Viele Börsianer haben diesen Tag mit Spannung erwartet. Am Donnerstag hat die EZB verkündet, dass sie am Nullzins festhält. Das umstrittene Anleihenkaufprogramm läuft weiter, wird allerdings zunächst nicht verlängert. Bei der US-Notenbank Fed und der Bank of Japan stehen in zwei Wochen weitere Sitzungen mit Zinsentscheid auf dem Programm. Nach wie vor dominiert die Geldpolitik der Notenbanken das Anlegerverhalten und vermag so die Börsen weltweit zu bewegen. Angesichts des Brexit-Votums und der anstehenden Neuwahlen in den USA gehen Börsenanalysten allerdings in diesem Monat nicht von neuen Signalen an die Märkte aus.
«Kurzfristig wird sich nicht viel am Kurs der Zentralbanken ändern, sodass wir auch erst einmal nicht mit einer Zinserhöhung rechnen können», sagt Janwillem Acket, Chefvolkswirt der Privatbank Julius Bär. Der politische Kalender sei schlicht mit zu vielen heiklen Terminen gefüllt. «Die Zentralbanken werden erst einmal zuschauen, welche neuen politischen Rahmenbedingungen gesetzt werden.» So hatte der Börsenexperte von der heutigen EZB-Entscheidung erwartet, wie auch entschieden wurde – dass die Bank am Kaufprogramm festhalten und weiterhin auch auf den massiven Aufkauf von Unternehmens-Obligationen setzen wird.
Weit vom Inflationsziel entfernt
Auch Karsten Junius, Chefvolkswirt der Bank J. Safra Sarasin, geht nicht von einer baldigen Kehrtwende der Euro-Notenbank aus. So habe diese in der Vergangenheit stets betont, ihr Kaufprogramm solange fortzusetzen, bis die Inflationsentwicklung nachhaltig in Richtung 2 Prozent ansteigt. Davon kann bislang nicht die Rede sein: Zuletzt lag die jährliche Geldentwertung bei nur 0,2 Prozent. Die Finanzmärkte gehen laut Umfragen in nächster Zeit nicht von einer deutlichen Steigerung aus. «Das spricht aus heutiger Sicht klar für eine Verlängerung des Programms über März 2017 hinaus», sagt Junius.
Wichtig sei allerdings zu klären, wie das Kaufprogramm in Zukunft gestaltet werden soll. Denn der deutschen, finnischen, portugiesischen und irischen Zentralbank gehen allmählich die verfügbaren Kaufziele aus. Die EZB solle daher bald darüber entscheiden, welche zusätzlichen Obligationen von den nationalen Notenbanken erworben werden dürften. «Am einfachsten wäre es, wenn die EZB erlauben würde, auch Obligationen mit einer Rendite zu kaufen, die niedriger ist als ihr Einlagensatz von aktuell minus 0,4 Prozent», sagt Junius.
Für die Schweiz würde das bedeuten, dass die Zinsdifferenz von Euro- und Franken-Obligationen noch weiter schrumpft – vor allem bei mittleren Laufzeiten. «Das könnte neuen Aufwärtsdruck auf den Franken ausüben. Dann wären entweder höhere Devisenmarktinterventionen der Schweizerischen Nationalbank nötig. Oder sie müsste die Zinsen weiter senken, zum Beispiel auf minus ein Prozent», prognostiziert Junius.
Festhalten am Negativzins
Von Seiten der US-Notenbank Fed kann laut Experten frühestens Mitte Dezember mit einer Zinserhöhung gerechnet werden, vielleicht sogar erst im März 2017. Auch die Japaner werden laut Acket voraussichtlich weiter am Negativzins festhalten. Hier könnte es aber zu einer Überraschung kommen, was zusätzliche geldpolitische Massnahmen betrifft. Heisst: Möglicherweise legen auch die Japaner neue Kaufprogramme von Obligationen auf.
«Insgesamt ist die Geldpolitik der Zentralbanken gescheitert, die mit Zinssenkungen und Anleihekäufen ja nachhaltiges Wachstum auslösen wollten» sagt Acket: «Die Notenbanken haben heute kaum eine Handhabe mehr, um der drohenden Deflationierung wirksam entgegen zu wirken.» Am liebsten würden die Zentralbanken auf ihren alten Kurs zurückkehren und die Zinsen erhöhen, schätzt der Ökonom. Bloss reagierten die Marktteilnehmer schon allein auf eine solche Ankündigung wie Drogenkranke, nämlich mit Zittern, hoher Nervosität und wenig Selbstvertrauen. «In diesem Sinne ist eine Konjunktursteuerung durch die Zentralbanken über die Zinsen ausgehebelt.»
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