«Du willst über ein grosses Reich herrschen? Dann beherrsche dich selbst.» So sagte es der römische Schreiber Publilius Syrus vor zweitausend Jahren. Das ist aktuell ein weiser Rat für Anleger. Viele sehen in der Annäherung der schweizerischen und globalen Aktien an den Break-even-Point für 2020 einen Verkaufsgrund.

Sie fürchten hohe Covid-19-Zahlen in Genf und andernorts, eskalierende Spannungen zwischen China und dem Westen oder andere «Risiken», die erneut auf die Aktienmärkte drücken. Diese Schlagzeilenfixierung verdeckt jedoch das grösste Risiko überhaupt: die Anleger selbst.

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Über den Autor

Ken Fisher ist Gründer und Executive Chairman von Fisher Investments, einer Vermögensverwaltungsfirma mit Niederlassungen in sechs Ländern, die rund 188 Milliarden Dollar verwaltet. Fisher zählt zu den einflussreichsten (und auch reichsten) Investment-Managern der USA.

Der Zusammenbruch 2020 versetzte viele Anleger in eine Schockstarre. Der Vorteil? Die Lähmung bedeutete Inaktivität, wodurch ein Teil der Erholung mitgenommen werden konnte. Der Nachteil? Viele kommen wieder in Bewegung und werden aktiv.

Verzweifelt darum bemüht, einem weiteren Einbruch zu entgehen, sehen Sie in der kräftigen Erholung den perfekten Ausstiegszeitpunkt. Ein Verkauf nach einem wieder aufgeholten Marktrückgang ist ein wirkungsvoller emotionaler Balsam.

Man ist nach dem ganzen Schmerz nicht am Boden und kann eine Wiederholung vermeiden. Das fühlt sich an wie ein Gewinn. Aber Gefühle sind gefährlich. Wer sich ausverkauft hat oder Bargeld hortet, steht vor einer ähnlichen Herausforderung: Wann sollte man wieder kaufen? Unterstützung für das Meiden von Aktien findet sich überall.

Die Schlagzeilen künden von zahlreichen Ängsten

Die schweizerischen Covid-19-Zahlen erreichen die höchsten Werte seit vier Monaten, auch die deutschen und französischen steigen kräftig; fallende Uhrenexporte, die einen geringen Appetit auf schweizerische Luxuswaren signalisieren; und die Interventionen der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die möglicherweise zu einer Bestrafung als «Währungsmanipulator» durch die USA führen.

Wer auf diese Risiken fixiert ist, fällt dem sogenannten Bestätigungsfehler zum Opfer – er sieht nur die Informationen, die seine Meinung unterstützen, wie ich es bereits in einer Kolumne beschrieben habe. Die emotionalen Narben des Abschwungs machen viele blind für gegenteilige Anzeichen.

Aktien jedoch wegen bekannter Ängste zu meiden, heisst, nach hinten zu schauen – ein klassischer Fehler. Nach jedem fallenden Markt kommt es zu Ängsten vor einem Doppeltief. So war es schon immer.

Die Vergangenheit machte Sorgen

In 2009 machten sich die Leute Sorgen um die schweizerischen Banken, einen steigenden Franken, der auf die Exporte drückt und einen prognostizierten, jahrzehntelangen globalen Schuldenkater. Trotzdem stiegen die Aktienmärkte sprunghaft.

In 2003 lösten stagnierende Konsumausgaben, Terrorismus und der von den USA angeführte Einmarsch im Irak Ängste aus. Nichts von alledem brachte den neuen Bullenmarkt aus der Spur. Doppelte Rückgänge sind selten.

Viele behaupten, dass die fallenden Märkte, die 1929 und 1937 einsetzten, ein Doppeltief gewesen seien. Aber hier lagen einige Jahre dazwischen. Wenn wir aufgrund seiner langen Geschichte den S&P 500 anschauen, stiegen die Aktien dazwischen um 324 Prozent.

Die Volkswirtschaften wuchsen

Es handelte sich um zwei voneinander völlig unabhängige Abschwünge. Regionale Doppeltiefs kommen jedoch vor, wie z. B. die Schwierigkeiten Anfang der 1990er-Jahre in Europa und die Schwäche in den USA Anfang der 1980er-Jahre.

Auch wenn die Ängste vor einem Doppeltief nach einem Abschwung weit verbreitet sind, erweisen sie sich meist als falsch. Neue Bullenmärkte kommen nicht so schnell aus der Spur. Fallende Märkte senken die Erwartungen – und Aktienkurse – so weit, dass eine Enttäuschung der Anleger extrem unwahrscheinlich wird.

Wenn wir nochmal den amerikanischen S&P 500 bemühen, dann erzielten in den 11 globalen Bullenmärkten zwischen 1929 und 2019 die Aktien während den ersten 180 Tagen hervorragende Renditen von durchschnittlich 27,8 Prozent.

Die Renditen nach dem Tief

Trotz den normalen Schwankungen verliefen die folgenden sechs Monate ähnlich – die durchschnittlichen Renditen erreichten 12 Monate nach dem Tief 46,6 Prozent. Entscheidend ist, dass diese frühen Gewinne sich über den Rest des Bullenmarkts aufaddieren.

Manchmal funktioniert der Verkauf um den Break-even-Point herum. Für die schweizerischen Anleger galt das 2007, als im Juni ein neuer Abschwung einsetzte und sich die globalen Märkte, in Franken gemessen, dem Spitzenwert aus dem Jahr 2000 näherten, ihn jedoch nie erreichten.

Aber das war eine währungsbedingte Besonderheit und ein Bullenmarkt, der vor seinem natürlichen Ende entgleiste. Ein Ausstieg rund um den Break-even-Point bereitet danach fast immer Kummer. Überlegen Sie: Die weltweiten Aktien tilgten ihren Rückgang aus dem Bärenmarkt von 2007 - 2009 am 15. Januar 2015.

Der riskanteste Schachzug

Der Bullenmarkt hielt noch weitere fünf Jahre an, während derer die Aktien um 52,9 Prozent zulegten. Daher ist es trotz den nagenden Sorgen, die fallende Märkte auslösen, der riskanteste Schachzug, zu Beginn eines Aufschwungs keine Aktien zu besitzen.

Die meisten Anleger brauchen für ihre langfristigen Ziele liquide Renditen, wie sie nur Aktien bieten. In ihrer langen Geschichte erreichten US-Aktien seit 1925 auf Jahresbasis eine Rendite von etwa 10 Prozent.

Dabei vergessen die Anleger gerne, dass darin alle auf den Magen schlagenden Marktschwächen, jeder rückläufige Tag, die Grosse Depression, der Absturz am Black Monday 1987, der Zusammenbruch 2008-2009 und sogar die qualvollen Monate Februar und März 2020 enthalten sind.

Versuch und Irrtum

Einem Bärenmarkt auszuweichen und tiefer wieder einzusteigen befeuert die Renditen. Aber Versuch und Irrtum – was den meisten passiert, die das versuchen – ist desaströs. Überlegen Sie: Eine Anlage von 10‘000 USD im S&P 500 Anfang 1988 wuchs bis Ende 2019 auf 256‘000 USD.

Ohne die besten 10 Tage dieser Spanne fallen die Gewinne auf etwa 128‘000 USD. Wurden die 20 besten Tage verpasst, waren es nur noch 80‘000 USD. Daher sollten die meisten Anleger aus Aktien nur dann aussteigen oder sie meiden, wenn sie etwas wissen, was andere nicht wissen – nicht wegen bekannter Ängste, die Aktien immer im Voraus einpreisen.

Nicht wegen der Angst aufgrund eines früheren Abschwungs - das ist ein zurückliegender Faktor, losgelöst von Ihren Anlagezielen. Als Reaktion auf kurzfristige Schwankungen um Aktien einen Bogen zu machen, verringert nicht automatisch das Risiko.

Die Weisheit des Anlagepioniers

Sehr oft steigt dadurch das Risiko, dass die Anlageziele nicht erreicht werden. Gute Anleger kämpfen nicht gegen unvorhersehbare Schwankungen und wiederkehrende Abschwungsängste. Sie lassen auch nicht zu, dass durch den Bestätigungsfehler Fehler der Vergangenheit aufgehäuft werden, während die Bullenmärkte voranschreiten.

Sie akzeptieren ein gewisses Unbehagen als Preis für die hohen Renditen, die sie benötigen. Sie beherzigen die zeitlose Weisheit des Anlagepioniers Ben Graham: «Das grösste Problem eines Anlegers – und sogar sein schlimmster Feind – ist vermutlich er selbst.»