Der Goldpreis hat in den letzten Tagen den Höhenflug fortgesetzt und ist weiter in Richtung der Marke von 2000 Dollar je Feinunze gestiegen. Mit gut 1980 Dollar ist das Edelmetall so wertvoll wie zuletzt im Juli. Seit dem Kurseinbruch Anfang Oktober auf 1820 Dollar hat sich der Goldpreis nach dem Angriff der Hamas auf Israel schnell aufwätrs entwickelt.

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Seit Beginn des Kriegs zwischen der islamistischen Hamas und Israel vor gut zwei Wochen hat sich das Edelmetall um etwa 150 Dollar oder mehr als acht Prozent verteuert. «Wie zu erwarten war, stieg die Nachfrage nach sicheren Häfen aufgrund der geopolitischen Spannungen im Mittleren Osten», sagt Giovanni Staunovo, Rohstoffanalyst bei der UBS, auf Anfrage von cash.ch.

Dabei hat sich der Goldpreis entgegen den fundamentalen Faktoren positiv entwickelt: So sind die Renditen auf zehnjährige inflationsgeschützte US-Staatsanleihen, welche als Referenz für Opportunitätskosten der Goldhaltung gelten, erstmals seit 15 Jahren über 2,5 Prozent gestiegen. Steigt der Realzins, ist dies für den Goldpreis im Normalfall negativ. Gleiches gilt, wenn der Dollar stärker wird.

«Normalerweise hätte dies den Goldpreis zusätzlich belastet. Generell müsste mit den höchsten US-Realrenditen seit 2008, dem stärksten Dollar seit letztem November und anhaltenden Abflüssen aus den Gold-ETFs der Preis des Edelmetalls eigentlich ein Stockwerk tiefer notieren», sagt Elias Hafner, Investment-Stratege bei der ZKB.

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Mit dieser Auffassung ist Hafner nicht allein: «Seit dem Frühjahr 2022 stieg die reale US-Marktrendite und entfernte sich massiv vom Goldpreis – die negative Korrelation wurde nicht weitergeführt. Eigentlich müsste der Goldpreis mit der massiv gestiegenen realen US-Marktrendite mehrere hundert Dollar tiefer liegen», so Hans Peter Schmidlin, Rohstoff-Analyst und Investment Advisor der Basler Kantonalbank und der Bank Cler.

Warum hat Gold trotz der angestiegenen Realzinsen in den letzten zwölf Monaten zugelegt?

Als Argumente für die Resilienz des Goldpreises können unter anderem die Inflationsunsicherheit und der eingetrübte Konjunkturausblick angeführt werden. Im physischen Markt ist seit Sommer weiterhin das Phänomen zu beobachten, dass Nachfrage aus China immens ist. Zeitweise konnte diese nicht mehr befriedigt werden, da die chinesische Zentralbank wegen den Stützungsmassnahmen für den Renminbi temporär kein Gold mehr importierte. Die Lage hat sich etwas beruhigt, doch wird in Shanghai noch immer eine Prämie von rund 2 bis 3 Prozent bezahlt.

«Die chinesischen Investoren haben ein sehr gutes Timing für Käufe und Verkäufe. Offenbar sind die chinesischen Investoren von einem Investment in Gold stark überzeugt, was auch mit der Konjunkturlage im eigenen Land zu tun haben dürfte», so Schmidlin.

Für die jüngste schnelle Gegenerholung – trotz höher Renditen – sind allerdings wie angetönt andere Treiber verantwortlich. Zentral ist sicherlich der Krieg im Nahen Osten. Es konnte zwar bis anhin noch keine breit abgestützte Flucht aus den risikobehafteten Anlagen beobachtet werden. Wie in der Vergangenheit hat aber Gold von der geopolitischen Unsicherheit und der höheren Nachfrage nach sicheren Häfen profitiert.

Netto-Short-Position stimmt bullish

«Auch widerspiegeln die höheren Treasury-Renditen nicht nur die anhaltend soliden US-Konjunkturdaten und höhere Erwartungen an das die US-Notenbank Fed, sondern Investoren scheinen angesichts der fiskalpolitischen Situation in den USA begonnen zu haben, eine Prämie auf US-Staatsanleihen zu verlangen», sagt Hafner.

Dies könnte auch erklären, wieso der Dollar zuletzt nur noch wenig von den nochmals höheren US-Realrenditen profitieren konnte. Schliesslich zeigen Terminmarktdaten, dass spekulative Investoren bis zur zweiten Oktoberwoche deutliche Netto-Short-Position aufgebaut hatten. Die Auflösung solcher dürfte neben dem Konflikt im Nahen Osten die Gegenbewegung zur Korrektur von Anfang Oktober verstärkt haben.

Gold ist ein, wenn nicht das emotionalste Finanzasset. Entsprechend ist der Markt ein Tummelfeld für Contrarians. Dass die Investoren eine Netto-Short-Position führen, ist grundsätzlich selten der Fall. Doch wenn immer es dazu kam, markierte der Goldpreis ein wichtiges, mittelfristiges Tief. «Aktuell spricht dieser Zustand dafür, dass mit der zuletzt gesehenen, massiven Korrektur im Goldpreis die letzten Verkäufer die Flinte ins Korn geworfen haben. Ein sehr bullishes Indiz», sagt auch Schmidlin.

2050 Dollar auf Jahressicht möglich

Wie es kurzfristig weiter geht, hängt für den UBS-Experten Staunovo von der Entwicklung im Mittleren Osten ab und wie die US-Notenbank Fed die Zinsen verändert. Bei einer Entspannung der geopolitischen Spannungen könnten sich die hohen US-Zinsen negativ auf das gelbe Edelmetall auswirken. «Doch irgendwann im nächsten Jahr wird vermutlich die Fed die Zinsen unserer Meinung senken. Deshalb sehen wir Gold bei 2050 Dollar pro Feinunze in 12 Monaten», so Staunovo.

«Eine weitere Eskalation des Krieges, insbesondere der Eintritt weiterer Kriegsparteien, würde Gold zusätzlichen Auftrieb geben», prognostiziert hingegen Hafner. Aufgrund der zu hohen Bewertung im Vergleich zum Zins- und Renditeniveau sowie der Stärke des Dollars sieht der ZKB-Experte vorerst aber ebenfalls Abwärtsrisiken. Auf Jahressicht dürfte der Goldpreis aber von Leitzinssenkungen beim Fed und folglich von einer Dollarabschwächung profitieren können. «Beim jetzigen Goldpreisniveau scheint allerdings bereits einiges vorweggenommen.»

Dieser Umstand gilt aber wohl nicht für das «Gold des armen Mannes»: Der Silberpreis ist noch nicht ausgebrochen und befindet sich weiterhin in einem breiten Abwärtskanal. Das Gold-Silber-Ratio liegt aktuell bei 85, was dahingehend interpretiert werden kann, dass Silber im Vergleich zu Gold aktuell eher unterbewertet ist.

Trotz der günstigeren Ausgangslage beim Silber bleibt Gold in der aktuellen geopolitischen Lage und mit den Hoffnungen auf Leitzinssenkungen im nächsten Jahr auch mit dem aktuellen Preisniveau ein interessantes Investment. «In meiner fast 40-jährigen Tätigkeit im Goldmarkt habe ich erfahren, dass ein plötzlich aufkommendes Interesse selten fundamental erklärt werden kann – nachträglich natürlich schon. Doch erst ein steigender Goldpreis erhöht das Interesse an physischen Investments. Der Bulle wird im Pessimismus geboren», argumentiert Schmidlin.