Statt Optionen, Jachten oder Ferienhäusern ein neues Firmengebäude: die Abacus-Geschäftsleiter Thomas Köberl, Claudio Hintermann, Eliano Ramelli und Daniel Senn.


Um eine Dachbesteigung im neuen Firmengebäude werden die Besucher der Softwarefirma Abacus in nächster Zeit wohl nicht herumkommen. Von dort oben kann Abacus-Stratege Claudio Hintermann nämlich trefflich über «Weitblick in jeder Hinsicht» dozieren. Einerseits visuell dank dem prächtigen Panorama vom Säntis bis weit über den Bodensee hinaus, andererseits als Firmenphilosophie für den Schweizer Marktleader bei betriebswirtschaftlicher KMU-Software. Auf ihr «AbaVillage» in Kronbühl bei St. Gallen sind Hintermann und seine drei Partner Thomas Köberl, Eliano Ramelli und Daniel Senn sichtlich stolz. Die Firma gehört dem Quartett, vier sehr unterschiedlichen Charakteren, die wohl gerade deswegen seit den Abacus-Anfängen Mitte der Achtzigerjahre zusammengeblieben sind. Rund 18 Millionen Franken grösstenteils eigenen Gelds haben sie in ihren Repräsentationsbau gesteckt. Man hatte dabei das Timing der Glücklichen: Einen namhaften Teil ihres in Wertpapieren angelegten Firmenvermögens machten sie zu Baugeld, als die Kurse noch in lichten Höhen schwebten.

Der in diesen Tagen eingeweihte Glasbau des St.-Galler Architekten James Nef mit seiner imposanten Lichtpyramide, den Marmorböden und Wasserspielen, dem piekfeinen Auditorium, dem Fitnesscenter für Mitarbeiter sowie dem Gastro-Angebot auch für gehobene Ansprüche munitioniert auch die Neider. Bereits kursiert das böse Wort von «Trüffelorgien» im Abacus-Home. Dass hier ein Koch wirkt, der seine Löffel zuvor an toskanischen Edeladressen gerührt hat, passt in dieses Bild.

«Wäre es besser gewesen, wir hätten uns Jachten am Bodensee oder Ferienhäuser im Süden zugelegt?», fragt Marketingchef Köberl. Und: «Wir wollen unseren Mitarbeitern und den Kursteilnehmern, die hier auf Abacus-Programme geschult werden, einen Ort zum Wohlfühlen bieten.» Als der Bau geplant wurde, war die Abacus-Belegschaft auf mehrere Standorte verteilt, man platzte aus den Nähten. Zudem herrschte Ende der Neunziger Goldgräberstimmung. Wer IT-Fachleute in die Ostschweiz locken und halten wollte, der musste mit einem speziellen Zückerchen aufwarten – zumal die Abacus-Eigner gegenüber dem Liebeswerben der Banken für einen Börsengang inklusive reichen Optionensegens an die Belegschaft standhaft blieben. «Ein IPO macht eine Softwarefirma kaputt. Unsere Forschungszyklen sind mehrjährig, während die Börse in Quartalen tickt», sagt Hintermann.

Die Besitzer mussten Überzeugungsarbeit leisten, denn einige Mitarbeiter wollten das IPO. Tempi passati. Statt wertloser Optionen hat die Abacus-Crew nun ein Arbeitsumfeld mit allen Schikanen. Die Fluktuation ist sehr tief. Wohl auch wegen des Sponti-Klimas, wo die Chefs geduzt werden, sich beim Tischfussball in den Mitarbeiter-Bars die Grenzen zwischen «oben» und «unten» verwischen und Neueinstellungen nur dann erfolgen, wenn alle Teammitglieder den Segen dazu geben.

Nicht entziehen kann sich Abacus den Schwankungen im Softwarebusiness. Nach zwei «Ausreisserjahren» nach oben dank den Millenniums-Umstellungen liegen die Lizenzverkäufe wieder auf dem Niveau von Mitte der Neunzigerjahre. «Wir erwarten, dass wir 2002 zumindest den Vorjahresumsatz erreichen», sagt Controller Ramelli (über die absolute Höhe schweigt er sich aus, in der Branche geht man von 25 bis 30 Millionen Franken aus). Im ersten Halbjahr wurden zwar deutlich mehr Lizenzen für Kleinstbetriebe verkauft (plus 37 Prozent), doch im Bereich der Mittelunternehmen mit deutlich höheren Erträgen gab es ein Minus von acht Prozent. Die Lizenzverkäufe machen 60 Prozent des Abacus-Umsatzes aus, Wartungsverträge und Schulungen den Rest.

Gleichzeitig öffnete sich die Kostenschere, wurde doch beim Personal in den letzten beiden Jahren um fast 50 Prozent aufgestockt. Programmanpassungen, grössere Kunden und Neuentwicklungen unter anderem bei E-Commerce oder Datenbankabfragen über Web machten den Ausbau nötig. Die Firma hat reagiert. Nicht bei den Preisen, denn das lässt der Markt zurzeit nicht zu. Reduziert wurden die Margen der Vertriebspartner. Sie bekommen jetzt noch 40 statt 55 Rappen pro Lizenzfranken. Geholfen hat auch, dass grössere Kunden höhere Erträge generieren.

Abacus ist bei der Business-Software für KMUs zwar führend, doch nicht marktbeherrschend – zu fragmentiert ist der Markt. Grössere Verbreitung finden neben Abacus noch Programme von Simultan, Sesam, Navision und Winware. Lange Zeit haben Software-Riesen wie SAP, Microsoft oder Oracle dieses Segment links liegen lassen. Abgespeckte Versionen umfassender Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERP), halbherzig gepusht, fanden kaum Kunden. Zu teuer, zu kompliziert, zu wenig anwenderspezifisch, so das Verdikt des Marktes. Abacus konnte in ihrer Nische fast ungestört verdienen.

Das soll nun anders werden, verspricht Hansruedi Kuster, Marketing-Manager bei SAP Schweiz: «Bis in drei Jahren werden wir Abacus als Nummer eins abgelöst haben.» Den Schub bringen soll SAP Business One. Die neue KMU-Software, Mitte August präsentiert und ab 2003 verfügbar, will vor allem Schnittstellen im betriebsübergreifenden Wertschöpfungsprozess eliminieren. Das heisst, das Computersystem beispielsweise eines Grossabnehmers kommuniziert direkt mit dem seines Lieferanten, im Fachjargon Collaborative Computing genannt. «Dabei geht es um Kosteneinsparungen in Milliardenhöhe. Grossfirmen werden in Zukunft darauf bestehen, dass ihre Zulieferer die gleiche Softwaresprache sprechen», sagt Kuster. Ferner sollen die Länderfilialen der Grossfirmen an Bord der SAP geholt werden.

«Der Malerbetrieb mit 15 Mitarbeitern ist nicht unser primäres Zielpublikum, aber alle exportorientierten Firmen, die sich den globalen Spielregeln unterordnen müssen. Einen abgeschotteten Schweizer Markt wird es nicht mehr geben», sagt der SAP-Mann. Und wenn Abacus da mit ihren Programmen mithalten wolle, werde es für eine Firma ihrer Grösse sehr teuer. Dass SAP nun die KMUs hofiert, kommt nicht von ungefähr. Bei den Grossfirmen ist man bereits stark verankert. Die grossen Wachstumschancen sieht SAP nun eine Liga tiefer.

Doch nicht nur SAP will es wissen, auch Microsoft wird wohl bald im KMU-Bereich grasen. Für insgesamt vier Milliarden Franken kaufte sich die Gates-Company zuerst die US-Firma Great Plains, die auf betriebswirtschaftliche Anwendungssoftware spezialisiert ist, und Mitte Jahr den dänischen ERP-Anbieter Navision. Beide Zukäufe sollen in der Business-Solutions-Division von Microsoft aufgehen. Auch in der Schweiz will man «künftig vermehrt den KMU-Markt ins Visier nehmen», wie es bei Microsoft heisst.

Wie reagiert Abacus auf die Kampfansage der Software-Riesen? Zumindest nach aussen «sehr gelassen», wie Stratege Hintermann sagt. SAP versuche schon seit geraumer Zeit mit Dumpingpreisen im KMU-Sektor Fuss zu fassen. Doch schiere Grösse sei in kleinen Märkten kein Vorteil. Denn «jedes Land und jede Branche hat spezielle Richtlinien und Bedingungen, die sich erst noch ständig ändern. All diese Parameter in einer branchen- und länderübergreifenden Standardsoftware unterzubringen, funktioniert nicht.» Auch Collaborative Computing schreckt ihn nicht: Das SAP-Argument sei Panikmache, denn auch der XML-Standard bei Abacus ermögliche papierlose Schnittstellen zu verschiedener Software. Und Microsoft müsse erst beweisen, dass sie den zugekauften Produktemischmasch auf eine einheitliche Entwicklungsumgebung bringe. «Zurzeit profitieren wir von der Verunsicherung», sagt Köberl.

Man weiss aber auch in Kronbühl, dass es auf Dauer nicht reicht, die helvetischen Pfründen zu verteidigen. Angesagt ist eine sachte Internationalisierung der Abacus-Software. Bisher sind Abacus-Module erst bei ein paar ausländischen Tochterfirmen von Schweizer Unternehmen im Einsatz. Ab Version 2003 will man den Schritt ins grenznahe Ausland, nach Deutschland und Österreich, wagen. Wie in der Schweiz sollen dabei grosse Treuhandgesellschaften die Türöffner sein. Die nächsten Monate werden spannend.
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