Nahrungsergänzungsmittel gegen das Altern finden reissenden Absatz. Das war an der Longevity Investors Conference zu hören, die jetzt gerade Ende September 2023 zum zweiten Mal in Gstaad stattfand. Über steiles Umsatzwachstum der Branche berichtete Tobias Reichmuth (44) gleich in seiner Eröffnungsrede. Er ist einer der Initianten der Konferenz im Luxushotel Le Grand Bellevue.

Dort treffen sich rund 120 reiche Investorinnen und Investoren, Startup-Unternehmerinnen und Wissenschafter. Viele von ihnen betrachten das Altern als Krankheit, die heilbar werden soll. Investoren und Investorinnen, die an der Konferenz teilnehmen wollen, müssen mindestens 4500 Franken für ein Konferenzticket bezahlen und 1 Million Franken frei verfügbares Vermögen mitbringen, das sie ins Geschäftsfeld der Langlebigkeit investieren können. So wollen es die Organisatoren.

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Reichmuth hat die Konferenz zusammen mit Marc Bernegger (44) initiiert. Die beiden sind auch Co-Gründer von Maximon, einer Firma, die Gründer und Gründerinnen in der Langlebigkeitsbranche unterstützt und in deren Unternehmen investiert. Unter den Fittichen von Maximon ist etwa die Firma Avea, die Pillen und Pulver anbietet, die in Marketing-Texten so beschrieben werden: «Bioverfügbare Inhaltsstoffe von höchster Qualität, um Zeichen des Alterns zu verlangsamen. Wissenschaftliche Lösungen, damit du dich voller Energie, vital und jugendlich fühlst.» 

Gemäss Reichmuth schiessen die Verkäufe der Firma Avea derzeit steil nach oben. Der Umsatz wachse um 20 Prozent pro Monat. Allein im August seien Produkte im Wert von 450’000 Franken verkauft worden. Zudem scheint das Geschäft hoch lukrativ mit einer Bruttomarge von über 50 Prozent, wie Reichmuth auf einer Folie zum Geschäft zeigt. 

Tobias Reichmuth zeigt den Geschäftsverlauf von Avea

Tobias Reichmuth zeigt in einem Vortrag an der Longevity Investors Conference die Kurve zum Geschäftsverlauf von Avea 

Quelle: Harry Büsser

Natürlich ist die Vorstellung für die Konsumenten verlockend, dass man nur einige Pillen und Pülverchen nehmen muss, um jung zu bleiben. Das weiss auch die Westschweizer Nahrungsmittelwissenschafterin Sophie Chabloz (34). Sie ist Co-Gründerin und Chief Product Officer bei Avea. Chabloz hat in einem Interview gegenüber dem Magazin «Millionär» ausführlich beschrieben, was man alles tun sollte, um jung zu bleiben, bevor man an Pillen und Pülverchen denkt. Dazu gehören unter anderem viel Bewegung, kalt duschen, Sauna und Intervallfasten.

Wer weniger isst, lebt länger und gesünder

Letzteres hat einen besonders starken Effekt, wie in verschiedenen Studien gezeigt werden konnte. Es ist also äusserst gesund, beim Essen sehr zurückhaltend zu sein, und die tägliche Anzahl Kalorien einzuschränken. Wenn man Mäusen nur noch ein Viertel der üblichen Kalorien zu futtern gibt, werden sie nicht nur die normalen 36 Monate alt, sondern leben im Schnitt über 40 Monate. Dabei werden die Nager nicht nur älter, sondern sie bleiben auch länger gesund und fit.

Auch stärkere Kalorienreduktion wirkt sich positiv aus, solange die Mäuse nicht verhungern. Wenn man ihnen nur noch 35 Prozent der üblichen Kalorien gibt, werden sie im Schnitt 50 Prozent älter als normal. Bei Menschen entspräche das einem Alter von rund 120 Jahren.  

Die lebensverlängernde Wirkung hat weniger damit zu tun, dass man sich nicht so stark verbraucht, sondern damit, dass die Kalorienrestriktion viele Reparaturmechanismen anstosse. So führte Eric Verdin (66) in einem Vortrag in Gstaad aus. Er leitet das Buck Institute in Kalifornien, eines der weltgrössten Non-Profit-Unternehmen im Bereich Langlebigkeit.

Wer fastet, setzt zelluläre Reparaturmechanismen in Gang

Der Effekt der Kalorienreduktion lässt sich evolutionär begründen, wie der Arzt Peter Attia (50) in seinem Buch «Outlive» schreibt. Wenn der Körper keine Nahrung verarbeiten muss, hat er Zeit, Reparaturmechanismen anzustossen. Dazu gehört es, abgestorbene Zellen loszuwerden und die DNA zu reparieren, wo der menschliche Bauplan gespeichert ist. Dort können sich Schäden kumulieren, was dazu führt, dass die Zellenerneuerung nicht mehr optimal läuft. Das ist auf zellulärer Ebene der Grund, wieso man im Alter schrumpelige, faltige Haut bekommt und viel weitere Alterserscheinungen.

Im Vergleich zur Kalorien-Restriktion haben viele Nahrungsergänzungsmittel gemäss Verdin nur beschränkt lebensverlängernde Wirkung. Trotzdem gibt es sehr viele verschiedene Pillen und Pulver, die den Konsumenten eine solche Wirkung versprechen. Vieles davon ist Quacksalberei. Kein Wunder, in einem Markt, wo die Hoffnung der Konsumenten und Konsumentinnen auf das Gewinninteresse von Firmen trifft. Es gibt aber auch einige Wirkstoffe mit wissenschaftlich erwiesener Wirkung.

5 Prozent länger leben mit NR oder NMN

Gemäss Daten, die Verdin an der Konferenz in Gstaad präsentiert, kann Nicotinamid Riboside (NR) das Leben um 5 Prozent verlängern. Es ist eines der meistdiskutierten Nahrungsergänzungsmittel in der Longevity-Szene. Die Firma Chromadex hat ein Patent auf eine Form von NR und ist an der Börse rund 100 Millionen Dollar wert – in der Hausse im Jahr 2021 war es sogar über 1 Milliarde Dollar. Die Umsätze zeigen steigende Tendenz, im zweiten Quartal dieses Jahres wurden rund 20 Millionen Dollar umgesetzt. 

Der Schweizer Nahrungsmittelmulti Nestlé hat im Oktober 2022 eine Vereinbarung mit Chromadex für den Vertrieb von Produkten der Firma getroffen. Zudem lässt Nestlé in einer klinischen Studie in Lausanne überprüfen, wie gut der Wirkstoff von Chromadex im Vergleich zu Nicotinamid Mononucleotide (NMN) wirkt. Beides sind Vorläufer von Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD), das der Körper für die Energieproduktion benötigt – die «Handelszeitung» hat hier darüber berichtet.

Die Wirkung von NMN ist vielleicht nicht so stark lebensverlängernd, aber erhöht möglicherweise die gesunde und fitte Lebensspanne deutlich. Das ist den Aussagen von David Sinclair zu entnehmen, der Professor an der renommierten Harvard Medical School ist. Er erwähnt immer wieder gerne öffentlich, dass er selber und sein Vater täglich 1 Gramm NMN nehmen.

Sinclair ist in Gstaad nur virtuell über eine Videokonferenz zugeschaltet, weil er derzeit auf einer Insel in der Nähe des japanischen Festlands sei. Er zeigt unter anderem ein Video, auf dem gleichaltrige Mäuse zu sehen sein sollen. Die eine sieht alt und gebrechlich aus, hat schütteres, gräuliches Fell und kommt auf dem Laufband kaum vorwärts. Die andere Maus nimmt NMN über das Trinkwasser auf. Sie hat dichtes, dunkles Fell und rennt frisch und fröhlich auf dem Laufband nebenan, während die andere Maus kaum mehr laufen kann.   

Während Sinclair täglich ein Gramm NMN schluckt, nimmt Reichmuth deutlich weniger. Er habe mal mit 500 Milligramm angefangen, aber dann kaum mehr schlafen können. Jetzt habe er auf 250 Milligramm reduziert. Damit scheint er sehr gut zu leben. In einem Werbefilm für die Firma Avea – in die er investiert ist – sagt er, dass er sich dank NMN am Morgen so fühle, als ob ihm die Welt gehöre. Der Werbedruck der Firma auf Social Media ist aktuell gross. Wer sich online mit dem Thema NMN auseinandersetzt, erhält oft verschiedene Werbefilme von Avea eingespielt. 

Vier bis fünf Jahre länger leben mit Metformin

NMN ist zwar eines der grossen Themen in der Longevity-Szene, aber nicht das Einzige. Es gibt noch einige andere Mittel, die rege diskutiert werden. Verdin listet in seiner Präsentation in Gstaad die lebensverlängernde Wirkung des verschreibungspflichtigen Medikaments Metformin auf. Eigentlich ist es ein Wirkstoff für Diabetes-2-Patienten – im Volksmund auch Altersdiabetes genannt.

Metformin hemmt die Produktion von Glukose in der Leber. Studien zeigen, dass die Einnahme von Metformin bessere Gesundheit und ein längeres Leben ermöglicht, auch im Vergleich zu nicht Zuckerkranken. Allerdings beträgt die mögliche Lebensverlängerung gemäss den Daten von Verdin – die aus Studien mit Mäusen generiert wurden – gerade mal 6 Prozent. Auf die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen umgerechnet sind das etwa vier bis fünf Jahre.   

Gleichzeitig kann Metformin gemäss einigen Studien die Muskelbildung erschweren. Allerdings sieht das Nir Barzilai (67) anders, wie er in einem Gespräch in Gstaad erläutert. Barzilai ist einer der lautesten Fürsprecher des Wirkstoffes Metformin als Medikament für Langlebigkeit. Er ist Direktor am Albert Einstein College of Medicine in New York, das mit dem Buck Insitute von Verdin zu den weltgrössten Forschungsinstituten im Bereich Langlebigkeit gehört. Barzilai führt seine Erkenntnisse zu Metformin im Gespräch bei einem Mittagessen in Gstaad aus: Andere Studien hätten gezeigt, dass zwar weniger Muskelmasse aufgebaut werde, aber gleich viel Kraft. Die Muskeln würden also dichter, effektiver pro Volumen. Arnold Schwarzenegger wäre also mit Metformin nie Mr. Olympia im Bodybuilding geworden, sage ich. Barzilai lacht. 

16 Jahre länger leben mit Acarbose

Noch stärker lebensverlängernde Wirkung als Metformin verspricht der Wirkstoff Acarbose. Es ist ebenfalls ein Medikament für Diabetes-Patienten. Gemäss Daten von Verdin soll Acarbose die Lebenserwartung von Mäusen um 22 Prozent verlängern. Auf Menschen umgerechnet wären das 16 Jahre.

Allerdings ist bei solchen direkten Umrechnungen der Wirkung von Mäusen auf Menschen Vorsicht geboten. Es gäbe über hundert verschiedene Interventionen, die das Leben von Mäusen verlängern könnten, aber die meisten fallen beim Menschen durch.

Nebenwirkungen: Durchfall, Blähungen und Bauchschmerzen 

Genau das muss auch bei der Einnahme von Acarbose erwartet werden. Eine der Nebenwirkungen ist Durchfall. Weitere sind Blähungen, Bauchschmerzen und Darmgeräusche. Die werden durch den Wirkmechanismus von Acarbose verursacht. Dieser führt dazu, dass Stärke (ein komplexer Zucker) im Dünndarm nicht mehr richtig verdaut wird.

Wer noch mehr lebensverlängernde Wirkung will, könnte zu Rapamycin greifen. Das bringt bei Mäusen 26 Prozent mehr Lebenszeit. Allerdings ist Rapamycin ein Medikament, das das Immunsystem herunterfährt. Es wird in der Medizin bei Organtransplantationen eingesetzt, damit ein neues Organ nicht abgestossen wird.

Unter Laborbindungen für Mäuse mag eine Immunsystem nicht so wichtig sein. Aber für Menschen, die im Kontakt mit vielen anderen Menschen stehen, ist die Bedeutung eines funktionierenden Immunsystems natürlich evident. Das zeigt sich bei älteren Menschen, denn das Immunsystem funktioniert in der Tendenz immer weniger gut, je älter man wird. Das hat sich zuletzt in Pandemie mit dem Corona-Virus gezeigt, wo ältere Menschen öfter hospitalisiert werden mussten.  

Länger gesund bleiben, aber nicht länger leben 

Aus seinen Daten schliesst Verdin, dass es heute zwar Möglichkeiten gebe, länger gesund zu bleiben, eine Lebensverlängerung dagegen bisher kaum erreichbar scheint. Deshalb liessen ihn auch Aussagen in der Longevity-Szene erschaudern, die schon bald eine Lebensspanne von tausend Jahren oder gar Unsterblichkeit als möglich einschätzen. Verdin meint, das sei, als ob Elon Musk davon reden würde, schon bald in andere Sternensysteme reisen zu können.

Die letzte Aussage ist ein Steinwurf in Richtung Aubrey de Grey, eine der Gallionsfiguren der Longevity-Szene. Er hatte gegenüber dem Magazin «Millionär» bereits 2020 gesagt, der erste Mensch sei schon geboren worden, der tausend Jahre alt werde. Dort erklärt er das unter anderem mit der «longevity escape velocity», der Langlebigkeitsfluchtgeschwindigkeit.

De Grey nimmt den Stein als nächster Redner in Gstaad gleich auf, sagt, dass Verdin damit auch ihn meine. Trotzdem bleibe er freundschaftlich mit Verdin verbunden. Sie beide forschten am Gleichen: «Ob extreme Langlebigkeit das Ziel sei oder einfach ein wenig länger und gesünder leben: Die nächsten Schritte sind für uns beide die gleichen.»