Die Temperatur liegt konstant bei etwas über zwanzig Grad Celsius, sie variiert höchstens um zwei Grad pro Tag. Die Luftfeuchtigkeit bewegt sich zwischen 40 und 60 Prozent. Das Licht strahlt intensiv, weich und gleichmässig, der Lärm ist gedämpft und übersteigt nie 73 Dezibel. Wir befinden uns im Herzen der Fabrik, wo die begehrtesten Boliden der Welt gebaut werden, in «Ferrari-City». Hier, am Rand des Bauerndorfes Maranello bei Modena in der Poebene, wurde in den letzten zehn Jahren der wohl beeindruckendste Turnaround der Automobilgeschichte geschafft.

Hunderte von Millionen haben sich an die Bilder gewöhnt, die jeweils nach den Grand-Prix-Rennen der Formel 1 weltweit über die Bildschirme flimmern: Michael Schumacher auf dem Siegerpodest. Ihm zur Seite sein brasilianischer Teamkollege Rubens Barrichello. Wenn Mitte Oktober im japanischen Suzuka die Formel-1-Saison zu Ende geht, spielt es keine Rolle mehr, ob die beiden wiederum gewinnen. So oder so wird es die erfolgreichste Saison sein, die je ein Rennstall hingelegt hat: Seit seinem Sieg Ende Juli im französischen Magny-Cours hat Schumi seinen fünften Weltmeistertitel im Sack, und die Scuderia Ferrari ist mit mehr als doppelt so vielen Punkten vor Williams-BMW und McLaren-Mercedes unbestrittene Nummer eins der Konstrukteure-Weltrangliste. Nach mehr als zwanzigjähriger Durststrecke ist das «cavallo rampante» – das springende, schwarze Ferrari-Pferd auf gelbem Grund – weltweit einsame Spitze. Das einstige Problemkind des mit 6,6 Milliarden Euro verschuldeten Fiat-Konzerns (dem die Ferrari-Gruppe zu 56 Prozent gehört) wurde zum Klassenprimus. Bessere Voraussetzungen für den auf 2003 geplanten Börsengang hätte sich der Turiner Konzern kaum wünschen können. Mindestens eine Milliarde Euro erhofft er sich davon für seine maroden Kassen.

Den beispiellosen rennsportlichen Triumph verdankt die Scuderia von Maranello Michael Schumacher, dem derzeit weltbesten Rennfahrer – der dafür pro Saison die astronomische Gage von schätzungsweise 38 Millionen Euro kassiert. Den kommerziellen Erfolg hat Luca Cordero di Montezemolo, seit Ende 1991 CEO der Gruppe, gebracht. Damals übernahm er sie in einem desolaten Zustand. Ferrari litt einerseits unter der Krise des amerikanischen Marktes in der Folge des Golfkriegs und anderseits unter der in Italien neu eingeführten Supersteuer auf Luxuswagen. Nur noch 3500 Autos, 1100 weniger als im Vorjahr, wurden 1991 hergestellt, bei einer Produktionskapazität von 6000 Wagen pro Jahr. Jeder dritte Ferrari-Arbeiter musste auf Kurzarbeit gesetzt werden. Das Tief, in dem Maranello damals steckte, war auch ein sportliches. Während der Saisons 1992 und 1993 gewann Ferrari kein einziges Rennen.

Montezemolo setzte auf Innovation und neue Märkte: Brasilien, Asien (Singapur, Hongkong und China), später Norwegen, Argentinien, Chile, Indonesien und Osteuropa. Neue Modelle wurden lanciert, die Fabrikanlagen erneuert und teilweise automatisiert. Nicht nur der sportliche, auch der wirtschaftliche Neubeginn ist ihm damit gelungen. Während die Autobranche weltweit gegen die schwerste Strukturkrise seit Jahren ankämpft, begann der Markt bei Ferrari wieder anzuziehen. Heute scheint der Boom beim Hersteller der italienischen Prestigeboliden nicht mehr zu bremsen zu sein. Die Gruppe, zu der seit 1997 auch das Maserati-Werk gehört, realisierte vergangenes Jahr ein überraschendes Umsatzplus. Mit mehr als 6000 verkauften Autos, davon 1900 Maserati, stieg der Umsatz um 18,5 Prozent auf 1058 Millionen Euro. Der operative Gewinn nahm von 45,6 auf 62 Millionen Euro zu – und das trotz oder gerade wegen teilweise erhöhter Preise für die Edelkarrossen. Die lange Warteliste der Kaufinteressenten beweist, dass der Preis in dieser Kategorie kaum noch eine Rolle spielt. Im Mittel beträgt die Wartezeit zwei Jahre. Deshalb nimmt auch die Nachfrage nach Gebrauchtwagen irrationale Dimensionen an. Modelle wie der F40 zum Beispiel werden zum Drei- und Vierfachen des ursprünglichen Listenpreises gehandelt.

In Italien ist Montezemolo längst ein Held. Die inländischen Medien jubeln über das «Ferrari-Wunder». Sogar die Gewerkschafter sind des Lobes voll: «Es ist unbestreitbar, dass die unternehmerische Politik die richtige ist», sagt Gewerkschaftssekretär Oscar Zanasi, seit Jahren für Ferrari zuständig. «Montezemolos Problem ist sein Erfolg», schrieb auch die «Financial Times», und «Business Week» klassierte ihn dieses Frühjahr unter den 50 «Stars of European Top Managers».

Ferrari symbolisiert Italiens Nationalstolz wie der Schiefe Turm von Pisa und die Pizza. Kein Wunder, dass Montezemolo brüskiert war, als der Fiat-Konzern diesen Sommer, ohne ihn vorgängig zu konsultieren, einen 34-Prozent-Anteil von Ferrari für 775 Millionen Euro an die Mailänder Investment-Bank Mediobanca abtrat, die darauf ein zehnprozentiges Aktienpaket der deutschen Commerzbank überliess. Ferrari wird deutsch! Eine kalte Dusche für den CEO, der schliesslich pflichtgemäss verlauten liess: «Der Einstieg neuer Aktionäre eröffnet uns neue Entwicklungsmöglichkeiten.»

Montezemolo kannte den Laden, als er 1991 seinen Job antrat. Firmengründer Enzo Ferrari, mit der Familie befreundet, hatte den jungen Rallye-Piloten 1973 nach Maranello geholt und ihn erst zu seinem Assistenten, kurz darauf zum Rennleiter des Ferrari-Teams gemacht. Unter Montezemolo gewann Ferrari mit Niki Lauda schon zwei Jahre später und 1977 erneut den Weltmeistertitel. 1977 berief ihn Giovanni Agnelli dann als PR-Chef ins Hauptquartier von Fiat nach Turin. Nach einem Intermezzo an der Spitze des Getränkeherstellers Cinzano organisierte Montezemolo als Generaldirektor 1990 die Fussballweltmeisterschaft. Er war überdies Vizepräsident von Agnellis Fussballverein Juventus und setzte sich erfolgreich für das italienische Engagement beim Segelklassiker America’s Cup ein. Zweimal bot ihm Premier Silvio Berlusconi einen Job in seiner Regierung an, als Minister für Aussenhandel und als Aussenminister. Als die Kunde davon nach aussen drang, erhielt Montezemolo einen Brief der Ferrari-Mitarbeiter mit mehr als tausend Unterschriften. Sie baten ihn zu bleiben. «Das war einer der schönsten Momente meiner zehn Jahre in der Firma», sagt Montezemolo, der den Titel eines Marchese, also Markgrafen, trägt.

Mit den besten Leuten der Branche stellte er sein Topkader von international erfahrenen Spezialisten zusammen. Der Engländer Ross Brawn (48), unter dem sich Schumi bei Benetton zwei Weltmeistertitel holte, koordiniert als technischer Direktor die einzelnen Abteilungen. Rennwagenkonstrukteur Rory Byrne (58) aus Südafrika ist Chefdesigner und insbesondere für den Bau der Chassis verantwortlich, der von Peugeot geholte Franzose Jean Todt (56) Teamchef und Rennleiter der Scuderia. Es war Todt, der Schumacher zu Ferrari holte. Die Piloten und auch die Testfahrer sind in die Entwicklung der Autos involviert. In der Forschungsabteilung arbeiten Spezialisten für Aerodynamik, Elektronik, Telemetrie usw. Rund 2000 Angestellte stehen derzeit bei Ferrari im Einsatz (500 bei Maserati) – und bereits für die nahe Zukunft ist von einer massiven personellen Aufstockung die Rede.

Grundlage der totalen Erneuerung der historischen Fabrikanlagen von Maranello, wo 1947 der erste Ferrari gebaut wurde, ist der so genannte Masterplan, den Montezemolo 1997 vorlegte. Das revolutionäre Projekt steht für die innovative industrielle Produktionskultur bei Ferrari. Das Unternehmen lässt sich seine Futureworld einen geschätzten dreistelligen Millionenbetrag in Euros kosten (genaue Zahlen werden nicht bekannt gegeben). Sie entsteht auf einem Terrain von 150 000 Quadratmetern, heisst «Formula Uomo» und soll bis in vier Jahren endgültig vollendet sein. «Uomo» deshalb, weil die Menschen, die hier arbeiten, sich wohl fühlen sollen. Staub, Lärm, Rauch und stiebende Funken in düsteren Hallen der traditionellen Autofabriken sind Vergangenheit. In den bereits fertig gestellten Hallen herrscht überall fast klinische Sauberkeit, nirgendwo Schmieröl- oder Fettflecken. Die Monteure tragen weisse Handschuhe bei der Arbeit. Licht und helle Farben, Grünanlagen mit Palmen und Bambushainen, ökologische Inseln und Wasserbassins vor den Gebäudekomplexen aus Aluminium und Glasfassaden prägen das Gelände.

Der gigantische, röhrenförmige Windkanal, das Werk des renommierten Genueser Architekten Renzo Piano – nach dessen Plänen die Fondation Beyeler gebaut wurde und derzeit in Bern das Paul-Klee- Museum –, ist seit 1998 in Betrieb und gilt als Symbol für die Erneuerung bei Ferrari.

Die Motorenproduktion, der so genannte «Engine Shop», ist ebenso bereits umgezogen wie das Logistikzentrum. Die futuristisch anmutende, stromlinienförmige Halle an der Teststrecke in Fiorano beim Ferrari Racing Department erinnert an ein Luftschiff und wird deshalb Zeppelin genannt. Nächstes Jahr soll das neue Entwicklungszentrum bereit sein. Es umfasst drei Ebenen und steht auf Säulen über ausgedehnten Indoor-Wasserflächen, die von einem Bambuswald umsäumt sind.

Pro Jahr sollen hier künftig höchstens 4200 Ferrari gebaut werden. Die Exklusivität, auf die das Unternehmen seinen Erfolg baut, muss erhalten bleiben. Das Ferrari-Know-how wird auch für den «kleinen Bruder» Maserati genutzt. Dieses Jahr werden rund 3800 Maserati gebaut. Ziel ist eine Jahresproduktion von 10 000 Wagen. 90 Millionen Euro wurden bisher in die Restrukturierung des Maserati-Werks investiert, 300 Millionen in den kommenden Jahren, zu einem Grossteil für Forschung und Entwicklung. Maserati sieht Montezemolo zwischen Alfa Romeo und Ferrari: «Beides sind Luxusmarken, doch ihre Märkte sind verschieden und komplementär.»

Entsprechend unterscheiden sich die Preise: Der neue Maserati Coupé GT kommt auf knapp 90 000 Euro zu stehen, der Modena 360, der billigste Ferrari, kostet immerhin mehr als 130 000 Euro, und wer sich um das jüngste Bijou aus Maranello bewirbt, muss gar stolze 700 000 Euro hinblättern. Der schnellste Seriensportwagen der Welt (Spitze nach Werkangaben: mehr als 360 Kilometer pro Stunde) trägt den Namen des Firmengründers, Commendatore Enzo Ferrari (1898–1988). Ein zweisitziges Coupé, 660 PS, Formel-1-Aerodynamik, Beschleunigung auf 100 Kilometer pro Stunde in 3,7 Sekunden, Pininfarina-Design. Nur 349 Exemplare sollen gebaut werden.

Immer wieder zu überraschen und dem Produkt manische Beachtung bis ins allerletzte Detail zu schenken, gehören zu den Leitsätzen der Unternehmenspolitik, die Enzo Ferrari seinen Nachfolgern vererbt hat. Montezemolo setzt sie um und pflegt so den Mythos der Marke. Die Ferraristi nie enttäuschen zu dürfen, ist sein Credo. Wie sagte doch Patriarch Enzo Ferrari? «Der beste Ferrari ist immer der, den wir noch nicht gebaut haben.»


Schweiz: Weltweit grösste Ferrari-Dichte
Mit rund 240 verkauften Autos pro Jahr ist die Schweiz weltweit das Land mit der grössten Ferrari-Dichte. Seit 1952, fünf Jahre nachdem in Maranello der erste Ferrari gebaut worden ist, werden die Boliden in die Schweiz eingeführt. Im Segment der Topsportwagen betrug der Marktanteil von Ferrari im letzten Jahr 27 Prozent. Rund sechs Prozent aller produzierten Ferrari werden in die Schweiz verkauft. Heute betreut der Importeur, die 1994 gegründete Ferrari Suisse in Nyon VD, mit zehn Konzessionären etwa 4000 Fahrzeuge. Vom neuesten Modell, dem Supercar Enzo Ferrari, werden in den nächsten zwei Jahren zwanzig Exemplare in die Schweiz geliefert.
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