Sie haben sicher auch schon an der Börse investiert.
Stefan Zeisberger: Ja, seit Beginn meines Studiums. Mein erstes Investment war allerdings ein ziemliches Desaster. Damals platzte gerade die Dotcom-Blase. Ich verlor etwa die Hälfte des eingesetzten Kapitals.
Welche Gefühle löste das bei Ihnen aus?
Vor allem Enttäuschung. Ich verstand, dass man Aktienkurse weniger gut voraussehen kann, als man glaubt.
«Ich bin noch nie einem Investor begegnet, der Geld verloren hat – zumindest nicht einem, der das zugibt.»
Wie gingen Sie mit dieser Enttäuschung um?
Ich hinterfragte mich, was genau passiert ist, und zog daraus meine Schlüsse. Das war wichtig, denn eine häufige Psychofalle an den Aktienmärkten ist, dass man sich vor allem an Erfolge erinnert und weniger an Misserfolge. Es ist doch auffällig: Ich bin noch nie einem Investor begegnet, der Geld verloren hat – zumindest nicht einem, der das zugibt.
Sie sind Spezialist für Behavioral Finance. Wie weit ist das Börsengeschehen durch psychische Aspekte bestimmt?
Man sagt landläufig, dass 50 Prozent des Geschehens an der Börse Psychologie ist. Aber das kann man ja gar nicht messen. Sicher richtig ist, dass viele Marktteilnehmer irrtümlich meinen, Aktienkurse vorhersagen zu können. Und im Nachhinein sind alle immer schlauer. Sie finden jeweils zehn Gründe, warum es am Vortag an der Börse rauf oder runter gegangen ist.
Stefan Zeisberger studierte in Bremen und Münster und lehrt seit 2017 an der Universität Zürich. Er ist dort Professor für Fintec – Experimental Finance – und forscht zu psychologischen Aspekten bei der Geldanlage.
Was glauben Sie, wie gross psychische Einflüsse sind?
Die sind sicher erheblich. Studien zeigen, dass Investoren, die in der Lage sind, ihre Emotionen auszuschalten, an der Börse erfolgreicher sind und im Schnitt eine reale Rendite von 5 Prozent erzielen. Investoren, die sich mehr von ihrer Psyche leiten lassen, verlieren dagegen durchschnittlich die Hälfte dieser Rendite.
Welches sind typische Psychofallen, die an der Börse lauern?
Wichtig ist wie erwähnt die Selbstüberschätzung; dass man glaubt, kurzfristig die Kurse vorhersagen zu können. Diese Selbstüberschätzung führt auch dazu, dass die Investoren viel zu viel Handel betreiben, was erheblich Geld kostet. Ein zweiter grosser Fehler ist der sogenannte Home Bias. Das ist die Neigung, vor allem in bekannte, inländische Titel zu investieren. Man hält sie für sicherer und renditestärker. Aber das ist ein Trugschluss. Investoren, die dem Home Bias unterliegen, sind schlechter diversifiziert und verpassen Chancen.
Wenn an den Aktienmärkten die Kurse ständig steigen, sagt man, es regiere die Gier. Trifft das zu?
Tatsächlich neigen Anleger bei steigenden Kursen dazu, ihre Risikoaversion abzulegen. Gier kann als übersteigerte Risikoneigung interpretiert werden. Das gilt auch umgekehrt: Wenn die Kurse fallen, geraten viele Investoren in Panik und verkaufen überstürzt. Beides führt dazu, dass die Leute zu ungünstigen Zeitpunkten Aktien kaufen und verkaufen. Dieses Muster ist leider typisch für Privatinvestoren. Darum ist auch ihre Performance oft unterdurchschnittlich. Es gibt clevere Grossinvestoren, die diesen Effekt bewusst nutzen und damit Kasse machen.
Im letzten Frühjahr sanken die Bewertungen innerhalb eines Monats um 30 bis 40 Prozent wegen Corona. War das eine typische Panikreaktion?
Aus meiner Sicht nein. Es bestand damals eine Situation, die zu viel Unsicherheit geführt hat. Und Unsicherheit erträgt die Börse am wenigsten. Das führte zum Kurssturz, nicht Panik. Von daher waren die Bewertungen nicht falsch. Überraschender war dann eher der rasche Kursanstieg danach, mit dem eigentlich niemand gerechnet hatte.
Dann war dieser Kursanstieg irrational?
Nein, auch diese rasche Erholung halte ich für begründbar. Die Zentralbanken und Regierungen machten klar, dass sie alles gegen die Krise tun, was in ihrer Macht steht. Die Zentralbanken öffneten die Geldschleusen noch weiter und die Regierungen verschuldeten sich. Das drückte die Zinsen erneut, was wiederum den Aktienmärkten Auftrieb gab.
Eine Börsenweisheit sagt: «Kaufe, wenn die Kanonen donnern, verkaufe, wenn die Violinen spielen.» Ist es rational, sich antizyklisch zu verhalten?
Eine solche Weisheit ist mit Vorsicht zu geniessen, denn die Kurse sind wie gesagt nur schwer vorhersehbar. Man sollte sich einfach bewusst sein, dass die eigene Risikoneigung davon abhängen kann, in welcher Marktphase man sich gerade befindet. Grundsätzlich ist es aber nicht falsch, sich antizyklisch zu verhalten.
Kann man reich werden, wenn man erkennt, von welchen Gefühlen die Börse gerade geleitet wird?
Ganz einfach ist es nicht. Bloss weil man Psychofallen erkennt, erwirtschaftet man noch keine Überrendite. Obwohl das einigen Profiinvestoren gelingt.
Ist es denn grundsätzlich schlecht, sich auch von der Psyche statt nur vom Verstand leiten zu lassen? Vielleicht ist das Bauchgefühl doch nicht so falsch.
Das Bauchgefühl kann vor allem helfen, die eigene Risikoneigung zu erkennen. Wer zum Beispiel bei einer bestimmten Risikoexposition nicht mehr ruhig schlafen kann, sollte auf seinen Bauch hören und etwas verändern. Aber prinzipiell sollte man sich nicht von seinen Emotionen leiten lassen, wenn es darum geht, einen optimalen Einstiegs- oder Ausstiegszeitpunkt an den Finanzmärkten zu finden. Das Bauchgefühl sollte bei der Wahl des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin eine Rolle spielen. An der Börse aber hat das Bauchgefühl nichts zu suchen.
Wie kann man sich vor den eigenen emotionalen Überreaktionen schützen?
Indem man beispielsweise eine passive Investmentstrategie verfolgt. Das ist für 95 Prozent der Privatanleger sowieso zu empfehlen. Gut geeignet sind auch Sparpläne, wo man regelmässig bestimmte Beträge investiert. So verhindert man ein hektisches und teures Hin und Her. Wer trotzdem aktiv anlegt, dem kann unter Umständen ein Investmenttagebuch helfen, in dem alle Transaktionen protokolliert werden. Das kann verhindern, dass man eine geschönte Vorstellung von seinem eigenen Können hat.