Herr Koller, Sie sind nun 20 Jahre bei BB Biotech. Wie hat sich das Marktumfeld für die Biotechnologie verändert?
Es ist eine Industrie entstanden, die Talente und Investitionen anzieht und global Opportunitäten bietet. Anfang und Mitte 2000er Jahre brauchten fast alle Biotech-Firmen einen Pharma-Partner, um ihre Technologie oder ihr Medikament in den Markt zu bringen. Die Branche ist jetzt emanzipiert.
Und technologisch?
Es wurden eine Vielzahl neuer Technologien entwickelt. Beispielsweise die RNA-basierten Therapien von Unternehmen wie Ionis, Alnylam oder Moderna. Zudem findet mit CRISPR ein Revival der Gentherapien statt, nachdem diese wegen schwerster Nebenwirkungen eine Dekade zuvor zurückgebunden wurden (Anm. der Red.: CRISPR ist ein molekularbiologisches Verfahren, um einen DNA-Strang an einer vorgegebenen Stelle zu durchschneiden und dort gezielt zu verändern.
Technologie ist das eine. Wie sieht es bei der Umwandlung in Umsätze und Gewinn aus?
Die Biotechnologie ist nicht mehr Zulieferer der Pharma, sondern selbstständig. Und es existieren viel mehr sogenannte Plattform-Technologien, die erst die Behandlung gewisser Krankheitsfelder möglich machen. Dazu gehören Moderna mit Impfstoffen gegen die Herpes-Infektionskrankheiten CMV (Zytomegalie) und EBV (Epstein-Barr-Virus), welche mit herkömmlichen proteinbasierten Technologien bisher nicht realisierbar waren.
Und welche Technologie oder Plattform finden Sie momentan am faszinierendsten?
Die RNA-basierten Verfahren. Diese kommen aus der Nische heraus und gehen jetzt in die breiteren Krankheitsfelder hinein, weil sie immer besser, immer sicherer und immer einfacher zu verabreichen sind.
Stichwort Skalierbarkeit…
Ja, dort stecken wir jetzt mittendrin. Die Biotech-Branche hat ihren Ursprung bei den antikörperbasierten Therapien. Diese hat die Pharma dann übernommen, abgekupfert und abgekauft. Wenn Sie heute die grössten Produkte im Krebsbereich und selbst bei schweren Autoimmunerkrankungen anschauen, dominieren Antikörper, die ursprünglich in Biotech-Laboren entwickelt worden sind. Wir erwarten bei den RNA-basierten Therapien ebenfalls eine massive Ausweitung. Gleiches gilt natürlich weiter in der Zukunft für die einmal zu verabreichenden genetischen Medikamente. Dort bremsen aber nur schon die Herstellungsverfahren, die Kosten, die Komplexität und die Nebenwirkungsrisiken. Und gesellschaftlich ist man immer noch weit weg von einer Akzeptanz.
Gentherapie ist als Investmentthema in Mode gekommen. Es ist aber eigentlich noch in einem zu frühen Stadium?
Es hat natürlich wegen des Nobelpreises für die CRISPR-Technologie Aufmerksamkeit bekommen. Mit Casgevy von CRISPR und Vertex Pharmaceuticals haben wir jetzt das erste zugelassene Medikament, weitere Medikamente sind aber noch relativ weit von einer Zulassung entfernt. Die Nutzung ist neben der typischen Abwägung von Kosten, Nutzen und Risiken auch eine Frage der Alternativen und der Ethik. Dies ist der Grund, warum Gentherapie nicht so schnell in der Breite angewendet werden wird.
BB Biotech hat schon früh auf Moderna gesetzt. Warum hält man an diesem eher «reifen» Investment fest?
Es ist mit Abstand eine der erfolgreichsten Investitionen. Eine Investition in eine Technologie, die man vor allem für präventive Impfstoffe getestet hat - gegen akute, aber auch saisonale Infektionen wie die Influenza. In zweiter Instanz erwarten wir nun Impfstoffe gegen latente Viren wie CMV oder EBV, die mit vielen Krankheiten in Verbindung gesetzt werden. Hier geht es im Gegensatz zu den Atemwegsinfektionen darum, langfristig einen sterilisierenden Schutz aufzubauen. Weitere Impfthemen bei Moderna sind die ersten mRNA basierten bakteriellen Impfstoffe (Borreliose) sowie virus-partikel-basierende gegen Noroviren. Der erste grosse Wurf mit Impfstoffen ausserhalb der Infektionskrankheiten ist Moderna mit dem historischen Ergebnis ihres individualisierten Krebsimpfstoffs gelungen.
Das klingt sehr revolutionär…
Das ist es auch. Bei einem Patienten auf Arztbesuch wird ein Krebs festgestellt, im aktuellen Moderna-Anwendungsfall ein schwarzer Hautkrebs. Man nimmt eine kleine Biopsie, schickt es zu Moderna und die nehmen eine Analyse vor. Aus der Differenz zu einer normalen Hautzelle kann Moderna für jeden einzelnen Patienten einen eigenen Impfstoff kreieren. Dieser trainiert das Immunsystem darauf, die identifizierten Krebszellen anzugreifen. Bereits Ende dieses Jahres könnte ein Medikament ein sogenanntes beschleunigtes Zulassungsverfahren in den USA erreichen. Zusammen mit dem Partner Merck wurden und werden nun diverse grossen spätklinische Studien in Lungenkrebs, Hautkrebs, Harnblasenkrebs oder Nierenkrebs lanciert. Wir sind weiter davon überzeugt, dass Moderna in der Zukunft ein grosses Pharmaunternehmen wird.
Revolution in der Onkologie? Müssen sich die Platzhirsche in Basel warm anziehen?
Das dauert natürlich relativ lange, bis ganze Geschäftsfelder verschoben werden. Aber wenn es effektiv so funktioniert und dann auch für die Lunge oder weitere Pathologien eingesetzt werden kann, dann kann es durch den Gedanken der frühen Behandlung zu einer Verschiebung der nachgelagerten Märkte kommen. Und wenn die Impfstoffe von Moderna verhindern könnten, dass sich Metastasen bilden oder der Prozess verlangsamt wird, dann kann das weitreichende Konsequenzen für bestehende Pharmakonzerne in der Zukunft haben. Es geht immer wieder darum, wer in den nächsten zwei, drei, fünf oder zehn Jahren die Gewinner oder Verlierer sind.
Das Marktumfeld für Biotechnologie hat sich nach mageren zwei Jahren deutlich verbessert. Wie ordnen Sie die Ausgangslage für 2024 ein?
Ja, es hat absolut noch Aufwärtspotenzial. Unternehmen erhalten wieder Kapital. Und Rekapitalisierung heisst steigende Kurse. Vor zwei Jahren wurden gute Nachrichten und jeder kleine Kurssprung benutzt, um Aktien zu veräussern. Das sehen wir jetzt klar weniger. Und viele Investoren haben eher den Fokus auf Large Caps, also Big Pharma in unserem Segment. Wir haben einen grossen Block in den Mid Caps. Diese haben zwar nie massiv verloren, aber sie sind jetzt auch noch nicht von ihren Tiefs zurückgekommen.
Sie sprechen den engen Markt an.
Ja, 'Large Tech' wie Nvidia in den USA oder eben Eli Lilly oder Novo Nordisk als Large Pharma. Die haben einfach so viel Momentum und so viel Geld auf sich gezogen. Das ist eine spannende Konstellation.
Und inwiefern spielen Fusionen und Übernahmen für die Erholung der Biotech-Titel eine Rolle?
Die M&A-Aktivitäten spielen eine ganz wichtige Rolle. Es führt vor allem immer wieder Kapital in die Industrie zurück. Der Druck für die grossen Pharmafirmen ist wegen auslaufender Patente gross. Bristol-Myers Squibb ist in einer Extremsituation, wo in den nächsten vier Jahren 60 bis 70 Prozent des Produkt-Umsatzes betroffen ist, aber prinzipiell kämpft die ganze Pharmaindustrie mit diesem Problem. Je grösser der momentane Erfolg, desto grösser das Loch, in das sie dreizehn bis vierzehn Jahre später fallen. Das ist einfach die Grundlage des Geschäftsmodells und zwingt diese grossen, diversifizierten Player dazu, sich jedes Jahrzehnt neu zu erfinden. Kleinere Unternehmen, die mit einer Plattform-Technologie gross geworden sind, können dem entgegenwirken, indem sie in ihre Plattform reinvestieren, was den Fokus erhöht und die Komplexität der Herstellung sowie die interpolierten Risiken reduziert.
Befürchten Sie nicht, dass der US-Präsidentschaftswahlkampf für Volatilität sorgen wird?
Wir glauben, dass mit dem Inflation Reduction Act (IRA) der unterschwellige Druck auf die Industrie nachgelassen hat. Es gibt bipartian sogar Bemühungen, diesen Deal zu verbessern und effektiver zu gestalten, mit dem Ziel, gleichzeitig langfristig Kosten zu sparen und Innovationen zu fördern. Das Thema Arzneimittelkosten und Gesundheitskosten im Allgemeinen lässt sich im Wahlkampf natürlich immer wieder vordergründig instrumentalisieren.
Letztes Jahr waren Abnehm-Spritzen das grosse Thema, wovon Novo Nordisk und Eli Lilly stark profitiert haben. Bleibt das Momentum bestehen?
Ja, nur die Fragezeichen werden grösser. Der Wettbewerb verschärft sich, die gesamten Kosten kommen in den Fokus. Und die negativen Aspekte werden deutlicher - Verlust von Muskelmasse, Tolerierbarkeit, chronische Therapierung notwendig oder hohe Herstellungskosten. Die Erwartungshaltung hat sich enorm verschoben. Aber auch der potentielle Markt ist natürlich gigantisch.
Und was ist das nächste grosse Thema?
Neurologie, da mit der Alzheimer-Krankheit viel brachliegt, trotz der ersten zugelassenen anti-amyloiden Therapien von Biogen und Lilly. Deswegen haben wir zwei Neurologen im Team. Die Autoimmunerkrankungen sind spannend, weil eben auch immunbedingte Erkrankungen deutlich zugenommen haben. Ein neuer Behandlungsansatz sind immunrepolarisiernde Zelltherapien, wie zum Beispiel von Fate Therapeutics. Das könnte dann eine grosse Disruption für die bestehenden grossen Multimilliarden-Medikamenten werden.
Ionis ist die grösste Position im Portfolio. Die Aktie hat dieses Jahr wieder deutlich Federn gelassen. Wo sehen Sie dort den nächsten Katalysator?
Das Unternehmen transformiert sich gerade von einem Pharmazulieferer hin zu einem Anbieter von RNA-zielgerichteten Therapeutika. So bleibt schlussendlich mehr von der Wertschöpfung bei Ionis und wandert nicht zu Roche, Novartis, GSK oder Pfizer.
Sie haben kein Schweizer Unternehmen im Portfolio. Warum dieser Dauerzustand?
Wir sind agnostisch hinsichtlich des Ursprungs von Assets und Firmen. Die USA sind nach wie vor die dominante und innovationstreibende Region in diesem Sektor. Es wäre natürlich positiv, wenn wir einen stärkeren Schweizer Biotechnologiewert identifizieren könnten, aber dies muss auf Grundlage von Technologie und Anwendungsgebiet geschehen.
Sehen Sie kein Potenzial bei Idorsia?
Wir äussern uns prinzipiell nicht zu Firmen, in die wir nicht investiert sind.
KI spielt immer eine grössere Rolle. Inwiefern treibt dies die Entwicklung in der Biotechnologie voran?
Darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben. Vor kurzem haben wir dazu eine Publikation in der renommierten Fachzeitschrift Nature Computational Science veröffentlicht. Wir evaluieren diese Anwendungen laufend und haben unser Team durch die Integration eines Data Science Teams optimal aufgestellt.
Viele Anleger sind bei BB Biotech investiert wegen der Dividende. Wann schütten Sie wieder mehr aus? Die angespannte Lage in der Biotechbranche hat ja 2023 für einen erneuten Jahresverlust gesorgt - das dritte Jahr in Folge.
Dividenden sind unabhängig vom Erfolg, sondern rein an die Marktkapitalisierung gebunden. Seit 2013 haben wir 1,8 Milliarden Franken ausgeschüttet. Dividenden können wachsen oder wieder wachsen, wenn wir einen steigenden Börsenwert haben. Der Erfolg kommt schlussendlich aus der Anlage heraus. Und jetzt sind wir mit plus 10 Prozent gestartet, auch dank dem schwächer werdenden Franken gegenüber dem Dollar.
Dr. Daniel Koller kam 2004 zu Bellevue Asset Management und ist seit 2010 Head Investment Management Team der BB Biotech AG. Von 2001–2004 war er als Investment Manager bei equity4life Asset Management AG und von 2000–2001 als Aktienanalyst bei UBS Warburg tätig. Er absolvierte ein Studium in Biochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und promovierte in Biotechnologie an der ETH und bei Cytos Biotechnology AG, Zürich.
Dieser Artikel erschien zuerst auf cash.ch unter dem Titel: "«Das kann weitreichende Konsequenzen für bestehende Pharmakonzerne haben»".
1 Kommentar
Na ja, der Börsenkurs BB spricht aber eine ganz andere Sprache. Die ganze Biotecbranche hat doch wie unsere Basler den Trend verschlafen. Nochmals 10 jahre warten bis die Biotec Firmen etwas brauchbares auf den Markt bringen eher nein. BB ein klarer verkauf auch wenn Hr. Koller auf schön Wetter macht.