossbritannien in einigen Jahren vorherrschen wird. Deshalb könnte London an Attraktivität verlieren und die Schweiz davon profitieren.
* Paul Marsh ist emeritierter Finanzprofessor an der London Business School. Er ist Co-Autor der von der Credit Suisse publizierten Studie «Switzerland: A Financial Market History». Zusammen mit Elroy Dimson und Mike Staunton hat er das viel beachtete Buch «Triumph of the Optimists» geschrieben. Dimson und Marsh entwickelten auch den Leitindex der Londonder Börse, den FTSE 100.
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